Wenn Schwimmer Spikes anziehen
Vor zwei Wochen hat Dirk Lange seinen neuen Job als Bundestrainer der Schwimmer angetreten. Der 45 Jahre alte Hamburger wurde auch deswegen für diese Aufgabe ausgewählt, weil er eine Vorliebe für alternative und disziplinübergreifende Trainingsmethoden hat: So soll das Leichtathletik-Training einen entscheidenden Beitrag für seine Schwimmer auf ihrem Weg zu den Olympischen Spielen 2012 in London (Großbritannien) leisten.

Und auch nach den Sommerspielen glichen sich die Prozesse im Deutschen Schwimm-Verband (DSV) und im Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV) in auffälliger Art und Weise. Im September traten Herbert Czingon und Rüdiger Harksen ihren neuen Job als DLV-Cheftrainer an. Herbert Czingon (Mainz) ist seitdem für die Bereiche Sprung, Wurf und Mehrkampf (Field) verantwortlich, um die Laufdisziplinen (Track) kümmert sich Rüdiger Harksen (Mannheim). Vor knapp zwei Wochen nun verkündete auch der DSV eine Neuverpflichtung: In Berlin wurde der 45 Jahre alte Dirk Lange (Hamburg) als neuer Bundestrainer der Schwimmer vorgestellt.
London ruft und verpflichtet
Bis zu den Olympischen Spielen 2012 in London wollen die beiden Sportarten wieder konkurrenzfähiger werden. Doch schon jetzt drängt die Zeit - bei den Leichtathleten wartet 2009 die Heim-WM in Berlin, die Schwimmer fahren nächstes Jahr zur WM nach Rom (Italien). In beiden Lagern werden schon 2009 bessere Ergebnisse erwartet. Große Ziele, wenig Zeit. Eines steht aber fest: Die Leichtathletik kann dem Schwimmen auf dem Weg zurück an die Oberfläche eine Hilfe sein.
Dirk Lange ist nämlich bekannt dafür, mit seinen Schwimmern öfters aus dem Becken zu steigen und in sein Training Formen aus der Leichtathletik einzubauen. „Wir müssen aus dem schweren Tanker wieder ein Speedboot machen“, sagte der neue Bundestrainer bei seiner Präsentation. Dabei dachte er nicht nur an Strukturelles, Dirk Lange bezog das wohl auch auf seine Schützlinge selbst. Geschwindigkeit spiele eine immer größere Rolle, sagt er. Und er weiß, woher er sie bekommen will: Von der „Schwester“, von der Leichtathletik.
Für jeden Schwimmer das individuelle Leichtathletik-Training
„Wir sehen die Leichtathletik als ein begleitendes Element im Trainingsprozess. Sie gibt uns einen besonderen Trainingsreiz“, sagt Dirk Lange, der zuletzt Nationalcoach in Südafrika war und auch die deutsche Weltklasse-Schwimmerin Sandra Völker trainierte. „Leichtathletik verbessert bei unseren Schwimmern die Bewegungsschnelligkeit und das Rhythmusgefühl. Das Training an Land ist also Bewegungs-, Koordinations- und Fitnessschulung in einem.“
Lockeres Joggen im Wald gab’s schon früher bei den Schwimmern - heute gehen sie aber mit Spikes auf die Bahn. Von 50 bis 1.500 Meter reicht die Bandbreite der Wettkampfdistanzen im Schwimmsport. Je nach Disziplin gebe es auch unterschiedliche Anforderungsprofile, erklärt Dirk Lange. Ob Sprint-, Mittel- oder Langstrecke, das Leichtathletik-Training müsse nach den Spezialstrecken der Schwimmer differenziert werden.
Auf den Trainingsplänen der Kurzstreckenschwimmer stehen dann zum Beispiel drei bis vier Sprints über 25 Meter, intensive Treppenläufe oder Intervallläufe über 100 bis 200 Meter mit den typischen Erholungsabschnitten dazwischen. Die Mittelstreckler machen mehr Intervallläufe, die die Schnelligkeitsausdauer verbessern sollen - „beispielsweise zwei Mal 800 Meter und dazwischen eine Runde lockeres Gehen“, sagt Dirk Lange, der in Zukunft zwei Mal pro Woche mit seinen Schwimmern ins Stadion will. Und zwar nicht nur in der Vorbereitungsphase, sondern „über das ganze Trainingsjahr hinweg“.
