Viele Wege führen nach London
Im internationalen Marathonkalender geht es im April Schlag auf Schlag: Auf Rotterdam (Niederlande, 15. April) folgt einen Tag später Boston (USA) und sechs Tage darauf London (Großbritannien). Die hochklassigen Frühjahrsmarathons lassen Spitzenzeiten erwarten und dienen zur Standortbestimmung im Olympiajahr. Die meisten deutschen Olympia-Kandidaten haben sich jedoch für andere Wege entschieden.
Beim Angriff auf die Norm gehen die Athleten des Deutschen Leichtathletik-Verbands (DLV) getrennte Wege. „Ursprünglich wollten wir gemeinsam beim Rotterdam-Marathon starten“, so Tono Kirschbaum, Bundestrainer für die Langstrecke. Dieser Plan hat sich zerschlagen, da der Veranstalter keine ausreichende Betreuung der deutschen Athleten gewährleisten konnte. Man wollte sich lieber an der niederländischen Norm von 2:10 Stunden orientieren.Letztlich waren persönliche Präferenzen bei der Wahl eines Qualifikationsrennens ausschlaggebend. Jan Fitschen (TV Wattenscheid 01) und André Pollmächer (Rhein-Marathon Düsseldorf) entschieden sich für Düsseldorf (29. April), während Falk Cierpinski (SG Spergau) dem am gleichen Tag stattfindenden Hamburg-Marathon den Vorzug gibt.
„Ich bin mir sicher, dass beide Veranstalter absolute Topbedingungen bieten werden. Klar hätten wir gerne alle drei in einem Rennen gesehen. Aber ich bin zuversichtlich, dass es auch so klappen kann“, kommentiert Marathon-Bundestrainer Ronald Weigel die Entscheidung.
Zwischen Zuversicht und Skepsis
Leicht wird es mit der Normerfüllung indes nicht, dessen ist sich Ronald Weigel sicher. „Die Chance ist minimal, da müssen wir realistisch bleiben. Die Ausgangslage sieht nicht gut aus, aber mit einer positiven Einstellung werden wir es nichtsdestotrotz versuchen.“
Gleichzeitig befürwortet er ebenso wie Tono Kirschbaum die schwierige DLV-Norm (2:12 h). „Ich stehe zu 100 Prozent hinter dieser Norm, das habe ich immer gesagt.“
Tono Kirschbaum blickt optimistischer auf die „Mission Olympianorm“. „Jan ist in guter Verfassung, und auch von André und Falk habe ich positive Rückmeldung.“
Mit vereinten Kräften
Wichtig wird es, dass Jan Fitschen und André Pollmächer in Düsseldorf eine Gruppe finden, in der sie mitlaufen können, um Kräfte zu sparen. Daneben sollen weitere Tempomacher für das Duo laufen. Jan Fitschen ist guter Dinge: „Zum jetzigen Zeitpunkt läuft alles prima. Bei gutem Wetter und optimalem Vorbereitungsverlauf stehen die Chancen 80:20.“
In Hamburg bekommt Falk Cierpinski möglicherweise Unterstützung von Martin Beckmann (LG Leinfelden-Echterdingen). Tono Kirschbaum zählt den 34-Jährigen neben dem genannten Trio zu den aussichtsreichsten Kandidaten für ein Ticket nach London. „Wir werden sicherlich mit dem gleichen Anfangstempo loslaufen. Da macht es Sinn, sich zusammenzutun“, erläutert Falk Cierpinski die Ausgangslage.
Wolfram Müller macht Tempo
Damit die Marschroute stimmt, wird Wolfram Müller (Erfurter LAC) in der Hansestadt für die Pace sorgen, geplante Halbmarathon-Durchgangszeit 65:30 Minuten, angepeilte Endzeit 2:11 Stunden. Bleibt nur der Wind als unberechenbare Größe.
Unterdessen dämpft Falk Cierpinski die Erwartungen. „Ich werde sicherlich nicht mit der Einstellung nach Hamburg fahren: Nur die Norm und sonst nichts! Nach drei Jahren ohne vernünftigen Wettkampf will ich einfach wieder ein gutes Rennen und eine schnelle Zeit abliefern. Die Norm wird sehr schwierig.“
Station in Kenia und Mexiko
Um sich den Feinschliff für Düsseldorf zu holen, hat Jan Fitschen schon zum zweiten Mal in diesem Jahr seine Zelte in Kenia aufgeschlagen. André Pollmächer, der die gesundheitlichen Probleme Ende letzten Jahres gut überstanden hat, widmet sich in der Höhe von Mexiko mit vollem Einsatz dem „Projekt London“.
