Was macht eigentlich…? Jens-Peter Herold
Jens-Peter Herold, der Olympia-Dritte von Seoul 1988 über 1.500 Meter, will auf die Marathonstrecke wechseln. Doch die Konkurrenz braucht nicht zu zittern und auch DLV-Trainer Detlef Uhlemann darf nicht auf Zugang im Marathon-Kader hoffen, denn der nunmehr 41 Jahre alte Neuruppiner nimmt sich für sein Debüt beim Berlin-Marathon 2008 "nur" eine Zeit von etwas unter 2:36 Stunden vor.

Jens-Peter Herold verabschiedete sich 1998 vom aktiven Sport (Foto: Schröder)
Im Jahr 1998 verabschiedete sich der gebürtige Neuruppiner vom Hochleistungssport, "nicht wie gewünscht mit einem Erfolgserlebnis, sondern eher mit Frust". Er trainierte zu dieser Zeit in Neuruppin, einer 30.000-Seelengemeinde 70 Kilometer nördlich von Berlin, bei Bernd Gummelt, dem Ehemann von Weltklassegeherin Beate Gummelt. "Meine Zubringerleistungen waren ähnlich wie in meinen Glanzzeiten, als ich 1992 meine 1.500-Meter–Bestzeit von 3:32,77 Minuten lief. Wenn wir es vielleicht auch nicht mehr zu Olympia geschafft hätten, aber eine 3:40 Minuten wäre ohne weiteres möglich gewesen", sagt Jens-Peter Herold rückblickend. Doch die Realität sah anders aus, nur eine 3:50 Minuten kam bei einem Wettkampf in Polen heraus. "Ich konnte mein Leistungsvermögen einfach nicht mehr abrufen, war wohl vom Kopf her leer, auch weil ich ja nie ein Jahr Pause gemacht hatte. Und dann war ich auch finanziell sehr unter Druck gesetzt, weil die Zuschüsse alle weggefallen waren. Und damit bin ich nicht klargekommen", betont der Mittelstreckler.
Im Nachhinein bereut er seinen Rücktritt: "Es ist nicht einfach, mit einem Negativerlebnis aufzuhören. Irgendwie sitzt der Frust darüber tiefer als die Freude über die zahlreichen Erfolge." Und die gab es, angefangen bei der Bronzemedaille bei den Olympischen Spielen 1988 in Seoul, über die Europameistertitel im Jahr 1990 im Freien und in der Halle, bis hin zum unglücklichen vierten Platz bei der WM 1991, als er sich kurz vor dem Ziel zu früh freute und Bronze an seinen Landsmann Hauke Fuhlbrügge verlor.
Schwierige Berufssuche
Nach seinem Abschied vom Hochleistungssport fiel Jens-Peter Herold erst einmal mental in ein tiefes Loch: "Ich hatte gedacht, dass ich mir durch meine Leistungen in der Weltspitze einen gewissen Namen gemacht hatte und sich beruflich schon irgendwie etwas finden würde." Aber es kam niemand, der ihm eine berufliche Chance bot, auch nicht im Sport. So geht er mit diesem Thema, dem Übergang vom Leistungssport zum Beruf, nunmehr auch ganz anders als früher um. "Wenn ich heute von einem jungen Athleten gefragt werde, ob er voll auf den Sport setzen solle, sage ich ihm, dass er sich auf alle Fälle beruflich absichern soll, so wie es beispielsweise Jan Fitschen getan hat, der neben seinem Sport studiert."
Jens-Peter Herold musste sich also selbst eine berufliche Alternative suchen. Der gelernte Mechaniker hatte noch zu DDR-Zeiten damit geliebäugelt, später einmal in der Binnenfischerei zu arbeiten, täglich seine Reusen in den Seen rund um Neuruppin auszulegen, Fische zu fangen und zu verkaufen. Doch die politische Wende machte ihm einen Strich durch die Rechnung, die Binnenfischerei hatte keine richtige Zukunft mehr. Außer, man besaß einen See und zudem ein Restaurant zur sofortigen Verwertung der Fische.
