Wie trainieren Deutschlands Athleten im Winter?
Das Leichtathletik-Jahr 2007 rückt mit großen Schritten näher. Das sich dem Ende zuneigende Jahr wurde bilanziert, die Planungen für das neue entworfen und diskutiert. Alle zwölf Monate lässt sich in der deutschen Leichtathletik-Szene beobachten, dass eine Vielzahl von Vorstellungen darüber existiert, wie die jeweilige gemeinsame Saisonvorbereitung in den Disziplinkadern aussehen könnte.

Franka Dietzsch und ihre Wurfkollegen zieht es nach Portugal (Foto: Chai)
Schließlich können oder wollen längst nicht alle der Kälte entfliehen und ein Wintertrainingslager im Süden beziehen. Verwunderlich ist das nicht. So existieren doch individuelle Saisonplanungen der Athleten, stark unterschiedliche Leistungsniveaus und Anforderungen in den Disziplinen und daraus resultierend auch die Einstufungen für die finanzielle Unterstützung durch den Verband. leichtathletik.de hat sich deshalb bei den Bundestrainern umgehört und wollte wissen, welche Gruppen oder auch Top-Team-Athleten demnächst ein Trainingslager beziehen und welche zu Hause bleiben.
Speer- und Diskuswerfer in Portugal
Bei aller Individualität schreiben die meisten DLV-Kader und ihre Bundestrainer das Wort Kooperation groß. So fahren die weiblichen Speer- und Diskuswerfer wie bereits seit Jahren am 24. Januar für zwei Wochen ins portugiesische Monte Gordo. „Die Bedingungen in Portugal sind uns seit Jahrzehnten bekannt“, beschreibt Gerhard Böttcher, Trainer der Diskus-Frauen die Vorzüge. Er nimmt neben Weltklassefrau Franka Dietzsch (SC Neubrandenburg) einige Juniorinnenathletinnen mit, die allerdings wie Top-Team-Athletin und U23-Europmeisterin Sabine Rumpf (LSG Goldener Grund) schon an der Schwelle zur Weltklasse stehen.
In der Zusammenarbeit der Gruppen sieht Gerhard Böttcher vor allem den Effekt eines „Know-How-Transfers, bei dem sich die jüngeren Athleten Tipps von den Älteren holen“, so seine Überzeugung. Die bekannte Zusammenarbeit im eigenständigen Wurf-Team e.V. wird damit seiner Ansicht nach nur konsequent fortgesetzt und stellt für ihn das „Erfolgsgeheimnis“ dar.
Trainingslager als Erfahrungsaustausch
Ins gleiche Horn stößt auch Speer-Bundestrainerin Maria Ritschel, die zunächst auf Steffi Nerius (TSV Bayer 04 Leverkusen) wegen beruflicher Gründe verzichten muss. Die deutsche Vorzeige-Speerwerferin wird allerdings im Februar ihr Pensum in Portugal nachholen. „Wir nutzen das Trainingslager zum Erfahrungssaustausch, können hier viel gemeinsam machen und haben einen eigenen Arzt und Physiotherapeuten dabei“, schildert sie die Vorteile und betont: „So können wir viel schneller auf kleine Probleme reagieren.“
Trotz aller Gemeinsamkeiten zwischen Diskus- und Speerwerfern – auch im Hotel wird es eine gemischte Unterbringung geben – hat Maria Ritschel ihre Athletinnen Christina Obergföll (LG Offenburg) und Vivian Zimmer (Hallesche LAF) klar im Blick. „Wir wollen das spezielle Training intensivieren und früher als bisher schwere Wettkampfgeräte werfen.“ Dies hat sie in ihrer Trainingsgestaltung mit Gerhard Böttcher gemein, der das Wintertrainingslager natürlich auch als Grundlagentraining im Kraftbereich ansieht. Bevor die Werfer ein weiteres Trainingslager in Albufeira (Spanien) im Frühjahr absolvieren, steht Mitte März die bereits seit einigen Jahren als wichtiger Leistungsvergleich vor der Sommersaison etablierte „Winterwurf-Challenge“ an, die dieses Mal in Jalta in der Ukraine stattfinden wird.