Falk Cierpinski hat gerade ein dreiwöchiges Trainingslager in Kenia absolviert und bevorzugt für die letzte Vorbereitungsphase heimische Gefilde.
Neben diesen Vieren wäre wohl höchstens noch Sören Kah (LG Lahn-Aar Esterau) der Sprung in den Bereich der Norm zuzutrauen, der aber als persönliches Ziel für den Hamburg-Marathon eine Zeit von 2:15 Stunden ausgegeben hat.
Susanne Hahn mit guten Karten
Während bei den Männern die Normerfüllung noch aussteht, haben bei den Frauen schon drei DLV-Athletinnen die geforderten 2:30 Stunden unterboten:
Susanne Hahn (SV schlau.com Saar 05 Saarbrücken), Irina Mikitenko (LC Gelnhausen) und Sabrina Mockenhaupt (LG Sieg). Letztere konzentriert sich im Sommer jedoch auf die Bahn-Wettbewerbe.
Susanne Hahn hat den bis zum 31. Mai geforderten zusätzlichen Leistungsnachweis mit ihrem Sieg beim 10-Kilometer-Lauf in Leverkusen (33:16 min) bereits erbracht. So kann sich die 33-Jährige ganz auf die Olympiavorbereitung konzentrieren. Auch wenn Ronald Weigel betont, dass im Rennen um die Olympiatickets noch „alles offen“ sei, sollte sie sich ihres Startplatzes relativ sicher sein.
Für die Vorbereitung wählt die Saarbrückerin einen ähnlichen Weg wie vor dem letztjährigen Frankfurt-Marathon. „Es sind zwei Trainingslager geplant. Ab Mai beginnt dann die dreimonatige Marathonvorbereitung.“ Bis dahin will sie sich mit Prognosen für Olympia zurückhalten. „Solange ich nicht in der direkten Vorbereitung bin, lassen sich keine konkreten Aussagen machen.“ Die Trainingswerte zum jetzigen Zeitpunkt stimmen jedoch optimistisch.
Irina Mikitenko wieder in London
Irina Mikitenko, die „Grand Dame“ des deutschen Marathons, hat sich als Einzige für einen Start bei einem der großen Frühjahrsmarathons entschieden. Zwei Wochen nach ihrem geplanten 10-Kilometer-Leistungstest beim Paderborner Osterlauf (7. April) wird die zweimalige London-Siegerin an der Themse auf die versammelte Weltelite treffen. Dort ist ein schnelles Rennen zu erwarten, das Gradmesser für die weitere Olympiavorbereitung sein wird. Diese genießt oberste Priorität.
„Irinas größtes Ziel ist eine internationale Medaille“, weiß Tono Kirschbaum. London ist die wohl die letzte Chance auf olympisches Edelmetall für die mittlerweile 39-Jährige. „Mit ihrer Erfahrung und ihren taktischen Fähigkeiten ist sie für mich eine absolute Medaillenkandidatin.“ Nach Platz fünf in Sydney (Australien) 2000 und einem siebten Rang in Athen (Griechenland) 2004 wäre ihr der Sprung aufs Treppchen zu wünschen.
Wer kann überraschen?
Dass noch weitere Athletinnen auf den Olympia-Zug aufspringen hält Bundestrainer Ronald Weigel durchaus für möglich. „Ich weiß, dass es Athletinnen gibt, die es noch versuchen werden.“ Mit Namen hält er sich bedeckt, es werden aber wohl einige jüngere Läuferinnen in diesem Jahr ihr Marathondebüt geben.
Tono Kirschbaum zählt Anna Hahner (run2sky.com) und Simret Restle (PSV Grün-Weiß Kassel) zu den Athletinnen, die kurz- bis mittelfristig in die Regionen der Olympianorm laufen können. Auch der erfahreneren Melanie Kraus (TSV Bayer 04 Leverkusen) attestiert er eine „sehr gute Form“.
Vielleicht gibt es also noch die ein oder andere Überraschung. Es bleibt spannend im Rennen um die Olympia-Tickets.
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