Zhanna Block, die "Power-Frau" aus der Ukraine
Die WM, sagte sie selber, sei leider etwas zu früh gekommen. Nach all dem Verletzungspech, das ihr in dieser Saison ein verlässlicher Begleiter war, ist Zhanna Block spät, aber nicht zu spät in Schwung gekommen. Auf der Rennstrecke über 100 Meter gewann sie, die Titelverteidigerin, Bronze in 10,93 Sekunden. "Das", freute sich die Ukrainerin, "war mein bestes Rennen in diesem Jahr." Heute Abend greift sie nach einer weiteren Medaille: auf der doppelt so langen 200-Meter-Distanz, wo die US-Amerikanerin Kelli White, Weltmeisterin bereits über 100 Meter, und die Lokalmatadorin Muriel Hurtis, Liebling der Massen, als Favoritinnen gehandelt werden. Zhanna Block ist aber gut drauf, denn im Halbfinale glänzte sie mit 22,61 Sekunden. So schnell war sie in diesem Sommer noch nie gerannt.
Kein Risiko in einer WM-Saison
In Oslo, dem ersten von sechs Golden League-Meetings, fehlte sie. Auch im Stade de France von St. Denis, Anfang Juli zweiter Etappenort der lukrativen Super-Serie, glänzte Zhanna Block nur durch Abwesenheit. Mark Block, ihr Gatte, den sie am 17. Januar 1999 geheiratet hat, redete damals Klartext: "Im Jahr der WM darf man nicht das geringste Risiko eingehen." Punkt. Aus.
Nur mit deutscher Hilfe kam sie wieder auf die Beine. Dr. Müller-Wohlfarth, der "Wunder-Doc" aus München, befreite Zhanna Block von ihren Adduktorenproblemen. In Heusen-Zolder lief sie dann 11,16 Sekunden und spürte, dass es aufwärts ging. In Stockholm folgten 11,34 Sekunden und in London 11,11 Sekunden. Danach ging es zurück in die Ukraine, wo sie die letzten WM-Vorbereitungen in Angriff nahm. Wie gewohnt unter der Anleitung von Mark Block.
In Emonton Überraschungssiegerin
Die beiden bilden eines der erfolgreichsten Duos in der Leichtathletik-Szenerie. Nach der Scheidung von Igor Pintusewich, einem Hürdensprinter, verließ sie anno 1998 ihre Heimat. Kiew adé. Welcome in Johnson City, einem Städtchen m US-Bundesstaat Tennessee, wo er als Trainer wirkt.
Zhanna Block, 1991 bereits Junioren-Doppel-Europameisterin über 100 Meter und 200 Meter, profitierte ungemein von der Zusammenarbeit mit ihrem neuen Lebenspartner. In Edmonton bei der WM 2001 beendete sie die ellenlange Erfolgsserie von Marion Jones, die zuvor 54 Rennen in unmittelbarer Folge gewonnen hatte. Denn im 100-Meter-Finale triumphierte die vermeintliche Außenseiterin vor der hohen Favoritin. Block, die damals Pintusewitsch-Block hieß, heute nur noch Block, siegte in 10,82 Sekunden. Jones musste sich um drei Hundertstel geschlagen geben.
Heute nicht die Favoritin
Heute folgen nun die 200 Meter. Zhanna Block, 1997 bereits Weltmeisterin auf dieser Strecke, träumt vom dritten WM-Gold in ihrer Karriere. Aber die Konkurrenz ist stark. Bärenstark. Allen voran Kelli White, die dank ukrainischer Hilfe so schnell geworden ist. Remy Korchemny, ihr Coach, mit dem sie seit zehn Jahren zusammenarbeitet, kommt gebürtig aus Zhanna Blocks Heimatland. Muriel Hurtis, die im Halbfinale mit 22,41 Sekunden glänzte, wird von 60.000 Menschen angefeuert. Da wachsen einem Fügel. Torri Edwards aus den USA, die WM-Dritte über 100 Meter, die sich vor einigen Wochen in Rom auf 22,28 Sekunden steigerte, ist genauso wenig zu verachten wie die Russin Anastasiya Kapachinskaya.
Der persönliche Rekord von Zhanna Block steht bei 22,17 Sekunden. Im Halbfinale war sie 44 Hundertstel langsamer. "Ich weiß, dass mir einige Trainingseinheiten fehlen", erklärte sie, "das war schon über 100 Meter so." Realistisch schätzt die 31-jährige Vollblutsprinterin ihre Chancen ein. "Eins ist sicher", verkündete sie, "Favoritin bin ich nicht." Doch Wunder gibt es immer wieder. Siehe Edmonton, wo auch alle auf Marion Jones gesetzt hatten. Und wer holte damals Gold? Zhanna Block, die "Power-Frau" aus der Ukraine.