| Hinter den Kulissen von Rio

Volunteers – Helden im Hintergrund

Im Mittelpunkt von Sportveranstaltungen stehen die Sportler und ihre Trainer. Doch wer sorgt eigentlich dafür, dass die Wettbewerbe reibungslos über die Bühne gehen? Die Hauptamtlichen der Organisationskomitees, klar. Und viele ehrenamtliche Helfer, die so genannten Volunteers. Wir haben fünf von ihnen während der Olympischen Spiele in Rio getroffen.
Silke Morrissey

Wir drehen die Zeit heute zurück. Nur ein wenig. Zwei Monate genau. Es ist August, die Olympischen Spiele in Rio de Janeiro laufen, wir sind im Estádio Olímpico João Havelange, in dem die Leichtathletik-Wettbewerbe stattfinden. Gerade ist Mittagspause. Das Stadion ist leer – bis auf ein paar Journalisten, die fleißig die letzten Worte in die Tastaturen hämmern. Und bis auf die Volunteers in ihren grünen und gelben Shirts, die das Stadion für die nächste Session herrichten.

Ich bin heute mit fünf der Volunteers, englisch für freiwillige Helfer, zu einem Gespräch verabredet. Mit Claudia Nyhuis, einer von ihnen, stand ich schon Monate vor den Spielen telefonisch in Kontakt. Es war ihre Idee, die Arbeit der Volunteers vorzustellen und damit auch Freiwillige für andere Meisterschaften zu begeistern. Eine gute Idee. Denn eins ist klar: Ohne die Volunteers liefe selbst im hochprofessionalisierten Spitzensport gar nichts.

Zwei Jahre Bewerbungsphase für Rio

Claudia Nyhuis hat Thomas Kauertz, Julia Marinovič, Sebastian Eggers und Svenja Brunstein mitgebracht. Bereits zwei Jahre vor den Spielen haben sie sich für das Volunteering-Programm registriert – wie 250.000 andere Interessenten – und anschließend einen langwierigen und zähen Bewerbungsprozess über sich ergehen lassen, mit Ausfüllen zwölfseitiger Fragebögen, Online-Interviews und Gesprächsrunden.

Die deutschen Bewerber haben sich während dieser Phase bereits per What’sApp & Co. vernetzt. Als dann in einer Nacht weltweit 50.000 Zusagen rausgingen, liefen die Netzwerke heiß: „You have been approved“ – das Zauberwort, auf das alle lange gewartet hatten. „Man muss sportbegeistert sein. Und hartnäckig“, erklärt Thomas Kauertz. Seine ganz persönliche Motivation für die Bewerbung: Er war sieben Jahre lang Mitglied der deutschen Karate-Nationalmannschaft. Karate zählt (noch) nicht zu den olympischen Sportarten – er wollte trotzdem hautnah bei Olympia dabei sein.

6.000 Volunteers in der Leichtathletik

Geschätzt 200 bis 300 deutsche Volunteers haben schließlich die Reise nach Rio angetreten. Die fünf von ihnen, mit denen ich an diesem Tag auf der Tribüne sitze, haben sich alle spezifisch für die Leichtathletik beworben. Insgesamt sind rund 6.000 Freiwillige für die olympische Kernsportart Nummer eins im Einsatz – nicht nur während der zehn Wettkampf-Tage, sondern schon weit im Voraus.

Claudia Nyhuis, die sich als Kampfrichterin und ehemalige Trainerin in der Leichtathletik bestens auskennt, ist schon Anfang Juli nach Rio gereist, um sich auf ihren Einsatz vorzubereiten. Damit war sie allerdings zunächst ziemlich alleine. „Die Dinge hier laufen etwas anders“, musste sie feststellen, als zunächst viele Fragen der Volunteers offen blieben, Ansprechpartner nicht auffindbar waren, Arbeitsmaterialien fehlten, Zuständigkeiten nicht klar geklärt waren.

Aufgabenbereich? „Selbst gesucht“

So müssen die fünf Freiwilligen auch schmunzeln, als ich nach der Bezeichnung ihrer Aufgabenbereiche frage. „Nennen wir es mal Athleten- und Delegationsbetreuung auf dem Aufwärmplatz“, einigen sich Kauertz, Marinovič und Eggers. „Am Anfang habe ich mich schon mal gefragt: Was mache ich hier eigentlich?“ gesteht Julia Marinovič, und die anderen stimmen zu.

