USA-Stipendium - Zwischen Chance und Risiko
Es klingt verlockend für alle, die Studium und Spitzensport miteinander verbinden wollen: freie Kost und Logis, akademische Berater, ein Tagesablauf wie auf den Leib geschnitten, starke Trainingsgruppen und bei Erfolg auch noch der ein oder andere Dollar extra. Viele deutsche Sportler erhoffen sich von einem Stipendium für ein US-College persönlich, akademisch und sportlich neue Impulse. Doch die Erfahrung zeigt, dass gerade der sportliche Durchbruch kein Selbstläufer ist.
Anne Kesselring (LAC Quelle Fürth) trainiert an der University of Oregon für die 800 Meter, Nico Weiler (VfL Sindelfingen) schwingt sich in Harvard mit dem Stab über die Latte, Sebastian Barth (LG Würm Athletik) ist Hürdensprinter für die University of Northern Iowa, und auch die Mittelstreckenläufer Patrick Schoenball (ABC Ludwigshafen) und Alexander Schwab (VfL Sindelfingen) studieren und trainieren seit kurzem an amerikanischen Universitäten.Sie zählen zu den zahlreichen deutschen Athleten, die ihren Lebensmittelpunkt in die USA verlegt haben. Während einige Sportler nur mal ein Jahr lang College-Luft schnuppern wollen, absolvieren andere vierjährige Bachelor-Studiengänge oder schließen an den deutschen Bachelor-Abschluss ein US-Master-Studium an.
Erfolg des Colleges im Mittelpunkt
Dietmar Chounard, als Bundestrainer im Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV) zuständig für die Athleten der Jugend U20 und die Junioren U23, sieht die Abwanderung deutscher Athleten an US-Colleges auch mit Sorgen. Seine Erfahrung zeigt, dass nur die wenigsten der hoffnungsvollen Nachwuchs-Leichtathleten in den USA den sportlichen Durchbruch schaffen.
Der Bundestrainer berichtet von Fällen, in denen Dreispringer regelmäßig im Weitsprung und in der Staffel aushelfen oder in denen Langstreckler über die Mittelstrecken Punkte für das College-Team sammeln müssen. Bedenklich sei dabei nicht ausschließlich die Doppelbelastung, sondern dass häufig der Erfolg des Teams Vorrang habe vor den individuellen Bedürfnissen der Athleten.
„Wir raten vor allem Athleten der Nationalmannschaft davon ab, in die USA zu gehen“, erklärt Dietmar Chounard. Kaderathleten hätten in Deutschland eine bessere, weil individuellere Förderung, genau abgestimmt auf ihre Stärken und Schwächen. Außerdem könnten sie auf ein großes Netz erfahrener und kompetenter Trainer an zahlreichen Leistungsstützpunkten zurückgreifen.
Werbung von Athleten für Athleten
Positive Erfahrungen hat dagegen Simon Stützel gemacht, der an der Queens University in Charlotte (North Carolina) studierte. Er schraubte während seines US-Aufenthalts seine 1.500-Meter-Bestzeit von 3:52 Minuten auf 3:45,01 Minuten und steigerte sich auch über die längeren Strecken deutlich.
Der 25-Jährige, der seit seiner Rückkehr nach Deutschland für den TV Wattenscheid 01 startet, gibt seine Erfahrungen und sein Wissen nun selbst weiter: Als Gründer und Managing Partner von Scholarbook berät er Sportler im Bewerbungs- und Auswahlprozess von US-Stipendien.
Frauen haben es leichter
Das geforderte Leistungsniveau der Stipendiaten variiert von College zu College. Wer es bei Deutschen Meisterschaften in den Endkampf oder Endlauf geschafft hat, habe gute Chancen auf die Zusage einer amerikanischen Uni, sagt Simon Stützel.
Grundsätzlich gelte: Je besser die Leistung eines Sportlers, umso mehr Angebote von US-Colleges erhält er und umso freier kann er wählen. Dabei hätten es Frauen grundsätzlich leichter, ein Vollstipendium zu erhalten als Männer.
Simon Stützel empfiehlt Interessenten, den USA-Aufenthalt gleich an den Schulabschluss anzufügen. "Je älter man ist, desto schwieriger wird es nämlich", erklärt er. Auch das Master-Studium eigne sich für einen Wechsel an ein US-College. Bei der Auswahl von Universitäten sei entscheidend, dass der Athlet in seiner Paradedisziplin optimal gefördert wird, das heißt vor Ort kompetente Trainer und gute Trainingsbedingungen vorfindet.
Starke Trainingsgruppen ein Plus?
Ein Aspekt, von dem der Wattenscheider besonders schwärmt, ist die hohe Leistungsdichte an US-Colleges: Eine ähnlich starke Trainingsgruppe wie die, die er in den USA vorgefunden hat, gebe es in Deutschland im Mittelstrecken-Bereich nicht, erklärt er.
Genau hier sieht Dietmar Chounard aber auch eines der Risiken am USA-Aufenthalt: Die Leistungsdichte in den USA sei so hoch, dass das Scheitern einzelner Athleten eher in Kauf genommen werden könne als in Deutschland, wo die Zahl der großen Talente und Hoffnungsträger geringer ist.
„Für ein College ist es nicht die oberste Priorität, eine 1,80-Meter-Hochspringerin auf dem Weg zu 1,86 Meter zu unterstützen“, erklärt er. Vielmehr gehe es darum, die vielseitigen Fähigkeiten von Athleten für ein bestmögliches Teamergebnis einzusetzen. Eine individuelle Förderung fänden Athletinnen und Athleten eher in Deutschland vor.
Vorteile für Athleten der zweiten Reihe
Vorteile in der dualen Karriereplanung bietet ein US-Stipendium dagegen vielen, die nicht als Kaderathlet vom deutschen Fördersystem profitieren können – so wie Sabrina Hochreuther. Die 21-Jährige Stabhochspringerin studiert an der Universität von Memphis (Tennessee) Kriminalwissenschaften und kann damit ihren Traumberuf mit ihrem sportlichen Ziel verbinden, das lautet: „Die 4-Meter-Marke endlich knacken!“
Auch der Mittelstreckler Patrick Schoenball, 2011 Sechster der Deutschen Meisterschaften über 800 Meter, hatte in Deutschland Probleme, den Sport mit dem Studium optimal zu vereinbaren. Nun läuft und studiert er an der Baylor Universität (Texas), für deren Track & Field Team auch die US-400-Meter-Legenden Michael Johnson und Jeremy Wariner an den Start gingen.
Der Ludwigshafener hat sich intensiv mit der Auswahl des passenden Colleges und des richtigen Trainers beschäftigt. Seine ersten Eindrücke sind positiv: „Es ist durch ständige Meetings ein Teamgefühl vorhanden, das ich zuvor bei einem Individualsport wie der Leichtathletik nicht kennen gelernt habe“, sagt er.