Weitsprung-Rekord und WM-Tore
Am Wochenende finden in Braunschweig die 104. Deutschen Leichtathletik-Meisterschaften statt. Gustav Schwenk stimmt Sie mit einem Streifzug durch die sportliche Historie auf diese Titelkämpfe ein. Lesen Sie den dritten und letzten Teil.
Auch EAA-Funktionär Till Lufft hat Erinnerungen an Braunschweig (Foto: Chai)
Der 30. September 1948 war – nur wenige Wochen nach der Währungsreform, einem Meilenstein beim Wiederaufbau Deutschlands – ein wichtiger Tag für die deutsche Leichtathletik. Lokalmatador Rudolf (Rudi) Lüttge unterbot in Braunschweig als erster Deutscher nach dem Zweiten Weltkrieg eine Weltbestleistung. Der in Ilsenburg (Harz) geborene mehrmalige deutsche Meister verbesserte mit 2:27:22,6 Stunden die Weltbestzeit im 30.000 Meter Bahngehen, die der Schwede Harry Olsson fünf Jahre vorher aufgestellt hatte, um über 90 Sekunden. Da der DLV erst am Rande der Europameisterschaften 1950 in Brüssel wieder in die IAAF aufgenommen wurde, blieb diese Zeit die offizielle Anerkennung des Weltverbandes versagt.
Rudi Lüttge gehörte zu jenen Sportlern, die trotz Kriegsverletzungen dazu beitrugen, dass die deutsche Leichtathletik nach dem Krieg wieder auf die Beine kam. Dem späteren Meistergeher waren 1943 von einer Panzergranate der linke Unteram schwer beschädigt und das rechte Ellbogengelenk zerfetzt worden. Ein Jahr hatte er anschließend im Lazarett gelegen. Über ihn hieß es in einem Bericht aus den fünfziger Jahren: "Er hat durch seinen Willen und seinen Idealismus über körperliche Schmerzen und Niedergeschlagenheit triumphiert."
17 Jahre nach dem Rekordsprung
Leichtathletik und Hockey waren früher befreundete Sportarten. Till Lufft, der heutige Generalsekretär des Europäischen Leichtathletik-Verbandes, der wie sein als Mittelstreckler erfolgreicherer Bruder Urs in Braunschweig zum Sport gekommen war, erinnert sich: "Nach einem Mittelstreckenlauf stieg ich häufiger direkt auf den Rücksitz einer Vespa, um zu einem Hockey-Punktespiel zu fahren.
Die erfolgreichste Frau neben der legendären Augustine (Guschi) Hargus, die 1927 und 1928 im Trikot des LBV Phönix Lübeck dreimal den Weltrekord im Speerwurf verbesserte und Jahre später Harvestehude Hamburg von 1942 bis 1957 zu sieben deutschen Hockey-Meistertiteln führte, kam vom TSV Eintracht Braunschweig.
Gudrun Scheller verbesserte als 19-Jährige beim Berliner ISTAF 1959 den deutschen Weitsprungrekord, den mit Elfriede von Nitsch-Brunemann und Erika Fisch (beide 6,21 m) zwei andere niedersächsische Athletinnen hielten, um einen Zentimeter.
Berlin muss die Lieblingsstadt von Gudrun Scheller sein. 17 Jahre nach dem Rekordsprung, als sie schon über ein Jahrzehnt Gudrun Scholz hieß und Mutter zweier Kinder war, sorgte sie an der Spree mit zwei Toren beim 2:1-Endspielsieg über Argentinien für den Weltmeistertitel der deutschen Hockey-Elf.
Letzte deutsche 100-Meter-Medaille
Braunschweigs Schnellste waren Klaus-Dieter Bieler (Eintracht) und Melanie Paschke (SG). Beide gingen später nach Wattenscheid. Von den Erfolgen, die Melanie Paschke errang, war schon zu Beginn der Serie die Rede. Im Gegensatz zur Weltmeisterin und Europameisterin in der 4x100-Meter-Staffel und auch zu seinem Großvater Erich Zimmermann, der 1912 in Duisburg im Speerwurf siegte, blieb dem Sprinter ein deutscher Meistertitel in einem Einzelwettbewerb versagt.
Dafür errang Klaus-Dieter Bieler im Alter von 25 Jahren einen ohne Frage wichtigeren Erfolg: Er ist mit seinem dritten Platz, den er 1974 in Rom mit 10,35 Sekunden erkämpfte, der bislang letzte deutsche 100-Meter-Medaillengewinner bei Europameisterschaften. Nur zwei der größten europäischen Sprinter aller Zeiten konnten ihn damals im Stadio Olimpico bezwingen: Der 1972 bei den Olympischen Spielen in München über 100 und 200 Meter erfolgreiche Ukrainer Waleri Borsow (10,28 sec) und der langjährige italienische 200-Meter-Weltrekordmann Pietro Mennea (10,34 sec). Eine deutsche Sprinter-Medaille – es klingt wie ein Märchen als alten Zeiten.