Viele Spielräume für die Vereinstrainer
Ganz anders als die Werfer machen es die auch auf die Hallensaison fokussierten weiblichen Stabhochspringer und bleiben zu Hause. „Dies war gerade für die Weihnachtszeit der Wunsch vieler Athletinnen gewesen und überdies sehe ich auch keine sportliche Notwendigkeit“, erklärt der verantwortliche Bundestrainer Herbert Czingon seine Motive. Seinen großen und leistungsstarken Kader hatte er bereits vor kurzem in Mainz zu einem Lehrgang versammelt und bei einem weiteren im Januar in Saarbrücken wird dies neuerlich der Fall sein. Herbert Czingon sieht dadurch einen positiven internen Konkurrenzkampf gewährleistet, „da haben wir einen Vorteil gegenüber anderen Nationen“, so seine Einschätzung.
„Dabei trainieren wir so individuell wie möglich, es bleiben viele Spielräume für die Vereinstrainer und ich sehe mich selber eher als Berater“, erläutert er. Die Hallen-EM erklärt er zur Zwischenetappe bis zur Feiluft-WM, wobei die Nominierung für Birmingham vollkommen offen sei, da die Zielsetzungen sehr unterschiedlich sind. Yvonne Buschbaum (ABC Ludwigshafen) war lange Zeit verletzt, Carolin Hingst (USC Mainz) hatte eine unbefriedigende Saison und Silke Spiegelburg (TSV Bayer 04 Leverkusen) vollzieht derzeit eine technische Umstellung. Dennoch mit sechs Athletinnen unter den Top 25 der Welt in der letzten Saison sieht der Stabhochsprung-Coach für die kommenden Aufgaben „eine starke Ausgangsposition“.
Unterschiedlichste Aktivitäten in eigener Verantwortung
Bei den Langsprinterinnen des DLV liegt die Konzentration schon jetzt ganz auf der Sommersaison mit dem großen Höhepunkt der WM in Japan. „Bei uns gibt es auch eine finanzielle Problematik, im Winter mehr zu machen“, erklärt 400-Meter-Bundestrainer Edgar Eisenkolb. Darüber hinaus schreibt er der jetzigen Phase für seine Athletinnen die Möglichkeit zu, ihren Verpflichtungen z.B. gegenüber Sponsoren nachzukommen. Im Sommer bliebe dafür keine Zeit, nicht zuletzt weil das Team, dem auch 400-Meter-Hürden-Läuferin Claudia Marx (Erfurter LAC) angehört, ab März drei Höhentrainingslager in Südafrika, Namibia und Österreich absolvieren wird.
Somit bestimmen die Läuferinnen in diesen Tagen mit ihren Heimtrainern weitestgehend das Trainingsgeschehen. „Sie machen unterschiedlichste Aktivitäten in eigener Verantwortung“, führt der Bundestrainer aus, der darin aber überhaupt kein Problem sieht. „Wir haben hervorragende Heimtrainer, mit denen eine Zusammenarbeit auf methodisch hohem Niveau möglich ist.“ Auch ohne größere gemeinsame Maßnahmen schätzt Edgar Eisenkolb seinen Einfluss dennoch nicht gering ein. „Ich besuche die Athleten und stehe im regelmäßigen telefonischen Kontakt zu den Trainern, in dessen Rahmen wir auch einzelne Trainingsinhalte absprechen.“ Sein Ziel ist es, die 4x400-Meter-Staffel bei der WM wieder an den Weltmaßstab heranzuführen.
Organisation über die Landesverbände
Von solchen Zielen träumt der deutsche Männerweitsprung schon lange. Seit Jahren gibt es keine deutschen Athleten mehr in der absoluten Weltspitze. So muss DLV-Trainer Rainer Pottel auch damit leben, nicht in den Genuss einer entsprechenden Einstufung des Verbandes für die Durchführung von Auslandstrainingslagern zu kommen. „Bei uns wird vieles über die Landesverbände organisiert“, erklärt er. Seine in der Vergangenheit auffällig häufig mit Verletzungsproblemen kämpfenden Springer-Garde bereitet Rainer Pottel dennoch für die Hallen-EM vor. Der Disziplintrainer hofft, dass aufgrund der lösbaren Norm von 7,90 Metern, diese Meisterschaft für die jungen Athleten die Möglichkeit bietet, sich international zu zeigen.
