Virgilijus Alekna - Legende verlässt den Ring
Na klar, Olympiasieger Robert Harting (SCC Berlin) hat die Diskusschlagzeilen in diesem Jahr dominiert. Dabei ist auch die Karriere eines ganz Großen in dieser Disziplin zu Ende gegangen. Der zweifache Olympiasieger, zweimalige Weltmeister und Europameister Virgilijus Alekna (Litauen) hat eine beeindruckende Bilanz vorzuweisen: 16 Jahre lang hat der 40-Jährige kein großes Finale verpasst, den Weltrekord (74,08 m) dagegen schon - wenn auch nur knapp.
"Wenn die Zeit kommt, aufzuhören, habe ich nichts zu bereuen. Ich habe eine große Medaillensammlung." Das hat Virgilius schon vor den Olympischen Spielen in Peking (China) gesagt, wo er 2008 noch einmal Bronze und seine letzte internationale Medaille holte, nachdem er vorher bei allen großen Meisterschaften schon mindestens einmal ganz oben auf dem Treppchen gestanden hatte.Zu Ende war die Karriere damals aber noch nicht. In den letzten 16 Jahren war der 2-Meter-Mann in allen großen Diskus-Finals mindestens unter den besten sechs, auf dem Weg zu seinem letzten großen Auftritt bei Olympia im vergangenen Sommer ließ er allerdings die EM in Helsinki (Finnland) weg. Als Vierter schrammte der mittlerweile 40-Jährige in London (Großbritannien) nur knapp an einer Medaille vorbei.
Für seine Landleute war er dort die größte Hoffnung. 62,1 Prozent der Litauer trauten ihrem Fahnenträger im Vorfeld der Spiele eine Medaille zu. Einen solch großen Rückhalt bekam nicht mal das Basketballteam (37,8 Prozent), das mit "unserer" Fußball-Nationalmannschaft zu vergleichen ist.
Startschwierigkeiten
Wegen des Status dieser Sportart ist es nicht verwunderlich, dass auch Virgilijus Alekna zuerst von einer Karriere als Basketballer träumte - bei seiner Größe alles andere als abwegig. Auf einer Sportschule im Norden Litauens wollte es damit aber nicht klappen und so griff der Hüne zum Speer, der allerdings auch nicht so recht fliegen wollte. Es drohte sogar der Rauswurf aus der Schule.
Der 5. August 1992 wurde zum Wendepunkt: An diesem Tag schleuderte Romas Ubartas den Diskus im Estadi Olímpic Lluís Companys in Barcelona soweit wie kein anderer Athlet (65,12 m) und holte den ersten Olympiasieg für das unabhängige Litauen. Für Virgilius Alekna, der mittlerweile selbst mit diesem Sportgerät arbeitete, eine Inspiration. Von da an ging es steil bergauf.
Zweikampf mit Lars Riedel
Der Durchbruch gelang bei Olympia 1996 in Atlanta (USA), wo es gleich zu Rang fünf reichte. Ein Jahr später gab es mit WM-Silber die erste Medaille und die deutsche Diskus-Legende Lars Riedel bekam einen starken Rivalen, der im Jahr 2000 erstmals das Ruder übernahm.
Dem erste 70-Meter-Wurf (70,39 m) in Tartu (Estland) folgte bei den nationalen Meisterschaft der Paukenschlag: Mit 73,88 Metern kam Virgilijus Alekna bis auf 20 Zentimeter an den Weltrekord von Jürgen Schult heran. Bis heute der zweitweiteste Wurf in der Geschichte. Unübertroffen ist dagegen dei Zahl der 70-Meter-Würfe des Litauers: In insgesamt 20 Wettkämpfen hat er diese magische Marke geknackt, zuletzt auch in diesem Jahr, als ältester Werfer aller Zeiten.
Logische Folge der in der gesamten Saison 2000 an den Tag gelegten Dominanz war der Olympiasieg in Sydney (Australien). Der Anfang der Unschlagbarkeit war es aber nicht - noch nicht. Lars Riedel schlug ein Jahr später zurück. Nach drei Versuchen sah es bei der WM in Edmonton (Kanada) zwar noch so aus, als müsste der Chemnitzer zum alten Eisen gezählt werden und Virgilijus Alekna würde endgültig zu seinem Nachfolger: Der Litauer führte mit 69,40 Metern klar, der Deutsche lag mit 67,10 Metern deutlich dahinter auf Rang drei. Mit 69,50 Metern im vierten Durchgang und 69,72 Metern im fünften warf Lars Riedel aber nocheinmal all sein Können in die Waagschale und sicherte sich seinen fünften WM-Titel. Ein Kopf an Kopf Rennen auf diesem Niveau gab es bisher bei keiner anderen WM.
