Über den Hörsaal ins Berliner Olympiastadion
Eines haben einige deutsche WM-Anwärter gemeinsam: Den Studentenausweis. Doch wie läuft das aktuelle Sommersemester vor der WM im eigenen Land (15. bis 23. August in Berlin) eigentlich ab? Wie meistern die Athleten den Spagat zwischen Universität, Training und Wettkampf? Ob Urlaubssemester, Prüfungsstress oder Teilzeitstudium - jeder hat eine andere Strategie, um sowohl den Geist als auch den Körper fit zu halten. leichtathletik.de hat sich unter den Athleten einmal umgehört.
Carolin Nytra (Hürdensprint/Bremer LT)Studium: Carl-von-Ossietzky Universität Oldenburg/BWL für Spitzensportler
„Ich hatte mir für das Sommersemester vor der WM ursprünglich zwei der schwierigsten Module des Studiums ausgesucht, da diese nicht so häufig angeboten werden. Nachdem das erste bereits angefangen hat und sehr zeitaufwendig ist, habe ich relativ schnell zurückgerudert und das andere gecancelled. Meine Uni kam mir da sehr entgegen, weil man die Fächer eigentlich verbindlich wählt. Aber die WM wollten sie dann auch nicht ‚gefährden‘ bzw. eher nicht, dass ich dann durch die Prüfung falle! Ganz freinehmen wollte ich mir aber auch nicht, da ich neben der körperlichen Herausforderung auch immer noch den geistigen Anspruch brauche - sonst verliere ich im Training die Aufmerksamkeit und das ‚Mitdenken‘.“
Betty Heidler (Hammerwurf/LG Eintracht Frankfurt)
Studium: Johann Wolfgang von Goethe Universität in Frankfurt am Main/3. Semester Jura
„Ich absolviere ein Teilzeitstudium und für diesen Sommer besuche ich nur zwei Vorlesungen und die entsprechenden Tutorien. Es ist eine zusätzliche Erleichterung in der zeitlichen Planung für mich als Leistungssportlerin. Die Uni und der Olympiastützpunkt Hessen arbeiten unterstützend für die Sportler zusammen. Ich habe auch einen Tutor, der sehr sportinteressiert ist. Zudem kann ich für die Uni bei der Universiade starten.“
Tobias Scherbarth (Stabhochsprung/TSV Bayer 04 Leverkusen)
Studium: Deutsche Sporthochschule Köln/Sportwissenschaft
„Sport und Studium passen bei mir eigentlich ziemlich gut zusammen. Ich finde es vom Kopf her einfach nötig, sich mit etwas neben dem Sport zu beschäftigen und damit auch was für seine Zukunft zu tun. Da ich auch nach der aktiven Zeit dem Sport verbunden bleiben möchte, ist dies auch der richtige Studiengang für mich. Mein Semester vor der WM ist wie jedes andere. Ich habe 13 Semester-Wochenstunden die Woche an vier Tagen. So kann ich auch an mehreren Tagen zweimal trainieren. Da die DSHS Partnerhochschule des Spitzensports ist, habe ich als Kaderathlet ganz selten Schwierigkeiten, mein Studium mit dem Sport zu verbinden. Alles läuft auch vor der WM bestens.“
Raul Spank (Hochsprung/Dresdner SC)
Studium: TU Dresden/2. Semester Wirtschaftswissenschaften
„Momentan habe ich einen vollen Stundenplan und nehme noch alle Fächer wahr. Im Hinblick auf die WM werde ich mir Freiraum schaffen, weil ich in der Hallensaison schlechte Erfahrungen mit der Doppelbelastung, bestehend aus intensiven Prüfungsvorbereitungen und vollem Wettkampfprogramm, gesammelt habe. Ich hoffe also, dass ich im August keine Prüfungen habe, damit ich nicht kognitiv überlastet zum Jahreshöhepunkt fahre, wie das in der Hallensaison leider der Fall war. Die Uni kommt mir relativ entgegen. Kommunikation mit den Dozenten ist das A und O. Auch über ein Urlaubssemester habe ich von November bis Februar jede Woche nachgedacht. Mittlerweile habe ich mich aber an die Gegebenheiten meines Studiengangs gewöhnt. Totalen Urlaub möchte ich momentan nicht. Eine bis zwei Doppelstunden und Nachbearbeitung sind hilfreich und notwendig, um seinen Geist fit zu halten!“
Christina Obergföll (Speerwurf/LG Offenburg)
Studium: Universität Freiburg /Sport und Deutsch auf Lehramt
„Ich habe meine Semester schon aufgehört zu zählen, da der Sport momentan absolute Priorität hat und ich nur sehr wenige Veranstaltungen pro Semester mache. Jetzt vor der WM sind es bei mir sogar nur zwei Kurse. Die Uni kommt mir sehr entgegen und Prüfungen kann ich vor- oder nachschreiben. Aber eigentlich bin ich im Moment sowieso mehr ‚Sport-Profi‘, weil ich diese beiden Jahre nutzen wollte.“
Helge Schwarzer (Hürdensprint/Hamburger SV)
Studium: Universität Hamburg/4. Semester BWL
