Verena Sailer: "Perfekt ist anders"
Sie ist Deutschlands Sprintkönigin. Verena Sailer (MTG Mannheim) lief am Freitagabend in Weinheim in 11,02 Sekunden die schnellste Zeit einer Europäerin in diesem Jahr über 100 Meter. Damit war sie so schnell wie noch nie zuvor in ihrer Karriere. Im Interview spricht die ehemalige Europameisterin über ärgerliche zwei Hundertstel, über ein Team-Gefühl als Individualsportlerin und die jüngsten Doping-Enthüllungen.
Kratzt an der Elf-Sekunden-Marke: Verena Sailer (Foto: DLV)
Verena Sailer, was für eine Zeit. 11,02 Sekunden – das ist Platz acht der ewigen deutschen Bestenliste. Wie klingt das?Verena Sailer:
Schon heftig schnell. Aber für mich kam die Zeit gar nicht so überraschend. Ich habe in London schon gemerkt, dass ich gut in Form bin und das konnte ich heute bei optimalen Bedingungen auch zeigen.
Dabei war es gar nicht der vielzitierte perfekte Lauf. Am Start haben Sie noch einiges liegen lassen. Wie sehr ärgert Sie, dass Sie da vielleicht eine Zeit unter elf Sekunden verschenkt haben?
Verena Sailer:
Ich kann besser starten, keine Frage, perfekt ist anders, das ist dann schon etwas ärgerlich. Aber auch so finde die Zeit super. 11,02 Sekunden, das muss man erstmal laufen. Und ich habe ja immer gesagt, dass für eine Zeit unter elf Sekunden so ziemlich alles stimmen muss. Das läuft man nicht einfach so, auch wenn man in super Form ist. Das haben wir ja in Weinheim gesehen.
Vielleicht stimmt in Moskau ja alles?
Verena Sailer:
Schön wäre es, ja. Aber ich setze mich damit jetzt nicht unter Druck. Ich glaube, dass eine Zeit unter elf Sekunden grundsätzlich möglich ist, aber wenn ich Donnerstag nach Moskau fliege, dann habe ich keine genaue Zeit im Kopf. Ich will da einfach mein Besten geben, mich gut fühlen und dann schauen wir mal. Wichtig ist, dass ich mich da nur auf mich konzentriere und mich nicht ablenken lasse.
Doch nur wenige Tage nach Ihrem Einzelstart in Moskau müssen Sie sich auch auf andere konzentrieren. Da starten Sie als Mitglied der deutschen 4x100-Meter-Staffel. Wie schwer fällt dieser Umschwung von der Einzelkämpferin zur Teamspielerin?
Verena Sailer:
Bei Meetings wie in Weinheim ist das schwieriger. Hier sind wir erst Gegner und nur kurz danach sind wir ein Staffel-Team. Da muss die Umstellung ja innerhalb von knapp einer Stunde stattfinden. Das zu schaffen, ist die hohe Kunst. Klar, ich bin eine Individualsportlerin. Aber in Moskau liegt mehr Zeit zwischen den Starts. Erstmal steht dort mein Einzelstart im Vordergrund, und so lange ich da im Wettkampf bin denke ich nicht an die Staffel. Wenn das vorbei ist, falle ich immer erst kurz in ein mentales Loch. Das ist aber gut, denn damit schließe ich den Einzelstart ab und kann mich wieder neu fokussieren. Dann auf die Staffel. Und auf die freue ich mich schon jetzt.
Was macht mehr Spaß? Staffel oder Einzelstart?
Verena Sailer:
Das kann ich gar nicht sagen, das sind im Prinzip zwei verschiedene Disziplinen für mich. Als 100-Meter-Läuferin sehe ich mich zwar auch als Team mit meinem Trainer, aber wenn ich in der Staffel laufe, mit den Mädels, dann ist das schon noch ein anderes Team-Gefühl. Und das genieße ich auch immer sehr.
Was glauben Sie, wozu ist das Staffelteam in Moskau fähig?
Verena Sailer:
Dazu kann ich gar keine Prognose abgeben. In der Staffel ist es bei den Frauen so eng. Da sind bestimmt zehn Teams, die unter 43 Sekunden laufen können. Aber das können wir auch. Was wir in Weinheim gezeigt haben, war bei weitem nicht alles.
Sie sind derzeit mit Abstand die schnellste deutsche Sprinterin und das auch schon seit Jahren. Wie schafft es Ihr Trainer Valerij Bauer, dass Sie immer zum Saisonhöhepunkt in absoluter Topform sind?
Verena Sailer:
Wir sind ein eingespieltes Team. Valerij kennt mich unglaublich gut, er weiß genau, was ich wann an Trainingsreizen brauche. In diesem Jahr spielt aber auch mein Kopf eine große Rolle. Ich mache mir keinen Druck, ich genieße, dass ich das machen darf, was mir am meisten Spaß macht: schnell laufen. Und deshalb klappt es in diesem Jahr auch so gut. Ich habe aus den Rückschlägen, die ich die letzten Jahre ja durchaus hatte, gelernt. Ich glaube sowieso, dass man aus Niederlagen am meisten lernt.
Als Niederlage haben viele auch die jüngsten Dopingenthüllungen empfunden. Sie auch?
Verena Sailer:
Es ist ein Tiefpunkt für unsere Sportart, definitiv. Und ich war ehrlich persönlich enttäuscht, dass diese Athleten unserem Sport so etwas antun. Aber es ist gut, dass die Betrüger erwischt werden. Und da sind wir auch wieder bei dem Individualsportler: Ich weiß für mich, dass ich absolut sauber bin. Ich unterstelle keiner Athletin, die schneller ist als ich, dass sie dopt, das würde mich auch verrückt machen und Kraft kosten. Wichtig ist für mich, dass ich ein reines Gewissen habe und weiß, dass ich meine Leistungen ohne illegale Mittel vollbringe.
Video: Verena Sailer in Höchstform