Wetterfeste Diskuswerfer im Schnee
Die Senioren-WM im Sindelfinger Glaspalast bietet ein buntes Bild. 2536 Teilnehmer aus 60 Nationen sind ins "Ländle" gekommen, dort wo die Leichtathletik schon viele große Leichtathletik-Feste gefeiert hat. Über 500 Kampfrichter leisten Dienst an den Sportlern, der Zeitplan reicht von morgens 8.30 Uhr bis nach 22.30 Uhr. Ein richtiger Veranstaltungsmarathon.

Ein Gast aus dem warmen Portugal poliert seinen Diskus im kalten Sindelfingen (Foto: Walker)
Während es im Glaspalast warm und die Atmosphäre bestens ist, nagt im Floschenstadion bei den Winterwurf-Wettbewerben der Winter noch einmal kräftig an den Gliedern. Ein Stimmungsbild. Im Glaspalast finden gerade die 200 Meter-Finals statt. Erhobene Fäuste nach dem Zieldurchlauf, jubelnde Sportlerinnen und Sportler auf der Ehrenrunde. Die Bilder gleichen denen eine Woche zuvor in Budapest. Im Foyer finden Siegerehrungen statt – nonstop. 1500 Medaillen wollen schließlich verteilt werden. Da sind die Ehrenden – DLV-Vize Theo Rous, WLV-Präsident Karl-Heinrich Lebherz, sein designierter Nachfolger Jürgen Scholz oder DLV-Kinderbeauftragte Fred Eberle - gefordert. Medaillenübergabe, Siegerfotos, raus aus der Ecke, denn schon stehen die nächsten bereit. Im Umgang findet man viele medaillendekorierte Sportler, strahlende Gesichter inbegriffen.
Diskuswerfen im Weiß
Szenenwechsel. Floschenstadion, 10 Zentimeter Tiefschnee. Auch hier haben die Ehrenamtlichen mit Pflug und Schippen ihre Spuren hinterlassen. Die Wurfanlagen mussten geräumt werden. Diskuswerfen der 70-jährigen Männer, Speerwerfen der 45-jährigen Frauen, und auf dem Nebenplatz Hammerwerfen.
Die Gesichter sind starr, die Hände klamm, der Diskus in der Tasche oder im Handtuch versteckt. "Man sieht eigentlich seit Jahren immer dieselben Gesichter", sagt Leonhard Jensen, von der TSG Öhringen bei Heilbronn. Erstmals Lokalmatador bei einer Masters-WM oder EM. 1951 war er Deutscher Juniorenmeister im Kugelstoßen, startete im Trikot des ASV Köln und des VfL Wolfsburg. Mit 28 verabschiedete er sich aus beruflichen Gründen aus der Leichtathletik.
Mit 61 hat er wieder angefangen. "Über das Sportabzeichen habe ich wieder Kugel und Diskus in die Hand genommen und bin seitdem wieder dabei", erzählt Leonhard Jensen während des Wettbewerbs. Er ist locker, hat schon sechs Mal an Senioren-Weltmeisterschaften teilgenommen. Die meisten seiner Konkurrenten können eine gewisse Verbissenheit nicht verbergen. "Es gibt schon ganz Ehrgeizige unter uns", bemerkt Leonhard Jensen, den alle "Leo" rufen vor seinem fünften Versuch.
Ein paar Viertele als "Doping"
Doping im Seniorensport? "Das ist alles an mir vorübergegangen", sagt er. "Wissen Sie, ich habe meine Erfüllung im Beruf gefunden", zeigt sich der ehemalige Marketing-Chef von VW in Wolfsburg sehr zufrieden mit seiner Lebensbilanz. "Doping, na ja, wenn einige Viertele Trollinger darunter fallen, dann ja" Er hat sich auf 38,68 Meter mit dem Ein-Kilo-Diskus verbessert und wird damit Zweiter hinter dem Italiener Camelo Rado (44,10 Meter).
"Im nächsten Jahr werde ich wohl endgültig aufhören", sagt Leo Jensen und zieht seine Wollmütze wieder auf. Zehn Enkelkinder fordern ihren Tribut. Im Glaspalast treffen sich die ersten Acht - es sind ausschließlich Europäer - noch einmal zum Abschlussfoto.
Auf der gegenüberliegenden Seite läuft der letzte Durchgang im Speerwerfen der Frauen (W45). Sechs Europäerinnen und eine Werferin aus Australien verstecken sich nach jedem Wurf hinter wärmender Kleidung. "War der jetzt gültig oder wieder nicht?", wird in die Runde gefragt. Rote Fahne, die Kampfrichter der Senioren-WM sind dieselben wie die bei Landesmeisterschaften oder Deutschen Meisterschaften, also kein Pardon!
Wiebke Baseda hat bei 33,03 Metern den weitesten Eindruck hinterlassen. Während die Sportlerinnen in den wärmenden Glaspalast drängen, leisten die Kampfrichter ihren ehrenamtlichen Dienst im Schnee weiter! Diese Senioren-WM ist eben auch eine Geduldsprobe.