„Ich habe vor der WM ein Urlaubssemester eingelegt, um mich über eine gewisse Zeit ausschließlich auf den Sport konzentrieren zu können. So konnte ich meine Trainingsumfänge nochmal steigern und meine Zeit komplett ausreizen. Die Uni hat das sofort mitgemacht, da ich mich in einem Fördervertrag zwischen der Universität Hamburg und dem Olympiastützpunkt Hamburg/Schleswig-Holstein befinde. Dieser sieht vor, auf Spitzensportler Rücksicht zu nehmen und den Uni-Alltag mit dem Sport zu verbinden. Die Kooperation ist wirklich spitze und funktioniert, wie mein Beispiel zeigt. Sie kommen mir soweit entgegen, dass sie versuchen auf alles einzugehen, was ich mir wünsche. Natürlich nur im Rahmen ihrer Möglichkeiten. Aber bis jetzt wurden alle Ideen sehr gut umgesetzt.“
Till Helmke (Sprint/TSV Friedberg-Fauerbach)
Studium: Johann Wolfgang von Goethe Universität Frankfurt am Main/BWL (Bachelor)
„Ich mache jetzt vor der WM drei Scheine, normal sind sechs. Also studiere ich genau zur Hälfte und werde deswegen auch nach zwölf und nicht nach sechs Semestern mein Studium beenden. Tendenziell kommt mir die Uni sehr entgegen, aber da ist man sehr auf den einzelnen Professor angewiesen.“
Nadine Hildebrand (Hürdensprint/LAZ Salamander Kornwestheim-Ludwigsburg)
Studium: Universität Tübingen/8. Semester Jura
„Meine Universität kommt mir überhaupt nicht entgegen. Ich bekomme immer wieder gesagt, dass ich ja Jura studiere und die juristische Fakultät nicht das Sportinstitut sei und ich mich doch zwischen Sport und Jura entscheiden solle. Wenn der Professor nicht irgendwie sportbegeistert ist, habe ich keine Chance, irgendetwas zu verschieben, gerade weil bei den letzten Prüfungen das Prüfungsamt mit im Spiel ist und man da als Leistungssportler nicht als Härtefall gilt, wenn man schwanger wäre schon. Vor den Deutschen Meisterschaften habe ich noch eine mündliche Prüfung. Zudem kommt im September und Oktober eine Schwerpunktklausur, auf die ich mich natürlich auch vorbereiten muss, da diese Noten alle zur Examensnote mitzählen. Alles in allem finde ich, dass die Uni den Titel sportunterstützende Uni absolut nicht verdient hat. Ich habe mir bisher immer mehr oder weniger selbst helfen oder mich eben irgendwie selbst über Wasser halten müssen.“
Anna Battke (Stabhochsprung/USC Mainz)
Studium: TU Darmstadt/6. Semester Psychologie (Bachelor)
„Meine Uni kommt mir sehr entgegen. Wenn ich mehr Fehlzeiten als erlaubt habe, kann ich dafür Hausarbeiten oder Referate schreiben. Prüfungen kann ich mir teilweise so legen, dass sie in meinen Zeitplan passen. Grundsätzlich gibt es aber trotzdem Vorgaben, an die ich mich halten muss und die für ein perfektes, leistungsorientiertes Training nicht gerade förderlich sind. Dann esse ich Döner am Hauptbahnhof, trainiere hektisch morgens um acht Uhr oder verzichte auf Wettkämpfe, die unter der Woche stattfinden. Mais c’est la vie. Ein Leben nach dem Sport wird kommen, das aber nicht nur mit Stabhochsprung im Kopf funktionieren wird. Deshalb bin ich froh, meine Gedanken regelmäßig mit anderen Inhalten als dem Sport füllen zu können. Das Studium eröffnet mir den Freiraum, jederzeit einen anderen spannenden Weg gehen zu können, wenn der Sport zum langweiligen Schlappi würde.“
Katharina Molitor (Speerwurf/TSV Bayer 04 Leverkusen)
Studium: Universität Wuppertal (10. Semester Sport)/Universität Köln (3. Semester Geographie)
„Ich lege mir meine Stunden in der Regel immer so, dass ich nach 16 Uhr nichts mehr habe. Dieses Semester habe ich aber nur montags und mittwochs Uni. Das liegt aber nicht an der WM, sondern daran, dass ich in Sport nicht mehr viele Kurse belegen muss und in Geographie mir noch zwei Kurse zur Zwischenprüfung fehlen. Die Unis kommen mir beide sehr entgegen und ein Urlaubssemester würde für mich nicht in Frage kommen, da ich mir nicht vorstellen kann, so gar nichts außer Sport zu machen. Das Gehirn darf sich ruhig auch etwas anstrengen!“
Kristina Gadschiew (Stabhochsprung/LAZ Zweibrücken)
Studium: TU Kaiserslautern/Chemie (9. Semester) und Sport (7. Semester) auf Lehramt fürs Gymnasium
„Dieses Sommersemester habe ich nur drei Seminare und eine praktische Veranstaltung in Sport. Ich möchte aber unbedingt am Ende des Semesters noch Chemie-Klausuren mitschreiben. Trotzdem habe ich versucht, meinen Studienplan so klein wie möglich zu halten. Die TU Kaiserslautern gehört zu den Partnerhochschulen des Spitzensports und sie zeigen auch Verständnis für Fehlstunden wegen Wettkämpfen oder Trainingslagern. Klar ist es manchmal stressig, alles unter einen Hut zu bekommen, aber die Uni ist auch ein guter Ausgleich zum Leistungssport. Ich wüsste nicht, ob ich ohne könnte.“