Was tun, wenn's im Kreuz schmerzt?
Auch Läufer bleiben von plötzlich auftretenden, tief sitzenden Rückenschmerzen nicht verschont. Das sogenannte Iliosakralgelenk kann schon bei einer falschen Bewegung blockieren. Hier lesen Sie, wie Sie schnell wieder schmerzfrei auf die Laufstrecke kommen.
Den ganzen Tag hat sich Tanja Siebert auf ihre abendliche Laufrunde gefreut, nicht zuletzt aufgrund des sommerlichen Wetters. Zu Hause angekommen tauscht sie hastig ihr Kostüm gegen den Laufdress. An der Haustüre will sie sich nur noch schnell die Laufschuhe anziehen und schon ist’s passiert: Knacks - beim Bücken hat sie sich irgendwie zur Seite gewendet und sich dabei den Rücken verdreht. Das war’s mit dem sportlichen Tagesausklang.„Ich konnte mich plötzlich kaum noch normal bewegen. Die Schmerzen strahlen vom unteren Rücken über das Gesäß und den Oberschenkel bis zum Knie aus“, berichtet Tanja Siebert ihrem Orthopäden. Bei der anschließenden Untersuchung findet der Arzt über der rechten Kreuzdarmbeinfuge den maximalen Schmerzpunkt. Ein spezieller Test zeigt, dass seine Patientin beim Aufrichten des Oberkörpers aus der Rückenlage ein Bein vorschiebt. Diese sogenannte variable Beinlängendifferenz erhärtet seine erste Verdachtsdiagnose: eine Blockierung des rechten Iliosakralgelenks.
Eingeschränkter Spielraum
Das Iliosakralgelenk (ISG, Articulatio sacroiliaca oder Kreuzbein-Darmbein-Gelenk) ist Teil unseres Beckens, über das unsere Beine mit dem Skelett des Rumpfes in Verbindung stehen. Das Kreuzbein bildet die Rückwand des knöchernen Beckens. Es steht als unterster Teil der Wirbelsäule mit dem letzten Lendenwirbelkörper in Verbindung und liegt zwischen den beiden Hüftbeinen. Deren Ausläufer führen in einem Bogen nach vorn und sind dort über eine etwa ein Zentimeter breite knorpelige Verbindung, die Schambeinfuge, zusammengefügt. Die Hüftbeine bestehen aus jeweils drei miteinander verschmolzenen Knochen: dem Darmbein, dem Sitzbein und dem Schambein. Diese wachsen im Laufe der Wachstumsperiode zusammen, sodass ihre Grenzen im Erwachsenenalter nicht mehr erkennbar sind.
Zwischen dem Kreuz- und dem Darmbein liegen die beiden Iliosakralgelenke. Es handelt sich dabei um so genannte Amphiarthrosen, also Gelenke, deren Bewegungsspielraum stark eingeschränkt ist. Dafür verantwortlich sind eine straffe Gelenkkapsel und starke, kurze Bänder. Das Iliosakralgelenk ist die größte Amphiarthrose des menschlichen Körpers und verankert die Wirbelsäule fest im Beckenring.
Obwohl die Bewegungsmöglichkeiten im Iliosakralgelenk durch die starke Bänderverankerung längst nicht mit denen des Knie- oder Schultergelenks vergleichbar sind, macht sich eine Blockierung auch hier unmittelbar bemerkbar: Die eingeschränkten Bewegungsumfänge des unteren Rückens, des Beckens sowie gegebenenfalls auch der Beine und das Gefühl, „etwas sei eingeklemmt“, werden von akuten Schmerzen im Bereich des ISG und oft auch von sogenannten pseudoradikulären Beschwerden begleitet.
Schmerzen können in die Beine ausstrahlen
Durch die knöcherne Verschiebung werden die sensiblen Versorgungsnervenäste der kleinen Wirbel- oder Kreuzdarmbeingelenke irritiert, wodurch die Schmerzen vom Rücken über das Gesäß in die Leiste oder bis zum Knie ausstrahlen können. Bei „echten“ radikulären Schmerzen werden dagegen die aus dem Wirbelkanal austretenden Nervenwurzeln beeinträchtigt.
