Goldene Zeiten für Maria Mutola
Sie ist die Seriensiegerin. Maria de Lourdes Mutola, die 800-Meter-Spezialistin, hat die Konkurrenz fest im Griff. Ungeschlagen ist sie durch den heißen Sommer getingelt. Ob Stephanie Graf oder Jolanda Jeplak oder sonst wer – keine konnte die Power-Frau aus Mosambik in ihrem Tatendrang bremsen. Sie ist die einzige im Leichtathletik-Zirkus der Sensationen, die bis dato alle fünf Rennen der lukrativen Golden League gewonnen hat. Maria Mutola ist auch die haushohe Favoriten im "Stade de France" von St. Denis. Wer, bitte schön, soll sie im Endlauf am Dienstagabend stoppen?
Maria Mutola in ihrem WM-Vorlauf. (Foto: Kiefner)
Der mit einer Million US-Dollar (880.000 Euro) gefüllte Jackpot der Golden League-Serie gehört ihr ganz allein, wenn sie auch noch die allerletzte Etappe am 5. September in Brüssel erfolgreich hinter sich bringt. Aber davon will Maria Mutola in diesen Tagen nichts wissen. Das sei Zukunftsmusik. "Was jetzt zählt, ist das WM-Finale", sagt sie, die auch schon ein wenig despektierlich als "laufender Geldschrank" bezeichnet wird, "ich muss jetzt die Gedanken an das viele Geld verdrängen und mich statt dessen hundertprozentig auf die WM konzentrieren." Nach dem Ausfall von Jolanda Ceplak werden Stephanie Graf und Kelly Holmes, mit der sie schon häufig zusammen trainiert hat, als ihre Rivalinnen gehandelt. Claudia Gesell, die deutsche Meisterin, ist Außenseiterin.
Großer Druck auf ihren Schultern
Der Druck lastet zentnerschwer auf ihren Schultern. Doch Maria Mutola ist hart im Nehmen. Sie trommelte bereits am Eröffnungstag mit ihren Beinen so kraftvoll durch den Vorlauf, dass der rote Kunststoffbelag unter ihren Füßen wegzutauchen schien. "Ich bin in einer hervorragenden Form", tönt Mutola voller Selbstbewusstsein, "und ich bin zuversichtlich, dass ich meinen Titel auch verteidigen werde." Wohlwissend, dass in jedem Schritt, der sie vorwärts bringt, die Kraft eines Turboladers steckt.
Fußball hat sie früher gespielt. "Mein Traum war immer, in einer Profi-Mannschaft mein Geld zu verdienen", erzählt Maria Mutola, die mit 1:55,19 Minuten (Zürich 1994) auf Platz sieben in der ewigen Weltbestenliste geführt wird, "doch dann bin ich bei der Leichtathletik gelandet." Was für eine glückliche Fügung des Schicksals, denn auf der klassischen Mittelstrecke über 800 Meter sammelt sie die Titel wie andere Leute Briefmarken.
Fünfmal Weltmeisterin und einmal Olympiasiegern
Eine weitere Goldmedaille würde sich in ihrer stattlichen Sammlung gut machen! Was hat sie nicht schon alles erlebt in ihrer unvergleichlichen Karriere. Olympiasiegerin war sie, Weltmeisterin sowohl fünf Mal in der Halle als auch zwei Mal im Freien. Maria Mutola, die Unersättliche, strotzt vor Ehrgeiz. Verlieren? Kann sie nicht. Gewinnen? Will sie so oft wie nur möglich. "Ich will in Paris überleben", sagt sie ein wenig martialisch, "und danach kommt Brüssel."
Maria Mutola ist ein Kraftwerk auf zwei Beinen. Sie misst 1,62 Meter und bringt 61 Kilo auf die Waage. Einmal in Fahrt gekommen, gleicht sie einem Perpetuum Mobile, das kaum mehr zu bremsen ist! Nichts, so scheint es, vermag sie aufzuhalten. Daheim in Mosambik wird sie wie eine Nationalheldin verehrt. Maria Mutola ist ein Star, aber einer, der bei allen Erfolgen schön auf dem Teppich geblieben ist. Sie hebt nicht ab und fällt nicht auf. "Nach wie vor habe ich eine enge Beziehung zu meiner Heimat", so Mutola, "auch wenn ich mir nicht vorstellen kann, dort wieder zu leben." Wann immer sie die Chance hat, nimmt sie den Flieger und düst nach Maputo, in die Hauptstadt von Mozambik. Dort ist die Schule, die sie einst besucht hat, nach ihr benannt worden, auch eine Straße trägt ihren Namen. "Weil mich meine Eltern bloß im Fernsehen sehen", bemerkt Mutola mit einem strahlenden Lächeln, "muss ich sie halt häufiger besuchen." Leben möchte sie nicht mehr in diesem kargen Land, in dem 38 Prozent der Bevölkerung ein trauriges Dasein unter der Armutsgrenze fristen und 72 Prozent der Frauen zu den Analphabeten zählen.
Entdeckt von einem Dichter
In Maputo liegen ihre Wurzeln. Da ist sie aufgewachsen gemeinsam mit ihren fünf Geschwistern. José Craverinha, ein bekannter Dichter, entdeckte Maria Mutola auf den Straßen der Kapitale von Mosambik, wo sie mit den Jungs Fußball spielte. Er und sein Sohn, ein Leichtathletik-Coach, redeten damals unaufhörlich auf sie ein, bis die kleine Maria ein wenig traurig von der Lederkugel abließ und sich dem schnellen Laufen widmete. "Ohne ihr Reden wäre ich wohl in irgendeinem portugiesischen Fußballteam gelandet", kramt sie in ihren Erinnerungen, "mit gerade mal sechzehn Jahren bin ich dann in die USA geflogen." Die Eltern wollten anfangs nicht, dass ihr jüngstes Kind, das "Nesthäkchen", im Land der unbegrenzten Möglichkeiten studiert. Doch ein Stipendium des Olympischen Solidarität-Komitees garantierte ihr eine grundsolide Ausbildung und obendrein hervorragende Trainingsmöglichkeiten.
Die Umstellung war zunächst groß. Riesengroß. "Ich konnte kein Wort Englisch und fühlte mich völlig einsam." Doch Maria Mutola setzte sich durch, studierte Englisch in Eugene im Bundesstaat Oregon und wurde auf der Laufbahn von Jeff und Margo Fund betreut.
Mittlerweile ist Maria Mutola, die wegen ihrer Pollenallergie seit knapp drei Jahren in Südafrika, in der Nähe von Johannesburg, lebt, eine dicke Nummer in der Sportszene. Risikolos kann man sie verpflichten, denn die nimmermüde Tempobolzerin gibt stets ihr Maximum. Halbe Sachen sind nicht ihr Ding! Mutola geht aufs Ganze, sie will gewinnen, immer und immer wieder. Niederlagen sind ihr ein Greuel und Siege das pure Vergnügen.
Das große Ziel ist nochmal Olympia
Aber langsam kommt sie in ein Alter, in dem man sich Gedanken macht über das Ende der Karriere. Sagt sie zumindest. "Ich werde im Oktober 30", verrät Maria Mutola, "und habe noch ein hohes Ziel vor Augen: die Olympischen Spiele in Athen 2004." Bis dahin will sie weiter machen. Paris und die WM sind eine wichtige Etappe auf dem beschwerlichen Weg. Mit einer Goldmedaille im Gepäck und vielleicht auch um 50 Kilo Gold oder eine Million US-Dollar reicher aus dem Jackpot der Golden League, wäre sie so motiviert wie nie zuvor in ihrer glanzvollen Laufbahn.