Tobias Potye - Überraschend überragend
Tobias Potye (FC Aschheim) gehört zweifellos zu den Aufsteigern der Saison. Bei den U20-Europameisterschaften im italienischen Rieti floppte er zu Gold im Hochsprung. Mit 2,20 Metern verbesserte er nicht nur seinen Hausrekord, sondern sprang so hoch wie kein anderer deutscher U20-Athlet in diesem Jahr. Nach seinem Überraschungscoup stellt er nun die Weichen für 2014, wo mit der U20-WM in Eugene (USA) das nächste internationale Großereignis ansteht.
„Wenn du am Ablauf stehst, dann darfst du nicht nachdenken. In den zehn Sekunden, in denen du dir Gedanken machst, zerdenkst du den Sprung.“ An diesen Ratschlag seines Trainers Manfred Knopp versuchte sich Tobias Potye zu erinnern, als er in Rieti am Ablauf stand. Mit Erfolg! Mit der Goldmedaille erreichte er sein „Optimal-Ziel“, das er im Saisonverlauf hatte mehrfach nach oben korrigieren müssenWas im Hochsprung nach der Erfolgsformel klingt, scheint im Alltag wenig Anwendung zu finden. Denn nicht nachzudenken, das passt so gar nicht zu Tobias Potye. Sehr überlegt wählt er die Worte, durchdacht wirken seine Sätze. Tobias Potye reflektiert, über sich, den Hochsprung, sein Studium.
Studium mit voller Kraft
Seit einem Monat studiert der Aschheimer an der TU München Umweltingenieurwesen. Das Studium erfordert ein gutes Zeitmanagement. 50 Minuten benötigt er vom Haus seiner Eltern in Aschheim mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zum Hörsaal. Während der Schulzeit waren es zehn. Auch wenn die Anzahl der Semester-Wochenstunden überschaubar ist, bleibt viel zu tun. Das Studium mit halber Kraft zu betreiben, kommt für Tobias Potye nicht in Frage.
„Ich will auf jeden Fall dran bleiben. Durch den Sport werde ich immer wieder Teile verpassen, die ich nachholen muss.“ Und das tut er auch, um nicht nach dem ersten Semester „ausgesiebt“ zu werden. Trotzdem stellt er sich gleichzeitig die Frage, ob er dabei bleiben will. „Ich weiß noch nicht, ob ich das die nächsten drei Jahre machen werde. Ich gebe mein Bestes und werde mit der Zeit feststellen, ob der Studiengang der richtige für mich ist.“
Rückkehr zu Manfred Knopp
Dass der Hochsprung die richtige Wahl ist, hat Tobias Potye in der abgelaufenen Saison eindrucksvoll bewiesen. Das Seuchenjahr des Vorjahres-Überfliegers und U20-Vize-Weltmeisters Falk Wendrich (TV Wattenscheid 01) wurde zum Erfolgsjahr von Tobias Poyte. Neben dem U20-EM-Titel in Rieti sicherte er sich auch den deutschen U20-Titel in Rostock und beendete die Saison auf Rang eins der deutschen U20-Bestenliste. Entsprechend fällt sein Saisonfazit aus: „Überragend, aber auch etwas überraschend.“
Denn klar war keinesfalls, dass er mit 18 Jahren bereits seinen ersten internationalen Titel gewinnen würde. „Früher mussten mich meine Eltern ab und an zum Erfolg zwingen“, erzählt er und muss dabei lachen. Das hat Früchte getragen, genauso wie die Rückkehr zu seinem Heimtrainer Manfred Knopp, mit dem Tobias Potye wieder ein eingespieltes Duo bildet. Bis 2012 wurde er von den bayerischen Landestrainern betreutet. Nachdem die Leistung stagnierte, riet ihm Manfred Knopp zum Rückzug aus dem Landestraining. Diese Entscheidung erwies sich als goldrichtig.
Individuelles Training in Aschheim
„In einer größeren Trainingsgruppe ist es nur natürlich, dass die Trainer weniger Zeit für den einzelnen Athleten haben. In Aschheim kann ich viel individueller trainieren“, sagt Tobias Potye. Fünf bis sechs Einheit pro Woche absolvierte der 18-Jährige bisher und will diesen Umfang erst einmal beibehalten. Einen Wechsel zu einem größeren Verein schließt Tobias Potye derzeit aus. „Ich verdanke meinem Trainer sehr viel und schätze sein Engagement. Ein Wechsel birgt immer auch das Risiko des Misserfolges.“
Darüber macht sich das Erfolgs-Duo derzeit keine Gedanken. Stattdessen liegt der Fokus auf der kommenden Saison. Das Leistungsniveau der vergangenen Saison im kommenden Jahr zu stabilisieren, ist die Hauptaufgabe, an der beide gemeinsam arbeiten. „Nach den Erfolgen habe ich überlegt, was ich jetzt eigentlich noch besser machen kann und meinen Trainer gefragt.“ Der hat ihm geantwortet: „Tobi, es gibt noch so viel zu tun. Es geht jetzt gerade erst richtig los.“
Fokus auf der Beweglichkeit
Verbesserungspotential hat Tobias Potye speziell im Beweglichkeitsbereich ausgemacht. „Ich bin extrem ungelenkig“, gibt der Aschheimer zu. Das blieb auch seinem Physiotherapeuten nicht verborgen. „Er hat mich gefragt, ob ich nicht auch denke, dass es leichter ist, mit einem Muskel zu springen, auf dem kein Knoten ist“, erzählt Tobias Potye. „Deshalb arbeiten wir gemeinsam an meiner Dehnbarkeit und der Grundathletik.“
Daneben stehen während der Saisonvorbereitung vermehrt Krafteinheiten und turnerische Elemente auf dem Trainingsplan. Mit Hilfe biomechanischer Analyseergebnisse feilen Tobias Potye und Manfred Knopp zudem an vielen kleinen Bewegungsdetails.
Bestleistungen im Kopf-Kino
Im nächsten Jahr soll sich die Arbeit auszahlen. Eugene kann und soll der Saisonhöhepunkt werden. Was dort möglich sein kann, darüber macht Tobias Potye sich im Stillen seine Gedanken. „Was ich mir erhoffe, das muss ich nicht an die große Glocke hängen.“
Dass Träumen jedoch nicht schadet, im Gegenteil vielleicht sogar wichtig ist, weiß Tobias Potye. „Jede Höhe, die ich springen möchte, muss ich vorher schon einmal in meinen Kopf gesprungen sein, sonst klappt es nicht. Es gibt nichts Schlimmeres, als im Wettkampf vor einer Höhe zu stehen und nicht darauf vorbereitet zu sein. Dann hilft auch die beste Form nichts.“ In Rieti ging dieser Plan auf, vielleicht auch in Eugene?