| Interview der Woche

Verena Sailer: "Gute Karriere, guter Abschluss"

Sie hat ihr letztes Rennen genossen. Beim ISTAF in Berlin hat sich Verena Sailer am Sonntag in 11,37 Sekunden von der Sprintbahn verabschiedet. Gelöst erzählte die 29-Jährige hinterher im Interview mit leichtathletik.de, wie es zu der Entscheidung kam. Außerdem können Sie die Karriere der Europameisterin von 2010 in einer Bildergallerie Revue passieren lassen.
Jan-Henner Reitze

Verena Sailer, wie haben Sie den Tag ihres letzten Rennens erlebt?

Verena Sailer:

Beim Aufwärmen musste ich mich zusammenreißen. Es war der Gedanke im Kopf, dass es das letzte Mal ist. Das fing schon in der Woche davor an, als ich zum letzten Mal vor einem Wettkampf zum Training gegangen bin. Ich habe mir dann immer gesagt: Versuch jetzt alles so zu machen, wie immer. Heulen kannst du danach. Ich wollte noch einmal einen schönen Lauf machen.

Ist Ihnen das gelungen?

Verena Sailer:

Ja. Der Lauf hat sich super angefühlt, wie schon der ganze Tag. Die richtige Anspannung am Wettkampftag habe ich in letzter Zeit immer mal vermisst. Diesmal war alles auf einen Schlag wieder da, wie es auch sonst vor guten Rennen war. Es war ein super Abschluss und ich kann mit einem sehr guten Gefühl aus der Karriere gehen. Berlin, das ISTAF und die blaue Bahn im Olympiastadion waren dafür ein guter Ort, der einen besonderen Stellenwert in meiner Karriere gehabt hat. Hier habe ich mit der WM-Bronzemedaille in der Staffel meinen ersten ganz großen Moment erlebt.

Für viele kommt Ihr Karriereende überraschend, besonders weil im kommenden Jahr die Olympischen Spiele in Rio de Janeiro anstehen. Für eigentlich alle Top-Athleten das große Ziel...

Verena Sailer:

Natürlich habe auch ich über Rio nachgedacht, aber ich wollte meine Entscheidung nicht von einem Großereignis abhängig machen. Jedes Jahr kommt wieder ein Neues. Es ist ein Hamsterrad, das sich ständig dreht. Nach Olympia wären es wieder nur zwei Jahre bis zur EM in Berlin. Das hört nie auf. Für mich fühlt sich die Entscheidung jetzt gut und richtig an. Es war mir wichtig, dass ich neben einer guten Karriere auch einen guten Abschluss finden kann.

Das bedeutet die Entscheidung ist über längere Zeit gereift?

Verena Sailer:

Stimmt. Ich habe mir schon eine längere Zeit Gedanken darüber gemacht, wie ich aufhören möchte. Ich wollte es selbst entscheiden und nicht dazu gezwungen werden, zum Beispiel durch Verletzungen. Dieses Jahr gab es ein paar Probleme. Ich werde nicht jünger. Das würde in den nächsten Jahren nicht besser werden. Außerdem beginnt sich der Focus zu verschieben. Mir war immer wichtig, zu hundert Prozent das zu wollen, was ich mache. Das beginnt zu kippen und ich wollte im richtigen Moment die Entscheidung treffen.

Sportlich hat das Jahr mit Bestzeiten und Bronze bei der Hallen-EM über 60 Meter begonnen. Im Sommer lief es aber nicht ganz rund, oder?

Verena Sailer:

Es lief nicht so perfekt, wie viele der anderen Jahre. Ich hatte am Anfang des Sommers eine Zerrung und kurz vor der WM eine leichte Wadenverletzung. Auf der anderen Seite bin ich gut drauf gewesen in diesem Jahr. Auf Grund der Bedingungen hat das auf dem Papier manchmal nicht so gut ausgesehen. Aber besonders die 11,10 bei Windstille vor der WM in Mannheim haben gezeigt, dass ich schnell bin. Das Jahr hat sich gut angefühlt. Das war mir zum Abschluss wichtig. Ich möchte nach 12 Jahren Leistungssport gerne etwas Neues machen.

