Viktor Röthlin fühlt sich wie im Backofen
Die klassische Strecke des 42,195 Kilometer langen Dauerlaufs von Marathon nach Athen wird den Olympischen Spielen heute noch einmal einen Hauch Historie der besonderen Art verleihen. Viktor Röthlin, der einzige Schweizer im illustren Feld, das heute um 17 Uhr (MEZ) auf die beschwerliche Reise geschickt wird, hat sich schon schlau gemacht und den Kurs im Mai unter die Lupe genommen.
Viktor Röthlin wähnt sich für den Olympischen Marathon gut vorbereitet (Foto: Swiss-Image)
"Natürlich bin ich heilfroh, dass ich vor Ort war, eigentlich hätte ich hier im August lieber Ferien gemacht", erzählte er voller Respekt, "die Strecke selber lässt sich in drei Abschnitte unterteilen: die flachen ersten zehn Kilometer, der hügelige Mittelabschnitt und das abfallene Schlussstück."Viktor Röthlin, der gelernte Physiotherapeut aus Kerns, ist "ein alter Hase" in der Laufszene. Olympisches Flair hat er bereits vor vier Jahren in Sydney erleben dürfen. Auf einem Kurs, der ähnlich anspruchsvoll war, musste Viktor Röthlin Lehrgeld zahlen und finishte auf Platz 36. Weit besser lief es für ihn bei der WM in Paris, wo er als Vierzehnter über die Ziellinie im riesigen "Stade de France" eilte.
In Paris mutig
Mutig, mutig ist er damals in Paris vorneweg mitgerannt. Viktor Röthlin, der schweizer Rekordhalter (2:09:56 in Zürich 2004), löste sich nach dem Startschuss sofort von seinen Mitkonkurrenten und war bei der Live-Übertragung stets im Bild. Allein der später zweitplatzierte Spanier Julio Rey leistete ihm auf den ersten Kilometern Gesellschaft.
"Ich hatte diese Taktik bewusst gewählt, um meinen eigenen Rhythmus zu finden", erinnerte er sich, "und hinterher im Ziel war ich einfach nur glücklich." Mit 2:11:14 Stunden hatte Viktor Röthlin, zugleich fünftbester Europäer, frühzeitig die A-Norm für die Sommerspiele in Athen geknackt. Chapeau! Hut ab.
Probleme in der Vorbereitungsphase
Kleine Rückschläge in der Vorbereitungsphase für Athen musste er allerdings einstecken. Probleme in der Wade nach dem Grand Prix von Bern, eine leichte Erkältung über Pfingsten und Probleme mit der Leiste warfen ihn im Aufbautraining leicht zurück. "Ich bin noch nicht dort, wo ich zu gleicher Zeit vor einem Jahr stand", meinte er noch Ende Juli im Trainingslager in St. Moritz.
Die drohende Hitze kann ihn nicht schrecken. "Ich vertrage so hohe Temperaturen sehr gut", erzählte Viktor Röthlin, der mit Kühlwesten arbeitet wie die Schweizer Nationalmannschaft bei der Fußball-EM in Portugal, "in Sydney war's ähnlich warm." Außerdem weilt er häufig in Kenia zum Höhentraining. "Da ist es auch nicht gerade kühl", lachte Viktor Röthlin, "was mir mehr Angst macht, ist die hohe Luftfeuchtigkeit." Wie in einem Backofen fühle man sich: "Mit Oberhitze, Unterhitze und Umluft, wo die Luft nicht weg kann."
Cool in der Hitze des Gefechts
Viktor Röthlin, der am 14. Oktober seinen 30. Geburtstag feiert, will cool bleiben in der Hitze des Marathon-Gefechts. Sein Traum ist der Sprung in die Top Ten. "In der Weltrangliste stehe ich nicht so weit oben", bemerkte Viktor Röthlin, der auf Position 34 geführt wird, "aber in Athen sind nur drei Läufer pro Nation zugelassen." Dadurch fallen schon mal mehrere Kenianer und Japaner weg. "Außerdem bin ich ein Wettkampftyp." Wenn's hart auf hart geht, weiß er sich zu steigern.
Am späten Abend, wenn alle Anstrengungen und Qualen vergessen sind, will der Rotwein-Liebhaber dann ganz gepflegt anstoßen. Mit einem edlen Tropfen auf einen hoffentlich gelungenen Olympia-Marathon!