| Berlin 2008 – Berlin 2018

Unsere Zeitreise mit... Katharina Heinig: „Heute laufe ich nur noch für mich“

Steigen Sie ein und schnallen Sie sich an. Wir nehmen Sie mit auf eine Zeitreise. Eine Reise, die im Sommer 2008 bei den Deutschen Jugend-Meisterschaften im Berliner Olympiastadion beginnt. Eine Reise, die im Sommer 2018 bei den Europameisterschaften in Berlin ihren Höhepunkt finden soll. Berlin 2008 – Berlin 2018. Gestern und heute. Now and then. In dieser Woche ist Ihr Reiseleiter: die Deutsche Marathon-Meisterin Katharina Heinig.
Alexandra Dersch
Katharina Heinig. WM-Teilnehmerin und Deutsche Meisterin 2017. EM-Teilnehmerin 2016 und 2014. In einem offenen und ehrlichen Interview lässt die Marathonläuferin die letzten zehn Jahre ihrer Karriere Revue passieren, in denen sie so manche Niederlage und Verletzung verkraften musste und sich beim Berlin Marathon 2016 nicht nur sportlich, sondern auch mental freigelaufen hat.


Katharina Heinig, zehn Jahre deutsche Spitze, fast zehn Jahre schon Marathon: Mit welchem Gefühl blicken Sie auf Ihre bisherige Karriere zurück?

Katharina Heinig:
Mit gemischten Gefühlen. Es war eine Karriere mit vielen Aufs und Abs, wobei ich so ehrlich bin zu sagen, dass es mehr Talfahrten gab, als Bergfahrten. Die letzten zehn Jahre waren für mich persönlich und sportlich ein Findungsprozess. 2008 etwa, da war ich 18 Jahre alt, habe ich noch gar nicht an Marathon gedacht. Ich war in meiner Karriere schon viel verletzt, hatte früh Probleme mit Knochenhautentzündungen, hatte Bänderrisse, weil ich unglücklich umgeknickt war, Ermüdungsbrüche und konnte unterm Strich mein Potenzial nie ganz zeigen. Eine Sache, die sich leider durch eine lange Zeit meiner Karriere durchgezogen hat. Aber ich bin drangeblieben. Und heute habe ich eine Bestzeit von 2:28:34 Stunden über die Marathonstrecke, bin Deutsche Meisterin über diese Distanz und habe auch privat mit meinem Verlobten meine Heimat gefunden.

Welche Erinnerungen haben Sie noch konkret an die Deutschen Jugend-Meisterschaften in Berlin 2008? Damals sind Sie Dritte über 3.000 Meter geworden, waren aber schon verstärkt auch bei Straßenläufen zu sehen.

Katharina Heinig:
Ich bin daher früh weg von der Bahn, das stimmt, weil ich eben aufgrund meiner Verletzungen nicht mehr so spezifisch trainieren konnte. 2008 waren meine allerletzten Meisterschaften in einem Stadion und ich war unglaublich aufgeregt, daran erinnere ich mich noch gut, denn sportlich lief es vorher gar nicht gut. Daher war das Gefühl umso schöner, dort hinterher auf dem Treppchen zu stehen. Wenn man sich die damalige Siegerliste anschaut – es sind kaum noch Athletinnen von damals aktiv. Dass ich mich über die zehn Jahre behauptet und gegen alle Widerstände durchgeboxt habt, darauf bin ich schon stolz.

Sie sprechen die Widerstände an. Sie sind in einer Sportlerfamilie großgeworden. Ihr Vater Wolfgang Heinig, ehemaliger Sprinter, dann Erfolgstrainer und ehemaliger Bundestrainer. Ihre Mutter Katrin Dörre-Heinig, Olympia-Medaillengewinnerin im Marathon und heutige Bundestrainerin. Ist das Fluch oder Segen?

Katharina Heinig:
Als ich klein war, habe ich mir darüber gar keine Gedanken gemacht. Aber je älter ich wurde, umso mehr habe ich gemerkt, ich bin oft "die Tochter von" und habe dadurch eine Aufmerksamkeit bekommen, die ich nicht immer als positiv empfunden habe und die auch meine Mutter oft genervt hat. Wir haben daher oft gar nicht mehr langfristig gemeldet, sondern immer erst am Wettkampftag selber nachgemeldet, um dieser Aufmerksamkeit zu entgehen. Dabei konkurrieren meine Mutter und ich überhaupt nicht. Wir haben nie Zeiten verglichen oder ähnliches. Auch diese Frage nach der Familienbestzeit, die stellen wir uns gar nicht. Sie ist ihr eigener Mensch, ich bin mein eigener Mensch. Bei uns zu Hause ist das völlig klar.

In Ihrer bisherigen Karriere brauchten Sie, ähnlich wie in Ihrer Disziplin, einen langen Atem. Zum einem, um sich nach Verletzungen oder gar Operationen wieder nach vorne zu kämpfen. Aber auch, um Ihre Kritiker verstummen zu lassen. Das gelang Ihnen 2016. Eigentlich das Jahr Ihrer bisher größten Niederlage, den verpassten Olympischen Spielen. Doch mit Ihrer Vorstellung beim Berlin Marathon wurde es zum Jahr Ihres Durchbruchs.

Katharina Heinig:
2016 war ein verrücktes Jahr. Das Kälterennen in Zürich, wo ich aufgrund einer Unterkühlung nicht ins Ziel gekommen bin. Die Lebensmittelvergiftung kurz vor der EM in Amsterdam und der so auch zerplatzte Olympia-Traum. Ich habe mich danach so sehr gequält im Training, so mit mir und dem Schicksal gehadert und hatte so viele Selbstzweifel, als ich damals nach Berlin gefahren bin. Aber als ich an der Startlinie stand, da dachte ich mir: Alles oder nichts. Denk nicht dran, was die anderen denken könnten. Lauf für dich. Das habe ich gemacht und während des Rennens meine Lust am Laufen wiedergefunden.

