Ulrich Steidl - German Man in Seattle
Neben Martin Beckmann (LG Leinfelden-Echterdingen) vertritt Ulrich Steidl (SSC Hanau/Rodenbach) die deutschen Farben beim WM-Marathon (25. August) in Osaka (Japan). Seit fast 15 Jahren lebt der Hesse in den USA, seit Mai 2006 ist er Inhaber der "Green Card", der dauerhaften Aufenthaltserlaubnis. Startet er bei Marathonläufen oder anderen großen Rennen fühlt er sich nach wie vor als Deutscher, jedoch "weniger im täglichen Leben."

Ulrich Steidl - Vom Lehrer zum Profi (Foto: Chai)
Im Dezember 1992 kam er als junger Chemiestudent an die University of Portland. Ursprünglich hatte er beabsichtigt, eineinhalb Jahre in den Staaten zu bleiben. Am Ende stand er jedoch vor der Wahl, sein Studium in den USA zu beenden oder es in Deutschland neu zu beginnen. Ulrich Steidl entschied sich für ersteres und schloss sein Studium nach einem Universitätswechsel nach Seattle mit dem Master ab.2001 lernte er seine jetzige Ehefrau Trisha kennen. Im Sommer desselben Jahres heirateten die beiden Laufbegeisterten auf dem Gipfel von "The Mountain", wie die Bewohner um Seattle den fast 4.400 Meter hohen Mount Rainier nennen. In seiner "neuen Heimat" erlief er sich unter anderem durch acht Siege in Folge beim Seattle Marathon einen guten Namen in der Szene. Aber auch bei Ultraläufen über 50 Meilen taucht sein Name immer wieder in den Startlisten auf. Die Leute aus seiner näheren Umgebung beschreiben ihn als vielseitigen, trainingsfleißigen Athleten, der "Laufen einfach liebt."
Vom Lehrer zum Profi
Und dieser Liebe kann er seit einiger Zeit unumschränkt nachgehen. Seit 2004 war Ulrich Steidl Chemielehrer an einer Highschool. Im vergangenen Jahr stand er vor der Wahl, sich auf den Lehrberuf zu konzentrieren und Laufen nur noch als Hobby zu betreiben, oder die paar Jahre, die ihm noch verbleiben, voll und ganz dem Sport zu widmen. Unterstützt in seiner Entscheidung für das Laufen wurde er von dem zögerlichen Verhalten seines Schulleiters, ihm die versprochene unbefristete Stelle an der Schule zu geben.
"Ich hatte für die Jahre 2004/05 und 2005/06 nur einen zeitlich befristeten Vertrag, aber der Schulleiter hat mir im September 2005 versprochen, dass ich für 2006/07 automatisch übernommen werde, hat dann aber 'meine' Stelle öffentlich ausgeschrieben, ohne mir davon was zu sagen. Da habe ich mich schon vor den Kopf gestoßen gefühlt. Letztendlich hat er mir dann doch einen unbefristeten Vertrag angeboten, aber zu dem Zeitpunkt hatte ich mich bereits entschieden, mich nicht mehr für 'meine' Stelle zu bewerben."
Trainingslager in Kenia
Dazu kam, dass seine Frau einen deutlich besser bezahlten Job als Cheftrainerin für Crosslauf und Leichtathletik an der Seattle University bekam und das Ehepaar keine Kinder hat. Unterstützt hat ihn auch seine Frau: "Ich will nicht, dass er im Alter mal zurückschaut und sagt, was wäre wenn?"
Im Anschluss an den Seattle-Marathon, den nicht nur er, sondern auch Trisha als Sieger beendeten, reiste Ulrich Steidl in das Läuferland Kenia. Nach einigen Tagen in einem Vorort von Eldoret ging es für den frischgebackenen "Profi" in ein Trainigscamp 30 Kilometer östlich, am Rand des "Kaptagat Forest" auf 2.400 Metern Höhe. Da es außer einem kleinen Fernseher und einem Billardtisch keine Unterhaltung gab, fiel die Konzentration auf ein ausgedehntes Training nicht sonderlich schwer.
Kinder, die in die Schule laufen – ein Irrglaube
Jeden morgen um sechs Uhr stand die erste Einheit an. Im Anschluss gab es dann um acht Uhr Frühstück, bestehend aus Toastbrot und einem Tee, der mit Milch statt Wasser aufgebrüht wurde. Nach einem Mittagessen mit weißem Reis und Kartoffel-, Gelbe Rübe- und Erbsensuppe folgte um vier Uhr eine zweite, lockere Trainingseinheit. Zum Abendessen gab es fast jeden Tag Ugali (Maisgericht) mit Gemüse und jeden zweiten Tag auch ein wenig Fleisch.
Mit einem der vielen Mythen, der die kenianischen Läufer umgibt, kann Ulrich Steidl nach seinem Aufenthalt in Ostafrika aufräumen: "Der größte Irrglaube in Deutschland ist, dass die Kenianer so gut sind, weil sie als Kind jeden Tag 15 Kilometer zur Schule laufen. Wir haben in vier Wochen kein einziges Kind zur Schule laufen sehen. Dafür sind uns oft bei Trainingsläufen mehrere Kinder für einige hundert Meter hinterhergelaufen. 'Mzungus' (Weisse) sehen die halt nicht oft."
Starker Auftritt in Boston
Spätestens im Frühjahr dieses Jahres zahlten sich die Anstrengungen für ihn aus. Bei starkem Gegenwind und Regen lief er am 12. April beim Boston-Marathon nach 2:19:54 Stunden in einem Feld gespickt mit zahlreichen Weltklasseläufern als hervorragender Zwölfter ins Ziel. Nur drei Wochen später, "noch nicht ganz erholt von Boston", beendete Ulrich Steidl den Düsseldorf-Marathon (6. Mai) nach 2:19:47 Stunden.
Gemeinsam mit Martin Beckmann (LG Leinfelden-Echterdingen) und Mario Kröckert (TSV Bayer 04 Leverkusen) hätte er nun bei der WM als Mannschaft ein "respektables" Ergebnis erzielen wollen. Nach der verletzungsbedingten Absage von Mario Kröckert gehen die beiden verbliebenen deutschen Läufer jetzt als Einzelkämpfer an den Start. Doch nach seiner intensiven Vorbereitung (160 bis 200 km pro Woche) wird der "German Man" aus Seattle auch diese Aufgabe mit viel Herz angehen.