| Karriere mit Höhen und Tiefen

Tianna Bartoletta: Nicht nur Glanz und Glamour

Bei der WM in London (Großbritannien) rettete Weitsprung-Titelverteidigerin Tianna Bartoletta (USA) im sechsten Durchgang mit einem Satz auf 6,97 Meter zumindest noch Bronze – gemessen am Olympiasieg in Rio (Brasilien) zwölf Monate zuvor ein Rückschritt. Doch die 32-Jährige wiegelte ab – und begann freimütig über Brüche in ihrem Leben zu berichten. Und über Schatten auf ihrer Seele.
Harald Koken

Mit der Leichtathletik begonnen hat sie 1997 an der Northwood Junior High School im heimischen Elyria im US-Bundesstaat Ohio. 2005 und 2015 wurde sie Weltmeisterin, 2016 Olympiasiegerin im Weitsprung. Zudem holte Tianna Bartoletta 2012 und 2016 mit der Sprintstaffel Olympia-Gold. Aber: „Diese Medaille ist für mich die wertvollste“, erklärte die US-Amerikanerin nach ihrem diesjährigen WM-Bronze im Weitsprung. Ein verblüffendes Statement.

Die Erklärung – plausibel. Drei Monate vor der WM habe sie ihren Mann verlassen, sei quasi ausgebrochen, um Ketten abzustreifen, geflohen vor Stress, Druck und Fremdbestimmtheit. Der letzte Ausweg, um dem familiären Fiasko zu entrinnen. „Ich fühlte mich gezwungen, aus meinem eigenen Haus zu fliehen. Ich musste entscheiden, welche meiner Besitztümer mir am meisten wert waren. Meine Hunde ließ ich zurück, hatte kein Geld und auch keine eigene Adresse“, erzählte sie im BBC.

„Ich war nicht mehr ich, hatte meine Persönlichkeit verloren“, klang die Weltklasse-Athletin verbittert. „Ich war mir selbst fremd, frustriert, deprimiert.“ Das emotionale Trauma saß tief, vollkommen zermürbt habe sie sogar an Selbstmord gedacht.

Lange isoliert gelebt

„Die Leute glauben immer, ein Leistungssportler ist stark, hat sich jederzeit im Griff. Also scheute auch ich davor, meine Probleme offen zu zeigen. Es fiel mir schwer, um Hilfe zu bitten. Vor allem weil ich auf Menschen zugehen musste, von denen ich mich abgekapselt hatte“, sagt Tianna Bartoletta, die vorübergehend ihre Zelte im niederländischen Arnheim aufschlug. Im Leichtathletik-Zentrum Papendal erfolgte die unmittelbare WM-Vorbereitung unter den Fittichen von Top-Coach Rana Reider, mit dem sie bereits früher zusammengearbeitet hatte.

Früher hatte Tianna Bartoletta auch bereits mit dem Schreiben begonnen und Gedanken und Gefühle mit aller Welt geteilt. Ein Mosaikstein: das <link http: sprintrunjump.com get-the-book>E-Book „Why  You're  Not  a Track Star”. Es kam zu einem regen Austausch. Schreiben als Therapie, zur Erleichterung und um Abstand zu gravierenden Problemen zu gewinnen. „Es half mir meine Krise zu überwinden“, so die Erläuterung. „Andere Menschen fingen an, mir ihre Geschichten zu erzählen. Menschen, die geglaubt haben, ihr Leben sei verpfuscht. Wie ich.“

Von der Grube auf die Bahn

Zu Beginn sah alles nach einer Bilderbuch-Karriere aus: Erster großer Erfolg war 2005 der überraschende Sieg bei der WM in Helsinki (Finnland) – unter ihrem Mädchennamen Tianna Madison und 19 Jahre jung. Im März darauf folgte bei der Hallen-WM in Moskau (Russland) der zweite Platz – eine Medaille, die nach einer Disqualifikation zu Gold wurde. 2014 überflog sie in Oslo (Norwegen) mit 7,02 Metern erstmals die Sieben-Meter-Marke. Dazwischen lagen lange, frustrierende und durch Verletzungen gekennzeichnete Jahre.

Professionelles Ernährungscoaching ließ 2012 den Kummerspeck schwinden, doch die Angst, sich beim Absprung wieder zu verletzen, blieb. Im Hinterkopf manifestiert. Die Weitspringerin wurde Sprinterin, der Erfolg kehrte zurück. Erster Meilenstein: 60-Meter-Bronze bei der Hallen-WM in Istanbul (Türkei). In London steigerte sie sich über 100 Meter auf 10,85 Sekunden und preschte nur um vier Hundertstel an Olympia-Bronze vorbei. Mit Allyson Felix, Bianca Knight und Carmelita Jeter lief die da 27-Jährige in der Sprintstaffel 40,82 Sekunden – ein spektakulärer Weltrekord.

Von der Bahn in den Eiskanal

Nach Olympia 2012 tauschte die frisch Verheiratete die Kunststoffbahn mit dem Eiskanal und verstärkte als Anschieberin den US-Damenbob-Zweier. Beim Weltcup in Lake Placid gab es Bronze, in Winterberg Platz fünf. Bahnbrechende Erkenntnis: „Ich bemerkte, wie viel Kraft in meinem eigentlich schwächeren Bein steckt und fragte mich, ob ich durch einen Wechsel des Sprungbeines nicht auch wieder weit springen könnte.“ Die Antwort: 2014 avancierte Tianna Bartoletta nach einem Wechsel des Sprungbeines zur besten Weitspringerin der Welt. Auch im Folgejahr gewann sie die Diamond League.

Bisheriger Höhepunkt: der im Olympia-Finale von Rio erzielte Hausrekord von 7,17 Metern. Kurz zuvor hatte sie ihren 100-Meter-Hausrekord auf 10,78 Sekunden gesteigert – und fährt seither zweigleisig. „Um als Athletin komplett zu werden, musste ich erst als Mensch reifen“, weiß Tianna Bartoletta heute. „Ich bin positiver im Denken geworden. Ich habe gelernt, mich auf Dinge zu konzentrieren, auf die ich stolz sein kann.“ Talent, Erfahrung, Disziplin und mehr als eine Geschichte – Faktoren, die das Rückgrat stärken. Und für die Zukunft gehörig Rückenwind verleihen.

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