Top Ten der EM - Frauen
„Stand up for the champions!“ Die zehn Frauen, die uns bei den 18. Leichtathletik-Europameisterschaften am meisten beeindruckt haben:
Paula Radcliffe nickt sich zum Europarekord (Foto: Kiefner)
Paula RadcliffeSelbst erfahrene, scheinbar abgebrühte, manchmal zynische Journalistenkollegen standen am vergangenen Dienstag mit offenen Mündern auf der Pressetribüne. Als sich Paula Radcliffe in ihrem unnachahmlichen Stil 25 Runden lang durch das Olympiastadion nickte, konnte sich niemand der Faszination eines 10.000-Meter-Laufs entziehen. Die Medaillengewinner dieses Rennens waren früh festgestanden, aber wie die sympathische Britin in 30:01,09 Minuten einen neuen Europarekord aufstellte, war einfach mitreißend. Und das, obwohl die Britin in diesem Jahr bereits Cross-Weltmeisterin wurde, in London ein fantastisches Marathon-Debüt feierte und sich in einem packenden Rennen beim Grand-Prix-Meeting in Monaco nur der Rumänin Gabriela Szabo geschlagen geben musste. Übrigens Paula Radcliffe hatte sich in diesem Jahr dazu bereit erklärt, sich wöchentlich auf EPO testen zu lassen und dies sogar in einem Buch zu veröffentlichen. Erst der britische Verband riet ihr davon ab – es würde die anderen Athleten zu sehr unter Druck setzen.
Melanie Seeger
In Edmonton sorgte die Brandenburgerin im Vorjahr für einen der emotionalsten Momente der Weltmeisterschaften. Mit Tränen in den Augen bog sie als Siebte des 20-Kilometer-Gehens ins Stadion und ließ ihren Emotionen freien Lauf. In München wiederholten sich die Bilder, nur eben leider umgekehrt. Die 25-Jährige belegte lediglich den 14. Rang und war danach bitter enttäuscht. Vielleicht kann sie ja die Aufnahme in diese Liste trösten, denn kaum eine Athletin zeigt ihre Liebe zu ihrer Disziplin so hingebungsvoll wie Melanie Seeger. Dass sie uns im Verbund mit Claudia Marx mit herrlichen Impressionen aus dem Athletendorf versorgte, spricht natürlich auch für die Berufssoldatin.
Heike Meissner
Am 5. Januar zog sich die Dresdnerin einen erst ein Monat später bemerkten Achillessehnenanriss zu. Im Frühjahrstrainingslager in Portugal fing sie sich auch noch eine bakterielle Infektion ein. Kein Vierteljahr später holte sich die Grundschullehrerin auf der Zielgerade des Münchner Olympiastadions furios kämpfend die Silbermedaille. Frau Meissner, wir waren beeindruckt.
Ashia Hansen
Nicht einmal zwei Wochen ist es her, dass sich die Britin in Manchester in ihrem letzten Versuch den Sieg bei den Commonwealth Games sicherte. In München entschied Ashia Hansen wieder einen Dreisprung-Thriller für sich. Die Finnin Heli Koivula führte fünf Versuche lang überraschend die Konkurrenz an – bis eben Hansen wieder abhob und erst bei exakt 15 Metern wieder im Sand aufsetzte. Allein durch ihre Nervenstärke verdient sich die 31-Jährige eine Aufnahme in diese exklusive Liste.
Grit Breuer
München erlebte die wohl lauteste EM in der 64-jährigen Geschichte dieser Titelkämpfe. Hätte das Gesundheitsamt der Stadt München allerdings gewusst, wie laut die 48.500 Zuschauer zu schreien in der Lage waren, als Grit Breuer im 4x400-Meter-Finale zu ihrem Goldspurt ansetzte, die Veranstaltung hätte niemals stattfinden dürfen. Die 30-Jährige explodierte wie schon 1997 bei der WM in Athen und 1998 bei der EM in Budapest im Moment, wenn sich ihre Finger um das Staffelholz schließen. Auch in der Einzelkonkurrenz sorgte sie für ein Highlight dieser EM. Selten jedenfalls wurde eine Silbermedaille enthusiastischer bejubelt, als sich Breuer in ihrem dritten Saisonrennen (eine hartnäckige Achillessehnenentzündung verhinderte eine gezielte Vorbereitung) am vergangenen Donnerstag den zweiten Platz sicherte.
Sabine Braun
Viel muss eigentlich nicht mehr geschrieben werden über die mittlerweile 37-jährige Essenerin. Die nüchternen Zahlen genügen wohl, um die emotionale Bedeutung ihres Abschieds zu verdeutlichen: 66 Siebenkämpfe, sieben internationale Medaillen, darunter je zwei Europa- und Weltmeistertitel sowie zahllose deutsche Meistertitel. In ihrem letzten Mehrkampf holte sie noch einmal Silber. Sabine Braun, wir verbeugen uns!
Carolina Klüft
Die junge Schwedin steht wie keine andere Sportlerin für einen Generationswechsel in der europäischen Leichtathletik. Und das bezieht sich nicht allein auf ihre sportlichen Leistungen. Ständig flirtete sie mit den Kameras, steigerte sich vor ihren Würfen und Sprüngen in einen regelrechten Leichtathletikwahn und wie sie eine proppenvolle Pressekonferenz gestandener Sportjournalisten mit ihren frechen Antworten pikierte, war wirklich fernsehreif. Was manche vielleicht übersteigert selbstbewusst fanden, war für uns einfach extrem unterhaltsam.
Sureyya Ayhan
Die Türkin sorgte zusammen mit dem finnischen Marathonsieger, Janne Holmen, für die größte Überraschung dieser 18. Europameisterschaft. Bei ihrem Start-Ziel-Sieg verwies die 24-Jährige nicht nur die große Favoritin, Gabriela Szabo (Rumänien), um zwei Hunderstel einer Sekunde auf den zweiten Rang, sondern erzielte in 3:58,79 Minuten eine nie geahnte Weltjahresbestleistung. Nicht nur die Zuschauer zeigten sich beeindruckt. Manager Jos Hermens eilte direkt nach dem Zieleinlauf in die Mixed Zone, um sich der Türkin vorzustellen.
Kajsa Berqvist
Ach, diese Schwedinnen. In ihrer Heimat ist es bis auf drei Monate im Jahr bitterkalt, den Sommer machen garstige Moskitos zur Qual und das Essen ist auch nicht so gut wie Siebenkampf-Sweetheart Carolina Klüft behauptet. Wie kommt es also, dass gerade die bezauberndste Athletin dieser EM aus dem Land der drei Kronen stammt. Kajsa Berqvist zog bei ihrem ersten Europameistertitel 48.500 Zuschauer geschlossen auf ihre Seite. Schade nur, dass auch bei der Hochsprungentscheidung der Regen die Atmosphäre bestimmte, bei Sonne strahlt die 25-Jährige einfach noch schöner.
Claudia Marx
Die dritte Viertelmeilerin dieser Liste, die in diesem Jahr von unvergleichlichem Verletzungspech verfolgt wurde, ist Claudia Marx, die gemeinsam mit Melanie Seeger auf leichtathletik.de ihre EM-Impressionen schilderte. In der Einzelkonkurrenz waren ihr die Folgen ihres bei einem Sturz beim Europa-Cup in Annecy erlittenem Kieferbruch noch anzumerken. Aber die Goldmedaille in der 4x400-Meter-Staffel, zu der sie mit ihren starken Vorstellung an Position drei einen ganz entscheidenden Beitrag leistete, entschädigt Claudia Marx sicher für die vielen schwarzen Stunden.