Haben Sie schon Pläne für Ihre berufliche Zukunft?

Verena Sailer:

Das kann ich noch nicht zu hundert Prozent sagen. Ich habe meine Fühler ausgestreckt. Es gibt Gespräche. Es ist noch nicht spruchreif.

Was nehmen Sie aus dem Sport mit in Richtung Zukunft?

Verena Sailer:

Neben den sportlichen Erfolgen, wo außer der WM-Bronzemedaille mit der Staffel 2009 der Europameistertitel in Barcelona das große Highlight war, habe ich sehr viele positive Erlebnisse gehabt. Der Leistungssport besteht ja nicht nur aus diesen elf Sekunden auf der Bahn. Ich habe viele Reisen gemacht, neue Länder kennen gelernt, neue Kulturen und viele Leute. Ich habe Freundschaften geschlossen, auch international. Ich habe viel fürs Leben gelernt: Mit Erfolg und Niederlagen umzugehen, Geduld zu haben und positiv zu bleiben, wenn es mal nicht so läuft. Man arbeitet sehr lang auf ein Ziel hin und hat dann nur die eine kurze Möglichkeit, das zu zeigen, was man sich über Jahre aufgebaut hat. Das macht die Spannung aus. Für all diese Erfahrungen bin ich sehr dankbar.

Sie haben sich über Jahre hinweg kontinuierlich gesteigert und nur 2011 verletzungsbedingt länger pausieren müssen. Welchen Anteil hat Ihr Trainer Valerij Bauer an Ihrer Karriere?

Verena Sailer:

Den Größten. Er und seine Frau, meine Physiotherapeutin. Beide haben mich maximal gut behandelt und betreut. Mein Trainer hat immer gescherzt: Ich mache Verena kaputt und meine Frau macht sie wieder ganz. Wir haben eine intensive Zeit erlebt, uns zusammen nach oben gearbeitet. So eine Konstellation zu finden, ist alles andere als selbstverständlich. Die beiden sind zu Familie geworden. Dazu gehören auch der Verein, der Olympiastützpunkt und da speziell die Zusammenarbeit im Kraftraum. Außerdem Partner und Sponsoren. Ganz viele waren beteiligt. Allein schafft man so etwas nicht.

Sie haben das Krafttraining angesprochen. War das ein Schlüssel zu Ihrem Erfolg?

Verena Sailer:

Es wurde gerne gesagt: Verena Sailer ist belastungsresistent, wie eine Maschine. Das stimmt gar nicht. Es gab Ärzte, die mir wegen meines Rückens mit 18 vom Leistungssport abgeraten haben. Ich war anfällig und brauchte deshalb viel physiotherapeutische Betreuung. Mein Trainer hat sich überlegt, wie man das kompensieren kann.  Wir haben einen neuen Weg eingeschlagen.  Es hat funktioniert und wird mittlerweile auch von anderen in Deutschland angewendet. Mein Trainer hat in diese Richtung eine Vorreiterrolle gespielt.

Dass es dem Sprint der Frauen gut geht, zeigt auch der Blick auf den Nachwuchs. In dieser Hinsicht können Sie guten Gewissens abtreten…

Verena Sailer:

Es kommt gut etwas nach. Das ist schön zu sehen. In diesem Jahr hat es riesig Spaß gemacht, mit den jungen Mädels in der Staffel zu laufen. Da war auch wieder eine Unbeschwertheit da. Ich bin zum Beispiel absolut von Gina [Lückenkemper] begeistert. Aus ihr kann etwas werden. Auch in meiner Gruppe ist mit Alexandra [Burghardt] ein großes Talent. Da bin ich gespannt.

Werden Sie dem Sprint in Deutschland verbunden bleiben?

Verena Sailer:

Ich werde die Entwicklung verfolgen und die Mädels können immer auf mich zu kommen. Selbst werde ich natürlich auch noch abtrainieren.

Vielen Dank für das Gespräch und im Namen des gesamten Teams von leichtathletik.de alles Gute für die Zukunft!

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