Von Runge über Harbig zu Paschke
Am Wochenende finden in Braunschweig die 104. Deutschen Leichtathletik-Meisterschaften statt. Gustav Schwenk stimmt Sie mit einem Streifzug durch die sportliche Historie auf diese Titelkämpfe ein. Lesen Sie den ersten von drei Teilen.
Der Name Melanie Paschke ist aus der jüngsten Vergangenheit mit der Braunschweiger Leichtathletik verbunden (Foto: Chai)
Obwohl Melanie Paschke wenige Wochen nach ihrem fünften 100-Meter-Sieg bei Deutschen Meisterschaften im Sommer 2003 die Spikes an den Nagel hängte, kann die frühere Braunschweiger Sprinterin Melanie Paschke mit einer Einladung zum Golden League-Meeting ISTAF in Berlin rechnen. Aus gewichtigem Grund. Es ist geplant, dass die IAAF ihr gemeinsam mit den Rockmeier-Zwillingen Gabi und Birgit sowie Marion Wagner die Goldmedaillen für den nachträglich zuerkannten Staffelsieg bei den Weltmeisterschaften 2001 in Edmonton überreichen wird. Das ist die Folge der Disqualifikation der US-Staffel nach den späten Doping-Geständnissen von Kelli White.
Die Hallen-Europameisterin von Valencia 1998 ist das letzte Glied einer Kette von sehr bemerkenswerten Athleten und Athletinnen aus der Stadt der Deutschen Meisterschaften 2004.
Alle überragte der vom Dresdner SC stammende Rudolf Harbig. Der einzige Läufer der Welt, der die Weltrekorde über 400 Meter, 800 Meter und 1.000 Meter hielt, errang den letzten von sechs deutschen Meistertiteln im 800-Meter-Lauf 1941 im Trikot von Eintracht Braunschweig.
Er war damals als Fallschirmjäger in der zweitgrößten Stadt Niedersachsens stationiert. An den deutschen Leichtathleten, der mehr als jeder andere Meister hierzulande seiner Zeit voraus war, erinnert der DLV auch in Braunschweig mit der Verleihung des Rudolf Harbig-Preises.
In 14 Jahren nur eine Niederlage!
Am Anfang stand "der erste bedeutende deutsche Mittelstreckler", wie Klaus Amrhein in seinem "Wer ist Wer" der deutschen Leichtathletik von 1898 bis 1998 den 1878 in Braunschweig geborenen Johannes Runge mit Recht nennt. Über diesen großen Pionier unserer Sportart heißt es im "Athletik-Jahrbuch 1909":
"Es dürfte kaum einen zweiten deutschen Athleten geben, der von Anbeginn des Aufblühens unserer Sportart eine ähnliche Rolle gespielt hat, wie Johannes Runge. Weit über ein Jahrzehnt hat er über die Laufstrecken von 400 bis 1500 Meter eine unbedingte Herrschaft innegehabt. Während seiner 14-jährigen Laufbahn wurde er nur einmal in einem 400-Meter-Rennen geschlagen."
Olympiateilnahme brachte schweren Rüffel
In seinem Examensjahr 1900 wurde ihm als Pädagogikstudent die Teilnahme an den II. Olympischen Spielen in Paris untersagt. Zeitweise musste er unter Decknamen wie "Walter" und "Isge" starten. Als er 1904 als einer von nur zwei deutschen Leichtathleten zu den Olympischen Spielen nach Saint Louis reiste, bat er seinen Schulrat erst auf der Schiffsreise nach New York um Starterlaubnis. Das brachte ihm einen schweren Rüffel "wegen eigenmächtigen Verlassen des Dienstes".
Knapp sechs Wochen, nachdem er in Hannover als erster Deutscher die 800 Meter unter zwei Minuten gelaufen war, gewann er am 1. September in Saint Louis zunächst ein Handicaprennen über eine halbe Meile und noch am selben Tag belegte er im olympischen 800-Meter-Lauf den fünften Platz.
Vorsitz in IAAF-Kommissionen
Auf dem zweiten IAAF-Kongress 1913 in Berlin wurde der ein halbes Jahr vorher zum Vorsitzenden der Deutschen Sportbehörde für Athletik (so hieß damals hierzulande der Leichtathletik-Verband) gewählte Pädagoge zum Vorsitzenden im Ausschuss zur Vorbereitung der Amateurbestimmungen berufen. Daraus wurde ein Jahr später der Vorsitz im IAAF-Ausschuss für Wettkampf- und Amateurbestimmungen. Hierbei kam ihm seine vielseitige sportliche Vergangenheit, in der er auch Rekorde im Stabhochsprung und Dreisprung aufgestellt hatte, sehr zugute.
Den Vorsitz in der DSBfA musste er Ende 1919 niederlegen, nachdem ihm der Aufbau des Sports in der Reichswehr übertragen worden war. Das ließ sich nicht mit einem Ehrenamt im Sport verbinden. Im Kreis seiner alten Freunde sah man ihn zuletzt bei den Deutschen Meisterschaften in Bremen. "Ich werde nach München zur Leichtathletik-Tagung fahren", schrieb der damals 73-Jährige kurz darauf an einen Freund. Daraus wurde nichts: Johannes Runge starb am 12. November 1949 in Bad Harzburg an einem Herzinfarkt – tragischer Weise genau an jenem Tag, an dem der Deutsche Leichtathletik-Verband in München gegründet wurde.
Damals wurde im Rathaus der bayerischen Landeshauptstadt ein anderer Braunschweiger zum Kassenwart gewählt. Die Rede ist von Walter Weiss, der von 1946 bis 1965 den Niedersächsischen Leichtathletik-Verband lenkte.