
Trainer im Fokus: Wolfgang Kühne
Sie stehen hinter den Erfolgen der deutschen Topathleten, feilen mit ihnen an ihren Leistungen, jubeln und leiden mit ihren Schützlingen - und bleiben doch meist im Hintergrund. leichtathletik.de widmet sich in einer neuen Serie den Trainerinnen und Trainern in der deutschen Leichtathletik. Heute: Siebenkampf-Bundestrainer und Zehnkampf-Heimtrainer Wolfgang Kühne.
Im neunten Jahr trainiert Rico Freimuth (SV Halle) bereits bei Wolfgang Kühne. „Er ist der, dem ich alles zu verdanken habe. Er ist der, der mir den erfolgreichen Weg, den wir jetzt gehen, ermöglicht hat“, sagt der Olympia-Sechste von 2012. Bei ihm fühlt er sich bestens aufgehoben. Er schreibe sehr gute Trainingspläne. „Zu wissen, dass ich richtig und gut trainiere, ist das Wichtigste für mich. Herr Kühne hat mich bis jetzt immer fit bekommen. Ich war zum richtigen Zeitpunkt immer in Höchstform“. Das gelinge nicht jedem Trainer.
Die Trainingsgruppe von Wolfgang Kühne in Halle wächst. Nach Cindy Roleder (LAZ Leipzig) hat sich mittlerweile auch Julia Mächtig (SC Neubrandenburg) dem Zehnkampf-Trio Rico Freimuth, Michael Schrader (SC Hessen Dreieich) und Norman Müller (Hallesche LAF) angeschlossen. Wochenweise reist sie zum Training nach Halle und wird auch bei den kommenden Wettkämpfen von Kühne betreut werden.
Mehrkampf-Koordinator
Seiner Funktion als Bundestrainer Siebenkampf und Heimtrainer der Zehnkämpfer hat Kühne nun direkt vor Ort zu koordinieren. „Das ist eine sehr anspruchsvolle Aufgabe, weil der ganze Tag ausgefüllt ist und alle Athleten auf einem anderen Entwicklungsstand sind.“ Gerade aus dem Trainingslager in Südafrika zurückgekehrt, wo er mit dem Bundeskader der Siebenkämpferinnen und Michael Schrader und Rico Freimuth war, bereitet er die gemischte Mehrkampfgruppe auf die anstehenden Meetings vor.
„Ich versuche vieles mit der gesamten Gruppe zu machen, aber alles geht nicht gemeinsam“, sagt er. Vom gemeinsamen Sprint- und Hürdentraining haben Cindy Roleder und Rico Freimuth profitiert. Sie liefern sich über die Hürden ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Wenn es nicht anders geht, splittet Wolfgang Kühne das Training. Erst die Damen, dann die Männer oder umgekehrt.
„Wenn wir in der wettkampfvorbereitenden Phase sind, in die wir so langsam reinrutschen, dann lege ich die Trainingsblöcke so, dass in der Reihenfolge des Mehrkampfes trainiert wird“. Die Siebenkämpferinnen trainieren von den Hürden, die Zehnkämpfer vom 100-Meter-Sprint bis zum Speerwurf.
Neue Wege
Mit der Saisonvorbereitung der Neuzugänge ist Wolfgang Kühne bisher zufrieden. „Bei Julia Mächtig gibt es viele Sachen, die wir anders angehen als in der Vergangenheit.“ Auch in seiner Funktion als Bundestrainer wirft er in Zusammenarbeit mit den Heimtrainern gerne neue Trainingskonzepte ins Rennen.
„Das Schlimmste, was man machen kann, ist immer alles gleich zu machen.“ Die große Kunst sei, bei einer langen Zusammenarbeit mit Athleten jedes Jahr andere Reize zu setzen, damit es vorangeht. Das setzt er sich bei seiner Arbeit stets zum Ziel. Bei neuen Athleten ist das einfacher, bei seinen langjährigen Schützlingen Rico Freimuth und Norman Müller eine Herausforderung, die Kreativität verlangt.
Viel Erfahrung
Dabei kann Wolfgang Kühne aus einem reichen Fundus an Erfahrung schöpfen. Seit 1984 arbeitet er als Trainer im Sprung- und Mehrkampfbereich in Halle - in unterschiedlichen Anstellungsverhältnissen vor und nach der Wende. Ein Studium der Sportwissenschaft an der Deutschen Hochschule für Körperkultur in Leipzig (DHfK) ging dem voraus.
Eigentlich wollte Kühne Geographie studieren, aber das Fach wurde 1976 nach seinem Abitur in Halle nicht angeboten. Ein Jahr zu warten, darauf hatte er „keinen Bock“. Die Ausdrucksweise könnte er von seiner Trainingsgruppe haben.
Der 57-Jährige hat die Wahl des Trainerberufs nicht bereut. Es sei ein schöner Beruf. „Man ist immer mit jungen Menschen zusammen. Man ist viel unterwegs. Man hat viel Freude. Man ist viel an der frischen Luft. Man kann sich viel bewegen“. Wolfgang Kühne wünscht sich für Leichtathletiktrainer in der Öffentlichkeit mehr Anerkennung. Da seien nur die Fußballtrainer bekannt.