„Sandra Völker hätte als Leichtathletin was reißen können“
„Ich habe damit hervorragende Ergebnisse erzielt und schon ganz beachtliche Laufzeiten von meinen Schwimmern gestoppt“, sagt der Bundestrainer stolz. Sein ehemaliger Schützling, der Ex-Weltrekordler Marc Foster (Großbritannien), soll die 100 Meter in 11,0 Sekunden gerannt sein. Handgestoppt. Und bei Sandra Völker, die zwischen 1996 und 2008 über 60 Medaillen bei internationalen Schwimm-Meisterschaften gewann, habe er über 100 Meter eine Zeit von unter 13 Sekunden auf der Uhr gehabt. „Ich denke, sie hätte als Leichtathletin auf nationaler Ebene auch was reißen können“, sagt Dirk Lange.
Der neue Bundestrainer der Schwimmer ist von der Leichtathletik überzeugt. Immerhin nennt er sie auch liebevoll „die Mutter aller Sportarten“. Trotzdem relativiert er seine Trainingsauffassung auch: „Im Schwimmen gibt es sehr viele Denkrichtungen. In meinen Augen ist das Leichtathletik-Training für uns sehr effizient. Es ist aber sicher nicht die einzige Möglichkeit.“ Manchen Schwimmern helfen die Einheiten an Land, anderen eben nicht. „Das Training individuell auf den Sportler zuzuschneiden, ist und bleibt das oberste Gebot“, sagt Dirk Lange und spricht damit einen Grundsatz aus, der auch für die Leichtathleten gilt.
Die Angst vor dem Wasser ist unbegründet
Apropos Gegenseite: Wie weit sind denn die Leichtathleten schon über dem Tellerrand? „Dass uns das Wasser helfen kann, ist für uns nichts Neues“, sagt jedenfalls Rüdiger Harksen. Der unter vielen Leichtathleten oft noch verbreitete Grundsatz - „Geh’ bloß nicht schwimmen, das macht dich langsam“ - hat für den neuen DLV-Cheftrainer mittlerweile einen grauen Bart bekommen. „Durch die Erfahrungen, die ich gemacht habe, hat sich das gänzlich widerlegt“, sagt der Coach. Reines Bahnenziehen, also Brust-, Kraul- oder Rückenschwimmen, habe einen regenerativen Charakter für die Leichtathleten, erklärt Rüdiger Harksen. Statt eines erholsamen Waldlaufes kann es für sie also auch mal ins Schwimmbad gehen. „Der Abwechslung wegen ist mir das Schwimmen dann sogar lieber“, sagt Rüdiger Harksen.
Nach Verletzungen, in der Rehabilitationsphase oder im Aufbautraining kann Aquajogging für die Leichtathleten ein probates Mittel sein. Der ehemaligen Hürdensprinterin und Vize-Europameisterin Kirsten Bolm (MTG Mannheim) soll das Element Wasser nach ihren diversen Verletzungen geholfen haben. „Sie hat ihr Laufprogramm einfach im Schwimmerbecken mit einer Schwimmweste absolviert“, sagt Rüdiger Harksen, der sie in ihrer aktiven Zeit gecoacht hatte. „Kniehebeläufe oder Hürdenlaufsimulationen sind im Wasser gut möglich. Man kann nicht viel falsch machen, die Verletzungsgefahr ist gleich Null“, sagt er, fügt jedoch hinzu: „In der Wettkampfphase sollten die Leichtathleten aber nicht ins Wasser gehen. Es sollte eine Alternative während des Aufbautrainings bleiben.“ Genauso wie übrigens das Skilanglaufen, das einige Geher aus dem DLV-Nationalteam in den Wintermonaten gerne als Trainingsvariante nutzen.
„Semispezifische Belastungen“ sind in Mode
Schwimmer auf der Tartanbahn, Leichtathleten im Hallenbad oder in der Loipe: „Semispezifische Belastungen“, wie sie Rüdiger Harksen nennt, sind richtig „in“. Auch Dirk Lange glaubt „an die disziplinübergreifenden Effekte“ und betont, sich in seinem neuen Job häufiger den Rat von anderen Sportarten einholen zu wollen. „Ob Schwimmen, Leichtathletik oder Fußball: Was das Training angeht, sind die Grundprinzipien im Spitzensport oft die gleichen“, sagt der neue Bundestrainer der Schwimmer. „Wir können uns gegenseitig Nutzen bringen.“