An der frischen Luft
Ganz ohne Hilfe blieb er aber nicht, denn Dr. Dieter Nürnberg, Chefarzt am Neuruppiner Klinikum, und in früheren Jahren auch einmal Trainer von Jens-Peter Herold, unterstützte ihn bei der Arbeitssuche. Erster Anlaufpunkt war das Neuruppiner Sportcenter. Dort gab ihm Chefin Bärbel Kaatzsch den Rat, weiter im Sport zu arbeiten und seine Erfahrungen weiterzugeben. So bekam er eine ABM-Stelle, war drei Jahre lang als Übungsleiter in Schulen tätig. Und als die Platzwarte im Volksparkstadion in Rente gingen, trug man Jens-Peter Herold die Stelle als Platzwart an.
Diese Arbeit macht dem ehemaligen Weltklasseathleten Spaß. "Ich bin weiterhin viel an der frischen Luft, habe Kontakt zu den Sportlern, speziell zu den Fußballern des MSV Neuruppin", erzählt Jens-Peter Herold. Sechs Fußballplätze muss er in Schuss halten, im Sommer mähen und wässern und diverse Ausbesserungsarbeiten vornehmen, damit die Fußballer optimale Bedingungen haben. Und außerdem ist er gewissermaßen noch Hausmeister im Vereinsgebäude. "Positiv ist, dass ich weiter mit dem Sport verbunden bin. Als Läufer war ich früher auch dreiviertel des Jahres draußen an der frischen Luft. Das ist jetzt ähnlich, und das empfinde ich als angenehm. Aber sicherlich habe ich mich ein wenig von der Leichtathletik entfernt."
Körperliches Niveau schlecht
Und im Nachhinein denkt er, dass es vielleicht besser gewesen wäre, im Raum Berlin/Potsdam zu bleiben, "denn dort hätte ich im Leichtathletik-Umfeld sicherlich eher einen Job bekommen." Während seiner Sportlerkarriere hatte er nebenbei auch ein Fachschulstudium Sport angefangen, dieses aber 1990 abgebrochen, "weil ich gesehen habe, dass die Trainer es zu dieser Zeit ganz schwer hatten, einen Job zu bekommen." Aber zugetraut hätte er es sich schon. Und das beweist er auch heute, denn neben der Arbeit als Platzwart ist er auch zweimal pro Woche in einer Ganztagsschule.
"Dort versuche ich, den jungen Leuten die Leichtathletik nahe zu bringen, was nicht immer einfach ist. Das allgemeine körperliche Niveau der Schüler ist so schlecht, dass man das kalte Grausen bekommt. Es gibt 10- bis 12-Jährige, die noch nicht einmal 'Armkreisen vorwärts' können. Und das sind noch die, die freiwillig zu mir kommen. Wie mag es dann bei den anderen aussehen", erklärt Jens-Peter Herold. Manche Illusionen werden ihm da genommen, doch er lässt nicht locker. Auch wenn der finanzielle Spielraum sehr gering ist: "Natürlich möchte ich mit einer Leichtathletikgruppe auch zu Wettkämpfen fahren, aber das ist zu teuer."
"Eigentlich", und das klingt etwas resignierend, "möchte ich noch viel mehr für die Leichtathletik tun, aber in dieser Stadt fehlt einfach das nötige Umfeld. Da wäre Potsdam oder Berlin doch besser gewesen."
