Weltfinal-Quali: Punktesammeln schwer gemacht
Kennen Sie Ana Po'uhila vom 110.000-Einwohner-Inselstaat Tonga? Die 39-jährige Joanne Duncan? Oder deren britische Landsfrau Julie Dunkley? Nein? Macht nichts, denn beim Weltfinale am 9. und 10. September können sie womöglich diese Athletinnen im Kugelstoßring erleben.
Petra Lammert zittert um einen Startplatz beim Weltfinale (Foto: Möldner)
Ein Wettkampf, in dem die weltbesten Athletinnen aufeinandertreffen sollen, droht ohne die großen Namen stattfinden zu müssen. Denn aktuelle Titelträgerinnen fürchten aus gutem Grund um ihre Startplätze in Stuttgart, die zweitklassigen Kolleginnen für sich vereinnahmen könnten. Das Frauen-Kugelstoßen macht Schwächen des Qualifikationssystems für den mit insgesamt fast drei Millionen US-Dollar hochdotierten Saisonausklang, der in diesem Jahr nahezu die Wertigkeit einer Weltmeisterschaft hat, offensichtlich.Eine Athletin, die darunter zu leiden hat, ist die Neubrandenburgerin Petra Lammert. Ein dritter Platz bei der EM, ein fünfter Rang in der Weltjahresbestenliste, ein vierter in der Weltrangliste nach Punkten, ein Sieg beim Europacup, all das hat der U23-Europameisterin noch keinen einzigen Zähler in der Punktewertung für das Weltfinale eingebracht.
Petra Lammert muss nun davon ausgehen, beim Weltfinale trotz einer glänzenden Saison nur Zuschauerin zu sein, während Athletinnen, die zwei oder gar drei Meter schlechter stoßen als sie, die Preisgelder abräumen.
Zu wenig Wettkämpfe
Der Grund für diese Situation ist zum einen im vom Weltverband IAAF neu eingeführten Punktesystem zur Qualifikation für das Weltfinale zu suchen, zum anderen auch bei der fehlenden Akzeptanz der Meeting-Veranstalter des Kugelstoßens der Frauen. Wenig Wettkämpfe im Rahmen der World Athletics Tour, zu der nur Meeting-Veranstaltungen gezählt werden, bedeuten zugleich wenig Gelegenheiten, um Qualifikationspunkte zu sammeln.
Das aber wiederum könnte für die betroffenen Elitestoßerinnen sogar noch ein Hintertürchen öffnen. Denn der Weltverband ließ in diesem Sommer in einer Verlautbarung durchblicken, dass Athleten, die am Weltfinale teilnehmen dürfen, mindestens in drei Veranstaltungen gepunktet haben müssen. Das hat bislang nur die Neuseeländerin Valerie Vili geschafft. Streicht man nun alle, die diese Voraussetzungen nicht erfüllen, wären noch mehrere Startplätze offen.
Dass die gesamte Konstellation seltsame Blüten treibt, zeigte sich am Dienstag beim Gugl-Meeting in Linz (Österreich). Dort marschierten 15 Athletinnen zum Kugelstoßen auf. Das Who is who der Szene. Weltmeisterin Nadezhda Ostapchuk (Weißrussland), die wie Petra Lammert noch ohne Punkt dasteht, kam ebenso wie Olympiasiegerin Yumileidi Cumba (Kuba; erst ein Punkt) und Europameisterin Natalia Khoroneko (Weißrussland), die ebenfalls noch um ihre Weltfinal-Teilnahme zittern muss.
Auf eigene Kosten in Linz
Der Wettkampf war von der Besetzung her nicht nur der hochkarätigste, sondern zugleich auch der billigste für den Ausrichter. Ein wahres Schnäppchen, denn die Athletinnen mussten ihre Fahrtkosten selbst zahlen und kamen trotzdem. "Ich bin elf Stunden mit dem Zug gefahren", sagte Petra Lammert. Ihre Magdeburger Kollegin Nadine Kleinert, in Linz immerhin Vierte, war neuneinhalb Stunden mit dem Auto unterwegs. Linz-Siegerin Valerie Vili, die derzeit in Kienbaum trainiert, flog auf eigene Kosten von Berlin nach Wien, nahm sich dort einen Mietwagen, mit dem sie dann nach Oberösterreich fuhr.
Der Linzer Meetingdirektor Percy Hirsch erklärte: "Wir müssen Kaufleute sein. Wir hatten ursprünglich kein Kugelstoßen der Frauen geplant und haben es nur auf Ersuchen der IAAF in das Programm genommen." Er sprach auch deutlich den wunden Punkt an: "So dezimiert sich die Leichtathletik selbst. Die IAAF müsste die eigenen Meetingveranstalter an die Kandare nehmen."
Natalia Khoroneko: "Das ist ein Problem!"
Gerade einmal eine Handvoll Wettkämpfe fand in diesem Jahr im Rahmen der World Athletics Tour für die Kugelstoßerinnen statt, zwei davon in Ozeanien, bisher erst zwei in Europa, wo das Herz dieser Disziplin schlägt.
Bei den Athletinnen selbst stößt das auf Unverständnis. Nadine Kleinert sagte: "Wen stören wir? Es geht uns nur darum, dass wir Wettkämpfe haben." Petra Lammert ergänzte an die Adresse des Weltverbandes: "Wenn sie sich so ein System ausdenken, dann sollen sie auch Wettkämpfe anbieten." Und Europameisterin Natalia Khoroneko war nicht minder wütend: "Nur zwei Wettkämpfe in Europa, das ist ein Problem!"
Eine einzige Gelegenheit bietet sich den Kugelstoßerinnen nun noch, für die Wertung zu punkten, nächste Woche in Rovereto (Italien). Auf den Kopf gestellt wird das Klassement dort aber nicht mehr werden, denn die Veranstaltung zählt nicht zu den hochwertigen. "Ich weiß gar nicht, ob es sich lohnt, dort überhaupt noch hinzufahren", sagte Petra Lammert frustriert. Sie kann noch bestenfalls auf eine Wild Card hoffen. "Die sehe ich aber noch nicht. Die IAAF wird sich das gut überlegen müssen, wem sie die Wild Card gibt."
Forderung nach Rückkehr zum alten System
Die Neubrandenburgerin ist ebenso wie Weltmeisterin Nadezhda Ostapchuk und Olympiasiegerin Yumileidi Cumba ein Opfer des neuen Punktesystems. Nach der alten Regelung, bei der die wesentlich repräsentativere Weltrangliste nach Punkten als Maßstab herangezogen wurde, wäre die 22-Jährige wie ihre Leidensgenossinnen locker qualifiziert. Ana Po'uhila, Joanne Duncan und Julie Dunkley tauchen übrigens in der bis zum letzten Jahr relevanten Wertung unter den ersten Fünfzig gar nicht einmal auf!
Petra Lammert fordert deshalb aus gutem Grund: "Man sollte das alte System wieder einführen." Mit dieser Meinung steht sie übrigens nicht alleine und bekommt sogar von der Ex-Weltmeisterin über 100 Meter Hürden, Perdita Felicien, Unterstützung. Die Kanadierin, die immerhin schon bei fünf Meetings punkten konnte und an keinem Mangel an Startgelegenheiten leidet, sagt: "Ich bin kein Freund dieser Punktewertung. Man muss es verbessern oder zur alten Regelung zurückkehren!"