Entwicklungskonzept 2016
Trainer werden an ihrem Erfolg gemessen. Für Wolfgang Kühne ist Erfolg nicht immer gleichzusetzen mit Medaillen. „Es geht auch darum, dass man Kader und die Disziplin entwickelt und mit dem Nachwuchs-Bundestrainer eine starke Truppe für die Zukunft aufbaut.“ Wenn man da gute Arbeit leiste, könne man auch die Früchte in Form von Medaillen ernten.
Das große Ziel nach einer hoffentlich erfolgreichen EM in Zürich (Schweiz; 12. bis 17. August) ist das Projekt Olympische Spiele in Rio 2016. Alles andere seien Zwischenstationen: „In Rio wird abgerechnet.“ Der deutschen Mehrkampf-Verantwortlichen haben sich auf die Fahnen geschrieben, dort in jeder Disziplin eine Medaille zu holen. „Das wäre die Krönung.“ Es wird nicht einfach, aber sie wollen darum kämpfen.
Die schönsten Momente
Seit 2009 haben die Mehrkämpfer jedes Jahr eine Medaille im internationalen Spitzenbereich geholt, dazu viele Podestplätze im Nachwuchsbereich. Die Medaillen von Jennifer Oeser (TSV Bayer 04 Leverkusen) und Lilli Schwarzkopf (LG Rhein-Wied) machen den Bundestrainer stolz, auch der vierte Platz bei der WM von Claudia Rath (LG Eintracht Frankfurt). Bescheiden gibt sich der Bundestrainer dennoch – die Erfolge hefte er sich nicht an. Der Erfolg einer Disziplingruppe sei die Leistung eines großen Teams. „Ich bin ein Rädchen in diesem ganzen Gefüge.“ Das weiß er, weil er selber eines ist.
Bei der WM in Moskau durfte er mit dem Gewinn der Silbermedaille von Michael Schrader einen der emotionalsten Momente in seiner Trainerkarriere erleben. Ebenso zählt der sechste Platz von Rico Freimuth bei Olympia in London zu seinen schönsten Erinnerungen. Auf der andern Seite saß er „etwas bedröppelt“ da, als Norman Müller bei der WM 2007 nach einem starken ersten Tag drei Ungültige im Stabhochsprung hinlegte oder Rico Freimuth bei der WM 2011 im Weitsprung.
Ein Leben lang Zehnkampf
In seiner Jugend war Wolfgang Kühne selbst Zehnkämpfer. 1979 war er DDR-Vizemeister, seine Stärken hatte er im Sprint, Weitsprung und Diskuswurf. Beim Mehrkampf-Meeting in Götzis (Österreich) war er 1978 schon selbst am Start. Seine Bestleistung liegt bei 8.026 Punkten – allerdings nach einer alten Punktetabelle. 1985 wurde eine neue eingeführt, nach der seine Ergebnisse nicht mehr für die Marke reichten. „Aber ich sage trotzdem, ich habe einmal über 8.000 Punkte gemacht.“
Seine Zehnkämpfer hat er viele Male über diese magische Schwelle gebracht. Die überwiegend positiven Erfahrungen über Generationen hinweg haben ihn über die Zeit geprägt. Rückschläge habe er dabei nicht vergessen: Verletzungen, persönliche Geschichten und die Frage, warum Athleten nicht weitergekommen sind.
Respektsperson mit Humor
Im Stadion ist der großgewachsene ehemalige Zehnkämpfer nicht zu übersehen. Er lässt sich von seinen Athleten siezen. „Das ist wohl ein Relikt aus DDR-Zeiten.“ Das einzige Überbleibsel aus der Vergangenheit. Ansonsten lebt der Bundestrainer ganz im Heute und Jetzt und sieht das Sie als eine Sache des Respekts. „Ich finde es nicht unbedingt schön, wenn ich von einem Zwölfjährigen als Du Arschloch bezeichnet werde, wenn möchte ich Sie Arschloch genannt werden.“
Wolfgang Kühne nimmt vieles mit Humor. „Er kann auch mal über einen Spruch von mir oder Michael lachen“, sagt Rico Freimuth. Vor und während des Wettkampfs habe sein Trainer in erster Linie eine motivierende Rolle für ihn. Er kennt ihn gut und weiß, was er braucht.
Im Training sei er sehr geduldig mit ihm. Aber: „Wenn er vor dem Wettkampf das Gefühl hat, dass ich mich zu wenig vorbereite, wird er relativ ungeduldig. Das ist gut, er will, dass ich in Form komme.“ Vorallem aber strahlt Wolfgang Kühne die Ruhe und Gelassenheit einer jahrzehntelangen Erfahrung im Mehrkampf aus, die sich auch in seiner Prognose der kommenden Saison widerspiegelt. „Wir haben jetzt Götzis, dann Ratingen und dann sind wir schlauer“, sagt er über die starke Konkurrenzsituation im Zehnkampf in Deutschland. Eine Top-Vorbereitung kriegen seine Jungs - die stets neuen Trainingspläne von Wolfgang Kühne haben es in sich.