Sportler sind häufig von einer Blockierung des ISG betroffen. Durch eine „falsche“, unvorhergesehene Bewegung und Krafteinwirkung, wie etwa einem „Tritt ins Leere“ bei Unebenheiten auf der Laufstrecke, beim Bücken oder einem „Verheben“, kann sich die straffe Verbindung zwischen Kreuzbein und Becken verschieben. In vielen Fällen verursachen schnelle Rotationsbewegungen die Verkantung der Gelenkflächen. Ungünstige Einflussfaktoren sind neben einer Überlastung und starker Kälteeinwirkung auch bestimmte statische Voraussetzungen wie zum Beispiel eine angeborene Beinlängendifferenz. Eine länger andauernde Blockierung kann zu chronischen Beschwerden mit nachfolgender Überlastung der angrenzenden Bänder führen.
Befreiende Griffe
Tanja Siebert will ihre Schmerzen so schnell wie möglich loswerden und wieder mit dem Training beginnen. Ihr Arzt versucht zunächst, die akute Beweglichkeitsstörung im Kreuz-Darmbein-Gelenk mit chirotherapeutischen Maßnahmen zu beheben. Bei der Chirotherapie werden mit gezielten Handgriffen reversible Funktionsstörungen am Bewegungsapparat wie Gelenkblockierungen und Muskelfunktionsstörungen behandelt. Zu den dabei angewendeten Techniken gehören Weichteil- und Muskelentspannungstechniken, Mobilisationen und Manipulationen. Ein eingeschränktes Gelenkspiel im ISG ist mittels Chirotherapie meistens gut zu therapieren.
Tanja Siebert geht es nach den verschiedenen Griffen und Drehungen ihres Arztes schon viel besser. Sie verspürte dabei auch eine Art „Einrenken“ im Bereich des ISG. Die Schmerzen sind nun wesentlich erträglicher und sie fühlt sich wieder freier beweglich.
Lockerer Trainingsstart
„Dennoch sollten Sie nicht gleich morgen wieder loslaufen“, rät der Mediziner. Außerdem empfiehlt er Schmerzmittel mit den Wirkstoffen Diclofenac oder Ibuprofen, falls die Beschwerden wieder stärker werden. Als weitere schmerzlindernde Behandlungsmaßnahmen kommen Akupunktur und physikalische Therapien wie Stangerbäder, Elektrotherapie, Massagen sowie die lokale Anwendung von Wärme infrage. In hartnäckigen Fällen kann der Orthopäde auch Betäubungsmittel (Lokalanästhetika) direkt in das Iliosakralgelenk injizieren.
Bei wiederkehrenden Blockierungen sollten zum Ausschluss anderer Erkrankungen wie Arthrosen, Bandscheibenveränderungen, Wirbelgleiten, Morbus Bechterew, Muskelverkürzungen, Bänder- und Sehnenreizungen oder rheumatisch bedingten Beschwerden auch Röntgen- beziehungsweise Computertomographiebilder und ein Blutbild angefertigt werden. Außerdem sind bei häufig auftretenden ISG-Blockierungen Manuelle Therapie, rückenstabilisierendes Muskeltraining und eine Gangschule zur Vermeidung von funktionellen Fehlbewegungen sinnvoll.
Tanja Siebert fühlt sich nach dem chirotherapeutischen Eingriff ihres Orthopäden mit jedem Tag besser. Durch tägliche Wärmeanwendung und regelmäßige Massagen ist sie nach einer Woche beschwerdefrei und nimmt ihr Training wieder auf. Aber bei aller Vorfreude auf die bevorstehende Laufrunde - beim Umziehen und besonders beim Anziehen der Laufschuhe lässt sie sich nun durch nichts und niemanden mehr aus der Ruhe bringen.