Tony Lester - "Als Mentor zur Seite stehen"
Der Brite Tony Lester hat acht Jahre lang als „National Event Coach“ die Geschicke im Sprint des Britischen Leichtathletik-Verbands bestimmt. Jetzt steht der 53-Jährige dem Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV) 2013 als Sprint-Berater zur Seite. Im Interview mit leichtathletik.de verrät er, wie es zu der Zusammenarbeit kam, warum er eine starke Verbindung zu Deutschland hat und wie genau seine Aufgaben in den kommenden zehn Monaten aussehen werden.

Tony Lester:
Ich kenne Cheftrainer Idriss Gonschinska schon seit mehreren Jahren und schätze ihn sehr. Wir haben uns bei Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen getroffen und uns ausgetauscht. Im Spaß habe ich schon häufig zu ihm gesagt, dass ich liebend gerne in Deutschland arbeiten würde. Denn ich habe eine starke Verbindung zu Deutschland. Ich war Anfang der 80er Jahre mit der Armee in Osnabrück und bin als Sprinter für die LG Gütersloh gestartet. Zudem ist meine Frau halb Deutsche. Ich mag das Land, ich mag die Leute, und ich fand schon immer, dass es eine großartige Chance wäre hier zu arbeiten.
Zuletzt waren Sie als Leitender Sprint-Trainer in Großbritannien tätig…
Tony Lester:
Meine Zeit im britischen Verband ging zu Ende. Ich habe dort zwölf Jahre gearbeitet. Dann wurden große Umstrukturierungen vorgenommen. Ich hatte eine tolle Zeit, habe viel gelernt, viele großartige Athleten trainiert, viele neue Freunde gewonnen und ich blicke gerne zurück. Jetzt hat sich eine neue Möglichkeit für mich aufgetan. Ich freue mich sehr, dass der Deutsche Leichtathletik-Verband und Idriss Gonschinska das Vertrauen in mich setzen. Denn ich weiß, dass es eine besondere Situation ist, einen Trainer aus dem Ausland zu verpflichten. Dieses Vertrauen will ich nicht enttäuschen.
Wie wird Ihre Tätigkeit für den DLV konkret aussehen?
Tony Lester:
Um eins vorweg klarzustellen: Ich bin kein hauptamtlich festangestellter Trainer. Ich bin ein beratender Coach und biete dem DLV meine Dienste für eine festgelegte Zeitspanne an. Konkret sind das in diesem Jahr 80 Tage – also fast jedes Wochenende. Langfristig würde ich gerne in Vollzeit für den DLV arbeiten, zurzeit kann ich aber aus privaten Gründen nicht in diesem Umfang in Deutschland sein. Meine Aufgabe besteht nicht so sehr darin die Sprinter auszubilden, sondern den Trainern als Mentor zur Seite zu stehen. Ich werde mich mit ihnen zusammensetzen, mir ihre Trainingsprogramme anschauen und versuchen, gemeinsam mit ihnen die Trainingsprozesse zu optimieren.
Was reizt Sie besonders an der neuen Aufgabe?
Tony Lester:
Ich freue mich auf die Zusammenarbeit mit den Trainern. Ich habe vor anderthalb Jahren einen Workshop an der DLV-Trainerschule in Mainz gehalten und sehr positives Feedback erhalten. Den Teilnehmern gefiel was ich zu sagen hatte, meine Philosophie, meine Herangehensweise. Ich komme nicht hierher und sage: „Ich bin der weltbeste Coach“. Es geht um die gemeinsame Arbeit, von der sicher auch ich profitieren kann. Ich will mich dafür einsetzen, dass das, was jetzt gemacht wird, noch besser wird. Wenn ich dazu beitragen kann, da zehn Prozent draufzusetzen, dann wäre das ein Erfolg. Die Karriere von Athleten geht vorüber. Ihre Trainer trainieren weiter. Wenn wir die nächste Sprinter-Generation mit einem besseren Verständnis ausbilden, profitieren alle davon.
In der deutschen Leichtathletik wird zunehmend auf Kompetenz-Teams gesetzt, auf die Zusammenarbeit von Experten verschiedener Fachgebiete konzentriert an Stützpunkten. Wie bewerten Sie diesen Fokus auf die Teamarbeit?
Tony Lester:
Wenn die Akteure dahinter stehen, ist es perfekt, große Kompetenzteams zusammenzuführen. Problematisch wird es, wenn sich die Leute nicht darauf einlassen. Alle müssen an Bord sein. Die Leichtathletik hat viele Individualisten. Diese in komplexe gemeinsame Maßnahmen zu integrieren, das ist eine Herausforderung.
Wo sehen Sie die Stärken und Schwächen der deutschen Sprinterinnen und Sprinter?
Tony Lester:
Die Staffelprogramme sind sehr gut. Im Nachwuchsbereich sieht es gut aus, hier gibt es eine breite Basis, darauf kann man aufbauen. Grundsätzlich passieren hier viele sehr gute Dinge. Ich habe unter anderem mit Volker Beck [Bundestrainer 400 Meter Hürden Männer] gesprochen und denke, dass im 400-Meter-Bereich noch großes Verbesserungspotenzial liegt. Niedrige 45er-Zeiten bei den Männern und 50er-Zeiten bei den Frauen sollten das Ziel sein. Aber wir brauchen die Geduld, etwas langfristig aufzubauen. Das geht nicht in sechs Wochen, das kann auch mal zwei Jahre dauern.
Die britischen Viertelmeiler gehören seit Jahren zu den besten Europas. Gibt es etwas, das die deutschen Athletinnen und Athleten von den Briten lernen können?
Tony Lester:
Das ist ein weites Feld, genau darüber habe ich gerade zwei Stunden lang gesprochen. Wir müssen über Trainingsmethodik und Effizienz sprechen. Viele der deutschen Athleten trainieren sehr hart über einen langen Zeitraum, möglicherweise ist das zu viel. Aber um dies ausreichend zu bewerten bedarf es eingehender Analysen und der Zusammenarbeit im Team. Weniger ist manchmal mehr, harte Arbeit führt nicht immer zum gewünschten Ziel.
Wir Briten haben in den vergangenen Jahren davon profitiert, dass wir viele große Talente hatten. Insgesamt sind in ganz Europa die Zeiten unter 45 Sekunden rar gesät. Zu den einzigen, die regelmäßig in dem Bereich laufen, zählen zwei Belgier: die Borlée-Zwillinge. Die Probleme hat also nicht nur Deutschland, sie betreffen auch die anderen europäischen Länder.
Betreuen Sie weiterhin auch britische Athleten?
Tony Lester:
Ich habe noch eine kleine Trainingsgruppe. Ich betreue Nicola Sanders [Vize-Weltmeisterin 2007 über 400 m Hürden]. Sie hat ein paar schwere Jahre hinter sich, ich hoffe, sie kommt dieses Jahr wieder in Form. Und dann trainiere ich den jungen Läufer Louis Persent, der im vergangenen Jahr über 400 Meter 45,77 Sekunden gelaufen ist. Er hatte sich zwischenzeitlich aufgrund seines Studiums und Achillessehnen-Problemen eine Auszeit genommen.
Sie werden in den kommenden Wochen und Monaten viel hin und her reisen. Wie entspannen Sie sich zwischen Flieger, Sportplatz und Konferenzraum?
Tony Lester:
Ich mache Musik, ich spiele Gitarre. Ich habe Freunde, die in Musik-Studios arbeiten, mit denen treffe ich mich alle paar Wochen für eine Jam-Session. Aber ein Sänger bin ich definitiv nicht (lacht)!