Doch die Volunteers zeigen auch Verständnis für die – nennen wir es „brasilianische Art der Organisation“, die stark abhängig von den handelnden Personen ist und von Sportart zu Sportart sowie von Einsatzbereich zu Einsatzbereich unterschiedlich gut verläuft. „Die Berichterstattung in den Medien ist negativer, als man es hier vor Ort wahrnimmt“, sagt Sebastian Eggers. „Ich war schon 2004 in Athen mit dabei, da war es ähnlich“, erklärt Thomas Kauertz. „Das Ergebnis stimmt immer“, stellt Svenja Brunstein fest.

Brunstein und Nyhuis sind im ersten und im Final Call Room eingesetzt, wo sich die Athleten vor ihrem Wettkampf versammeln. Die ersten Stresssituationen haben die zwei Volunteers bereits gemeistert. Als im Call Room Chaos herrschte, griff Claudia Nyhuis kurzentschlossen selbst zum Mikrofon und sorgte für Ordnung. Dafür gab’s von ihren Chefs keineswegs Ärger, sondern Lob und Dankbarkeit – nicht verwunderlich, wenn man weiß, dass viele Volunteers am ersten Tag ihre Uniform abgeholt haben und nie wieder aufgetaucht sind. „Die Brasilianer finden es schön, dass wir hier sind“, sagt Nyhuis, und Sebastian Eggers bestätigt: „Wir erfahren große Wertschätzung.“

Essens-Bons, Fahrkarten, T-Shirts

Dankbarkeit, Wertschätzung und vor allem Wochen voller unvergesslicher Momente und Begegnungen: der Lohn der Volunteers für ihre Mühen. Denn bezahlt werden sie für ihre Dienste nicht, im Gegenteil. Flug und Unterkunft müssen sie selbst organisieren und bezahlen, lediglich ein Willkommens-Paket sowie Essens-Bons, Fahrkarten und einheitliche Kleidung erhalten die freiwilligen Helfer für ihren Einsatz.

„Andere machen vier Wochen Abenteuer-Urlaub. Ich bin hier mittendrin, mit dabei bei den Olympischen Spielen“, sagt Thomas Kauertz. Trotz anfänglicher Schwierigkeiten und täglich neuer Herausforderungen bereut keiner der fünf Volunteers die Entscheidung, für die Strapazen in Rio Urlaub, Freizeit und Erspartes aufzubringen. „Das war mein Traum – den lebe ich“, sagt Sebastian Eggers. Claudia Nyhuis hat schon das Sparkonto für Tokio 2020 angelegt.

Hautnah dran an den Athleten

In Erinnerung bleiben werden ihnen besonders die Begegnungen mit den Athleten und Betreuern: Sei es der indonesische Sprinter, der sich den Traum eines Rennens gegen Usain Bolt erfüllt, das Anheften der Startnummer von Kim Collins oder ein Deal mit dem jamaikanischen Team bei der Zuweisung des Physio-Zelts. „Von vielen werden wir mittlerweile als Partner angesehen“, sagt Sebastian Eggers. „Ashton Eaton läuft auf dem Trainingsplatz ganz normal rum – das sind alle ‚human beings‘“, stellt Thomas Kauertz fest, „bei Fußball-Bundesliga-Spielern wäre das undenkbar.“

Auch ihren ganz eigenen olympischen Moment haben die Volunteers spontan selbst in die Tat umgesetzt: ein Sprint im Olympiastadion auf der blauen Bahn ganz im Stile von Usain Bolt. „Wir sind zu dritt die 100 Meter gelaufen, haben eine Deutschlandfahne mitgenommen und sind jubelnd über die Ziellinie gerannt“, berichtet Claudia Nyhuis lachend.

Eine Szene wie so viele während ihrer Olympia-Tage: Ganz ohne öffentliche Aufmerksamkeit und TV-Kommentar, und doch Bereicherung, Belohnung und Motivation für die Helden im Hintergrund – die größten Fans und die größten Unterstützer, ohne die EM, WM oder Olympische Spiele gar nicht denkbar wären.
 

Volunteering in London oder Berlin

Auch für die <link http: www.london2017athletics.com volunteer _blank link zum volunteering für london>Weltmeisterschaften 2017 in London und die <link http: www.berlin2018.info volunteers _blank link zum volunteering für berlin>Europameisterschaften 2018 in Berlin werden wieder fleißige Helfer gesucht. Für London endet die Bewerbungsphase am 16. Oktober, für Berlin können sich Interessenten derzeit vorab registrieren und erhalten dann als Erste eine Nachricht, sobald das Volunteering-Programm gestartet ist. 

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