| Interview

Tobias Dahm: „Zweieinhalb Jahre auf vier Zentimeter gewartet“

2013: 19,96 Meter, 2014: 19,96 Meter, 2015: 19,97 Meter, 2016: 19,99 Meter. Wie sich Sisyphos in der griechischen Sage mit einem Felsblock am Berg abmühte, so scheiterte Tobias Dahm (VfL Sindelfingen) immer wieder mit der 7,26-Kilo-Kugel an der 20-Meter-Marke. Bis zum vergangenen Sonntag in Sassnitz. Dort steigerte sich der 28-Jährige gleich auf 20,56 Meter. Im Interview spricht der 130-Kilo-Koloss über den befreienden Stoß, seinen Spagat zwischen Fulltime-Job und Hochleistungssport sowie seine Ziele für die kommenden Monate.
Martin Neumann

Tobias Dahm, seit fünf Tagen sind Sie 20-Meter-Kugelstoßer. Wie lange haben Sie auf diesen Tag hingearbeitet?

Tobias Dahm:
Im Prinzip seit den Deutschen Meisterschaften 2013 in Ulm. Damals habe ich 19,96 Meter gestoßen. Dann musste ich noch zweieinhalb Jahre auf diese vier Zentimeter warten. Kugelstoßer bin ich aber natürlich schon länger.

Wie sind Sie zum Kugelstoßer geworden?

Tobias Dahm:
Das war im Alter von 16, 17 Jahren. Damals habe ich in der Jugend Mehrkampf gemacht. Zu dieser Zeit war ich länger verletzt, da haben wir entschieden, es mit dem Kugelstoßen zu probieren. Es war damals schon meine stärkste Disziplin.

Sie sprechen von „wir“ …

Tobias Dahm:
… damit schließe ich meine Trainer Peter Salzer und Jogi Lange mit ein. Bei Peter Salzer trainiere ich seit 15 Jahren. Er kennt mich in- und auswendig.

Sie sind voll berufstätig. Wie sieht bei Ihnen ein normaler Tagesablauf aus?

Tobias Dahm:
Das stimmt, ich arbeite in der PKW-Entwicklung bei Mercedes in Sindelfingen. In der Woche klingelt der Wecker gegen 4:50 Uhr. Um sechs Uhr bin ich am Arbeitsplatz, zwischen 15 und 15:30 Uhr mache ich Feierabend. Dann geht’s zum Training. Meistens dauert bei mir dann eine Einheit von 16 bis 21 Uhr. Schließlich trainiere ich nur sechsmal pro Woche. Da muss ich in sechs Einheiten das schaffen, was andere in zehn bis zwölf Einheiten machen.

Das hört sich nach einem harten Arbeits- und Trainingsalltag an!

Tobias Dahm:
Wie gesagt: Ich vertraue meinen Trainern voll und ganz. Sie wissen genau, wann ich hart trainieren kann und wann nicht.

Hatten Sie eigentlich Angst, dass es nicht mehr mit den 20 Metern klappen würde? Schließlich lagen Ihre Bestleistungen in den Jahren 2013 bis 2015 immer bei 19,96 oder 19,97 Metern …

Tobias Dahm:
… ein wenig gezweifelt habe ich schon, aber Angst hatte ich nicht. Beim Einstoßen waren schon oft Weiten über 20 Meter dabei. Darum habe ich nie aufgegeben. Ein bisschen überrascht haben mich die 20-Meter-Stöße am Sonntag in Sassnitz aber schon. Schließlich lag mein Fokus nicht auf der Hallensaison. Beispielsweise habe ich direkt vor dem Meeting in Karlsruhe noch trainiert und trotzdem 19,77 Meter gestoßen. Da war mir schon klar, dass ausgeruht eine 20-Meter-Weite möglich sein müsste.

In Sassnitz haben Sie sich dann gleich um 57 Zentimeter auf 20,56 Meter gesteigert und drei 20-Meter-Stöße hingelegt. Was war an diesem Tag anders?

Tobias Dahm:
Ich hatte ein wirklich gutes Gefühl, speziell weil das Einstoßen auch so gut geklappt hatte. Auch habe ich in Sassnitz 2015 die Hallen-EM-Norm gestoßen. Da hat man dann natürlich gute Erinnerungen.

Nach dem vierten Durchgang mussten Sie den Wettkampf dann abbrechen, weil Sie sich leicht verletzt hatten. Wie geht’s denn dem Knöchel mittlerweile?

Tobias Dahm:
Es war eine leichte Kapselverletzung. Aber die ist schon wieder ausgestanden, ich kann voll trainieren.

Dann sind Sie mit Ihren 20,56 Metern klarer Favorit auf den Titel bei der Hallen-DM in Leipzig am 27. Februar …

Tobias Dahm:
… von der Papierform her vielleicht. Aber eine Deutsche Meisterschaft in der Leichtathletik ist vielleicht am besten vergleichbar mit einem Pokalspiel im Fußball. Da kann viel passieren, wenn der eine einen guten Tag erwischt und der andere einen durchwachsenen.

Steht vor Leipzig denn noch ein Wettkampf an?

Tobias Dahm:
Ja, am Samstag in Bukarest bei den Rumänischen Meisterschaften. Dort sind Starts außerhalb der Meisterschaftswertung möglich.

Der zweimalige Weltmeister David Storl (SC DHfK Leipzig) verzichtet auf die Hallensaison. Was können Sie sich vom Leipziger abschauen?

Tobias Dahm:
Wir sind zwar beide Angleiter, aber unsere Technik ist schon sehr unterschiedlich. David ist sehr schnellkräftig, kommt übers Tempo. Ich komme mehr über die Kraftkomponente.

Mit 2,03 Metern Körpergröße und knapp 130 Kilo bringen Sie optimale Maße fürs Kugelstoßen mit. An welchen technischen Details müssen Sie mit Ihrem Trainer noch feilen, um konstant die 20 Meter zu übertreffen?

Tobias Dahm:
Da gibt’s zwei Bereiche. Ich bin in der Stoßauslage zu groß und mein Oberkörper zieht zu früh auf.

Sie vertrauen also mehr Ihrer Kraft im Oberkörper und arbeiten nicht aktiv genug aus den Beinen heraus?

Tobias Dahm:
So kann man es sagen. Ich muss mein rechtes Bein weiter setzen und generell besser aus den Beinen arbeiten, damit sich die Kraftkette über die Hüfte auf den Oberkörper entwickelt. So kriegt man am meisten Power hinter die Kugel. Generell habe ich mich in den vergangenen Monaten technisch verbessert. Das haben die Auswertungen gezeigt.

Sie haben in Sassnitz auch die hoch angesetzte Hallen-WM-Norm von 20,50 Metern übertroffen. Planen Sie denn mit einem Start Mitte März in Portland (USA)?

Tobias Dahm:
Die Hallen-WM stand für mich bis Sonntag eigentlich gar nicht auf dem Plan, alles war auf den Sommer ausgelegt. Eine Weite von 20,50 Metern hatte ich erst für die Freiluftsaison angepeilt. Schließlich ist das ja auch die Olympia-Norm. Aber momentan tendiere ich eher zum Start, zumal das Kugelstoßen in den USA einen hohen Stellenwert hat.

Mehr:

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