Der Unbesiegbare
Zum Überwerfer wurde Virgilius Alekna 2003, als er endlich seinen ersten WM-Titel holte und in den folgenden drei Jahren alle großen Titel absahnte. Dabei ging er bei Olympia 2004 als Geschlagener vom Platz. In Athen (Griechenland) hatte Robert Fazekas (Ungarn) den besten Wurf abgliefert, wurde aber später wegen Dopings disqualifiziert. Virgilius Alekna positioinierte sich bei dieser Gelegenheit zu dem Thema. "Es ist sehr wichtig, dass im Sport Gerechtigkeit herrscht. Ich denke, die Anti-Doping-Regeln müssen noch verschärft werden, um jeden abzuschrecken, es mit verbotenen Mitteln zu versuchen." Er rückte auf Platz eins nach und hält seitdem mit 69,89 Metern auch den Olympischen Rekord.
2005 gelang ihm mit 70,17 Metern bei seinem Sieg in Helsinki der bisher einzige 70-Meter-Wurf bei einer WM. Im gleichen Jahr wurde der Werfer mit einer Armspannweite von 2,22 Metern außerdem zu Europas Athleten des Jahres gewählt. Mit dem EM-Titel 2006 war die Goldsammlung vollständig.
Kürzer Treten nach Verletzung
Eine beeindruckende Siegesserie mit 37 Wettkämpfen ohne Niederlage - eine Leistung, die Robert Harting bald übertreffen könnte - endete bei der WM 2007. Kurz vorher zog sich der zu diesem Zeitpunkt Unschlagbare eine Verletzung zu. In Osaka (Japan) trat Virgilijus Alekna trotzdem an und wurde Vierter. Die WM abzusagen und sich der Konkurrenz entziehen - Nein, das kam nicht in Frage.
Trotzdem änderte sich etwas in der Einstellung - wenn der Körper nicht fit war, wurde er nicht zum Training gezwungen. Der Regeneration wurde eine größere Bedeutung zugestanden - die Jagd nach dem Weltrekord trat in den Hintergrund und endete schließlich ohne Erfolg. Ein kleiner Markel der so langen und sonst so erfolgsgekrönten Karriere. Es gibt noch einen zweiten, der viel weniger ins Gewicht fällt, aber auch zeigt, dass in Sachen Weiten das Glück nicht gerade auf Seiten von Virgilijus Alekna stand: Im Kugelstoßen fehlt ihm ein Zemtimeter zum Club der 20-Meter-Stoßer. Die Bestleistung aus dem Jahr 1997 liegt bei 19,99 Metern.
Privat ist das Glück dagegen perfekt: Der viermalige Sportler des Jahres in Litauen ist mit der früheren Weitspringerin Kristina Sablovskytė-Aleknienė verheiratet, die es nicht bis in die internationale Spitze schaffte, gemeinsam haben die beiden zwei Söhne.
Abenteuerlicher Beruf
Von seinen körperlichen Ausmaßen profitierte Virgilijus Alekna nicht nur sportlich, er nutze sie auch beruflich: Als Bodyguard beschützte er jahrelang den Premierminister seines Heimatlandes. "Psychische Stärke und Konzentration brauche ich im Job und im Stadion", erklärte er zu seiner breitbrüstigen Tätigkeit. Mittlerweile geht es am neuen Arbeitsplatz im Innenministerium etwas ruhiger zu.
Der Versuch, sich an die Spitze des Nationalen Olympischen Komitees (NOC) zu setzten, scheiterte. Bei der Wahl unterlag der Diskuswerfer im Oktober der Olympiasiegerin von 2000 im Schießen Daina Gudzineviciute.
Könnte das für Virgilijus Alekna ein Grund zum Rücktritt vom Rücktritt werden? Zuzutrauen ist es ihm, obwohl er sicher sein kann, dass er schon jetzt eine Legende ist. "Bei Olympia habe ich mit Platz fünf angefangen und mit Platz vier aufgehört. Bei meinen fünf Olympia-Teilnahmen war ich nie schlechter als Platz fünf. Das wird für Sportler aus Litauen schwer zu toppen sein."