Janne und Greta
Doch er ist heimatverbunden, und zudem hatte er 1998 seine Frau Bettina in Neuruppin kennengelernt und eine Familie gegründet, die jetzt auf vier Personen angewachsen ist. Am 8. Mai 2000 wurde er Vater eines Sohnes mit Namen Janne. "Der Namensgeber dafür war Janne Ahonen, der finnische Skispringer. Der war zu dieser Zeit gut in Schwung, und ich hatte immer eine enge Beziehung zum Skispringen", sagt Jens-Peter Herold erklärend. Am 24. März 2007 wurde er nochmals Vater, diesmal einer Tochter, Greta. "Eigentlich sollte sie Kajsa heißen, nach der schwedischen Hochspringerin Kajsa Bergqvist, aber da hat sich meine Frau mit dem Namen Greta dann durchgesetzt." Doch die Namenssuche zeigt, wie stark Jens-Peter Herold noch mit dem Sport verbunden ist. Und das beweist auch sein Hobby, das schon mehr als eine Freizeitbeschäftigung ist.
Seit langem züchtet er Brieftauben, im Moment hat er insgesamt rund 500. "Das sind aber eigentlich viel zu viele, doch ich bin absoluter Liebhaber, kann mich nur schwer von einzelnen trennen." Und er wendet viel Zeit auf, um diese Tiere auf Wettkämpfe vorzubereiten. Dabei werden sie in weit entfernte Orte gefahren und müssen mit Hilfe ihres Orientierungssinnes wieder nach Hause zurückfinden. "Das ist wie beim Hochleistungssport. Möglichst zweimal am Tag wird mit ihnen trainiert, die Ernährung wird professionell gestaltet, es gibt viele Futtervarianten, Eiweißpräparate werden angewendet." Sein Redefluss ist kaum zu stoppen, soviel könnte er über dieses Thema erzählen.
Die Idee für einen Marathon
Nach seinem Abschied vom Hochleistungssport nahm er drei Jahre lang die Laufschuhe nicht in die Hand. Und auch später beteiligte er sich nur ab und an mal an Volksläufen in Neuruppin. Wie kam er nun plötzlich auf den Gedanken, einen Marathon vorzubereiten? "Erst Anfang 2007 habe ich wieder so richtig mit dem Joggen begonnen, ging drei bis vier mal in der Woche auf Lauftour", wobei er 45 Kilometer pro Woche absolvierte. "Ein wenig animiert hat mich auch, dass eine Neuruppiner Laufgruppe jedes Jahr eine Marathonreise ins Ausland unternimmt, dieses Jahr geht es nach Kopenhagen. Und da wir mit Ronald Hampe einen Lokalmatadoren haben, der eine Marathonbestzeit von 2:36 Stunden hat, denke ich schon mal daran, diese Zeit anzugreifen."
Deshalb will sich Jens-Peter Herold für den Marathon in Berlin 2008 anmelden, "da habe ich über ein Jahr Zeit, diesen Marathon richtig vorzubereiten." Die Trainingsstrecken liegen praktisch vor seiner Haustür, denn "es gibt viel Wald hier und ich laufe gerne an den Seen entlang." Später will Jens-Peter Herold Wochenumfänge von 100 Kilometern trainieren, um einen passablen Marathon zu bestreiten. Ganz so neu sind solche langen Distanzen nicht für ihn, "früher sind wir im Training auch bis 30 Kilometer gelaufen, 20 Kilometer waren gang und gäbe und das zweimal pro Woche." Doch damals waren die 1.500 Meter seine Schokoladendisziplin.
Straße statt Bahn
Aber auf die Bahn will er nicht mehr zurück. Oft wird er gefragt, ob er es nicht doch noch einmal über 1.500 Meter versuchen wolle, doch er entgegnet dann: "Nein, denn dann würde ich mich zu sehr mit alten Zeiten vergleichen. Eine Minute mehr brauchte ich sicherlich im Vergleich zu meiner Bestzeit von 3:32,77 Minuten. So aber habe ich eine völlig neue Strecke, und ich brauche mich nicht an früheren Zeiten zu messen."
2008 wird für den ehemaligen Weltklassemann über 1.500 Meter die Stunde der Wahrheit schlagen, wenn er in Berlin mit dem Start auf der Straße des 17. Juni kurz hinter dem Brandenburger Tor auf die Marathondistanz geht.