Berlin war ein Befreiungsschlag für mich. Ich habe meine Bestzeit um fünf Minuten gesteigert, bin in 2:28:34 Stunden erstmals unter der 2:30-Stunden-Marke geblieben. Zum einen war die Zeit natürlich sportlich ein riesiger Erfolg. Zum anderen ist im Nachgang an dieses Rennen auch mental viel von mir abgefallen. Ich habe es oft nicht einfach gehabt. Da gab es oft bitterböse Kommentare von außen, so nach dem Motto: "Die hat es nicht drauf". Das hat weh getan, natürlich. In Berlin habe ich endlich auf der Marathonstrecke gezeigt, dass ich schnell rennen kann. Deshalb war das Rennen auch eine innere Beruhigung für mich. Seitdem stehe ich über bösen Kommentaren, laufe nur für mich, meine Familie, meinen Partner und Freunde – eben für die Menschen, die es gut mit mir meinen und die für den Leistungssport oft zurückstecken müssen. Ich habe auch heute noch meine Hater, aber anders als früher lasse ich derartige Kommentare nicht mehr an mich heran. Wir Straßenläufer haben es, zumindest ist das mein Eindruck, oft ein bisschen schwerer. Denn wir haben ja nur ganz wenige Chancen, um zu zeigen, was wir können und uns erarbeitet haben. Wenn es dann schief läuft, dann kann ich es nicht am kommenden Wochenende wieder ausbügeln. Das negative Bild bleibt so länger in den Köpfen der Leute bestehen und das ist schade.

Wie haben Sie sich in all den Jahren vor diesem Rennen nach all den Rückschlägen mental wieder aufgebaut?

Katharina Heinig:
Ich bin kein Mensch, der schnell aufgibt. Halt hat mir meine Familie gegeben und auch meine damalige Trainingsgruppe. Der Erfolg der anderen hat mich mit aufgebaut, so komisch das vielleicht klingt, aber ich habe mich natürlich mit ihnen gefreut und dabei auch gesehen, dass das Training gut ist, dass so auch ich auf dem richtigen Weg bin. Nicht aufzugeben, das ist offenbar eine meiner Charakterstärken. Aber ich bin auch ehrlich, wenn das Rennen 2016 in Berlin in die Hose gegangen wäre, ich wäre heute keine Leistungssportlerin mehr.

Wenn Sie zurückdenken an Ihre Anfänge: Welche Träume sind Ihnen von damals noch geblieben?

Katharina Heinig:
Ich habe schon als Kind Sport gemacht, um zu gewinnen. Auch wenn ich mit der Kinderleichtathletik angefangen habe und später jede Disziplin, bis auf Hammerwurf, zumindest einmal ausprobiert habe, bin ich doch am liebsten gelaufen. Mein Traum war damals, bei Weltmeisterschaften oder Olympischen Spielen auf dem Treppchen zu stehen. Heute weiß ich, das ist utopisch. Die Konkurrenz aus Afrika ist auf meiner Strecke einfach übermächtig. Heute bin ich stolz auf meine EM- und WM-Teilnahmen, aber den Traum von einer Medaille, den möchte ich mir gerne noch erfüllen.

Im Sommer steht eine Europameisterschaft in Berlin an, für die Sie bereits nominiert sind.

Katharina Heinig:
In Berlin eine Medaille zu gewinnen, das wäre natürlich ein Traum. Mit der Mannschaft sind wir gut aufgestellt, wir haben tolle Läuferinnen dabei. Und ich will in Bestform an den Start gehen, meine Bestzeit gerne auf 2:27 Stunden verbessern. Dafür hätte ich am liebsten 12 Grad und Nieselregen an dem Tag, denn mit Hitze komme ich nicht gut zurecht. Aber egal welches Wetter mich dort erwartet, ich werde für mich laufen. Damit habe ich in Berlin schon einmal gute Erfahrungen gemacht.

  Auszüge aus der Karriere von Katharina Heinig
2008 3. Platz Jugend-DM 3.000 Meter Berlin
2009 Deutsche Juniorenmeisterin Halbmarathon
2010 1. Platz Köln Marathon, es war ihr Debüt, Deutsche Juniorenmeisterin Halbmarathon
2011 Ermüdungsbruch im Fuß, lief trotzdem den Hannover-Marathon und wurde Fünfte, Deutsche Juniorenmeisterin Halbmarathon
2012 3. Platz Deutsche Halbmarathon-Meisterschaften, 11. Platz Hannover-Marathon trotz Magen-Darm-Infekt
2013 Vater Wolfgang übergibt das Training an Mutter Katrin Dörre-Heinig, 7. Platz Hamburg Marathon
2014 2. Platz Deutsche Halbmarathon-Meisterschaften, 28. Platz EM trotz gesundheitlicher Probleme
2015 OP: Ein angeborener Fersensporn, der immer wieder zu Problemen geführt hatte, muss entfernt werden
2016 5. Platz Berlin Marathon in 2:28:34 Stunden – erstmals unter 2:30. Nach dem Aus beim Zürich-Marathon aufgrund von Unterkühlung und der Lebensmittelvergiftung im Sommer.
2017 39. Platz WM, 8. Platz Frankfurt-Marathon und Deutsche Marathon-Meisterin
2018 Nominiert für die EM
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