U23-EM in Tampere - Mein Moment 2013
WM, U23-EM, U20-EM, U18-WM bis hin zu Deutschen Meisterschaften, Landesmeisterschaften und dutzenden Meetings - leichtathletik.de war 2013 wieder bei zahlreichen Veranstaltungen live vor Ort dabei. Dabei haben unsere Reporter nicht nur aktuelle Berichte verfasst, es sind auch viele Erinnerungen hängengeblieben. Stellvertretend blicken wir auf ausgewählte Momente zurück. In dieser Folge geht es um bittere Tränen wegen einer Blech-Medaille - ein Plädoyer für mehr echte Gefühle.
In dieser Rubrik erwartet wohl jeder Jubelarien, entrücktes Gestammel à la „Ich fass es nicht, ich fass es nicht“ aufgrund von Medaillenregen und an den Ohren festgetackerte Mundwinkel. Auch bei mir sind von den U23-Europameisterschaften in Tampere (Finnland) Bilder dieser Sorte hängengeblieben.Bilder von einer Gesa-Felicitas Krause (LG Eintracht Frankfurt), die über die Hindernisse mit elf Sekunden Vorsprung schier in einer anderen Liga lief und einen Sieg einfuhr, für dessen Dominanz es bei U23-Meisterschaften keinen Vergleich gibt. Bilder von einer auf und ab hüpfenden Lena Malkus (LG Preußen Münster), die sich in einem Nervenkrimi im Weitsprung im allerletzten Versuch von Platz drei auf den Goldrang schob und mit 6,76 Metern ganz nebenbei auch noch die WM-Norm knackte. Als 19-Jährige! Oder auch von einem aufopferungsvoll kämpfenden Kai Kazmirek (LG Rhein/Wied), der völlig überraschend Gold im Zehnkampf holte. Mit 8.366 Punkten.
Traum von einer Medaille
Doch den beeindruckteste Moment dieser Titelkämpfe bescherte mir ein Athlet, der gar keine Medaille holte. Die Erinnerung, die mir am prägnantesten von der U23-EM in Tampere im Kopf geblieben ist, ist ein weinender Andreas Lange (LG Reinbek/Ohe).
Es war das Finale über 800 Meter. Andreas Lange war der einzige Deutsche im Feld um den überragenden Franzosen Pierre-Ambroise Bosse, den 21-Jährigen, der übrigens ein paar Wochen später bei der WM in Moskau Siebter wurde. Lange jedoch galt als heißer Medaillenkandidat. Schließlich hatte er sich zuvor auf 1:45,69 Minuten gesteigert und galt als nationaler Aufsteiger auf den zwei Stadionrunden.
Bittere Tränen
Um es kurz zu machen: An diesem Tag waren einfach drei andere Läufer schneller als der 22-jährige Deutsche. Er lief gut, machte taktisch keine Fehler und konnte doch nichts gegen die auf der Zielgerade von hinten an ihm vorbeistürmenden Konkurrenten ausrichten. Im Ziel weinte er. Bitter.
Dass er die zweitschnellste Zeit seiner Karriere gerannt war? Dass Bosse übermächtig ist? Und dass hinter Bosse zwei andere Läufer so schnell wie nie zuvor in ihrer Karriere gelaufen waren, einer davon sogar Landesrekord? Alles egal. Andreas Lange ließ sich nicht trösten. Er stand in der kleinen Mixed-Zone des Ratina-Stadion, in dem Bereich wo auch bei Jugend-Meisterschaften die Journalisten mit und ohne Kamera warten und die ersten Emotionen der Athleten einfangen, legte Arm und Kopf auf die Brüstung der kleinen Absperrung, die die Athleten von den Journalisten trennt, und weinte. Nicht nur ein bisschen, sondern bitterlich.
Ehrliche Gefühle tun dem Sport gut
Es war ein Moment, der tief ging. Nicht nur weil aus einer Journalistin plötzlich eine Tränentrocknerin wurde. Nicht nur weil Tränen aus Enttäuschung auch in der heute angeblich so offenen und psyeudotoleranten Gesellschaft meist nur heimlich vergossen werden. Sondern auch weil diese Tränen zeigten, wie tief der Siegeswille in diesem jungen Athleten verankert ist.
Andreas Lange wollte eine Medaille. Unbedingt. Daraus hatte er nie ein Geheimnis gemacht. Der Wunsch war auch angesichts seiner Vorleistungen nicht vermessen. Dennoch hatte er nach dem vermeintlichen Misserfolg den Mut, sich trotz seiner enormen Enttäuschung den Journalisten zu stellen. Er konnte nur wenig sagen, wobei großartige Analysen direkt nach Wettkämpfen in der Mixed-Zone ohnehin zu viel verlangt sind, aber Andreas Lange versteckte sich nicht, sondern zeigte mit seinen Tränen mehr als er überhaupt mit Worten hätte ausdrücken können. Seinen unbedingten Siegeswillen. Und ein mindestens ebenso großes, da seltenes Gut: unverfälschte Gefühle.
Das hier ist kein zwingendes Plädoyer für weinende Männer. Es ist vielmehr ein Dankeschön an einen jungen Athleten, der den Mut hatte, echte Gefühle nach außen zu transportieren. Die Sportwelt kann mehr davon vertragen.