Sein Berliner Vereinsschützling André Niklaus (LG Nike Berlin) beweist indes wie spezifisch die Vorbereitung im Winter aussehen kann. Der Zehnkämpfer und große Hoffnungsträger für 2007 wird im Januar drei Wochen eigenständig mit Stabhochspringer Tim Lobinger (ASV Köln) in Südafrika trainieren, Rainer Pottel wird nicht vor Ort sein. Er vertraut der Erfahrung des „absoluten Profis“ Tim Lobinger. Den in der letzten Saison am Sesambein verletzten André Niklaus sieht er weiterhin in einer Aufbauphase. „In Südafrika profitiert er von den klimatischen Bedingungen und das Training auf Rasenflächen dort schont seinen Fuß“, sagt der Coach. In der Halle soll der Mehrkämpfer nicht starten, wohl aber bei WM in Osaka und dort Medaillenträume wahr werden lassen.
„Gruppendynamische Effekte“ erwünscht
Den Gegenpol zu dieser Art des Wintertrainingslagers stellen im bevorstehenden Jahr fraglos die deutschen Mittel- und Langstreckler dar. Gemeinsam mit den Hindernisläufern fährt eine Gruppe von etwa 20 Athleten vom 3. bis 17. Januar nach Andalusien. Unter spanischer Sonne will u.a. der für die männliche Langstrecke verantwortliche Bundestrainer Detlef Uhlemann seine Läufer für die Saison fit machen. „Nach einigen Jahren individueller Vorbereitung haben wir uns schon letztes Jahr wieder für diesen Weg entschieden. Wir haben dort hervorragende Bedingungen, Laufstrecken in unmittelbarer Nähe unser Hotelanlage“, erläutert er.
Dass dieses Konzept aufgeht, sieht er darin bestätigt, dass sich wie im Vorjahr wieder viele weitere Athleten den A- und B-Kadern anschließen. Einige bringen ihre Vereinstrainer mit, sogar Aktive aus der Schweiz kommen dazu. So entsteht eine typische „Trainingslagercharakteristik mit gruppendynamischen Effekten“, wie es Detlef Uhlemann nennt und entgegnet entschieden Kritikern, die bereits von „Ferienlageratmosphäre“ gesprochen hatten. Zur Trainingsgestaltung sagt er: „Wir werden hier im Grundlagen- und Kraft-Ausdauerbereich arbeiten und viel Gruppentraining machen.“
Wintertrainingslager ein probates Mittel
Nach den spezifischen Anforderungen der Athleten lässt sich seiner Auffassung nach das Training aber problemlos individualisieren, je nach Laufdisziplin, Leistungsstand und Saisonplanung. Diese sieht für die Marathonläufer den Einstieg in die Saison bei den diversen Frühjahres-Marathonläufen vor, für die Langstreckler, wie 10.000-Meter-Europameister Jan Fitschen (TV Wattenscheid 01), bei der „EAA-10.000-Meter-Challenge“ in Italien im April. „Der eine oder andere wird aber auch in der Halle starten“, ergänzt der Bundestrainer.
So vielfältig die Konzeptionen und Maßnahmen der Verantwortlichen auch sind, sie dokumentieren letztlich die methodische Vielfalt im DLV, die Eigenständigkeit der Disziplinen und die Eigenverantwortung der Athleten. Wintertrainingslager sind fraglos ein probates Mittel in der Saisonplanung, aber das muss nicht auf jeden Kader oder Einzelathleten zutreffen. Wenn am Ende des Jahres wieder Bilanz gezogen wird, dann lassen die Ergebnisse vielleicht einen Rückschluss darauf zu, welche Herangehensweise in der Saisonvorbereitung zum Erfolg geführt hat und welche nicht. Bei dem allseits herrschenden Optimismus wird es allemal spannend.