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Wilhem Belocian schafft den Durchmarsch

Manchmal dauert es Jahre, bis ein erfolgreicher Nachwuchsathlet in der Aktivenklasse in die Spitze vorgestoßen ist. Der französische Hürdensprinter Wilhem Belocian hat es innerhalb weniger Monate geschafft. Auf Gold bei der U20-WM im Sommer 2014 ließ er Bronze bei der Hallen-EM 2015 folgen. Nationale Medien feiern den 19-Jährigen bereits als „Frankreichs größte Leichtathletik-Hoffnung“.
Silke Morrissey

Spätestens seit der Junioren-Gala 2014 in Mannheim dürfte Wilhem Belocian auch den deutschen Leichtathletik-Fans ein Begriff sein. Zugegeben, den Nachwuchs aus dem Ausland verfolgen viele wohl nur am Rande. Aber was der junge Mann, geboren auf der französischen Karibik-Insel Gouadeloupe, dort auf die Bahn zauberte, war schon faszinierend. Pfeilschnell, aber trotzdem elegant, fast schon spielerisch nahm er jede Hürde und war nach 13,15 Sekunden im Ziel – U20-Europarekord.

So recht schien Belocian gar nichts mit der Marke anfangen zu können, wie das <link video:10107>Video des Rennens zeigt – ein verschmitztes Lächeln, ein paar geschüttelte Hände, raus aus dem Innenraum, und dann? Fast nahtlos weiter zum nächsten Rekord! Denn bevor die Zeit aus Mannheim überhaupt ratifiziert werden konnte, absolvierte er bei der U20-WM in Eugene (USA) ein Rennen, das ihm für immer einen Platz in den Geschichtsbüchern sichern wird: Der 19-Jährige war am 24. Juli 2014 der erste U20-Athlet, der über 110 Meter Hürden unter 13 Sekunden  blieb. 12,99 Sekunden, Gold.

Hochdekorierter U20-Athlet

Wer die Entwicklung des hochtalentierten Franzosen mitverfolgt hat, dürfte über die Leistung in Eugene nicht allzu überrascht gewesen sein – obwohl eine Steigerung um weitere 16 Hundertstel in diesem Bereich natürlich ein Paukenschlag ist. Aber Belocian hat sich Schritt für Schritt an diese Marke herangetastet und schon früh sein Potenzial unter Beweis gestellt.

2011, gerade 16 Jahre alt geworden, rannte Wilhem Belocian zu Bronze bei der U18-WM in Lille (Frankreich). Ein Jahr später, noch als U18-Athlet, kam er bei den U20-Weltmeisterschaften in Barcelona (Spanien) ebenfalls auf den Bronzerang. Bei der U20-EM 2013 Rieti (Italien) gab’s die erste internationale Goldmedaille. Die zweite folgte im Jahr darauf auf Weltniveau – fast schon eine logische Konsequenz seiner rasanten Entwicklung.

Denn Belocian war nicht nur erfolgreich, er hat stets auch hochklassige Zeiten angeboten. Im Alter von 17 Jahren stellte er in 13,12 Sekunden einen Weltrekord über die 91,4 Zentimeter hohen U18-Hürden auf – mittlerweile überboten vom Jamaikaner Jaheel Hyde (12,96 sec). Im Alter von 18 Jahren steigerte der Franzose den U20-Weltrekord über 60 Meter Hürden auf 7,48 Sekunden. Ein halbes Jahr darauf zauberte er den Rekordlauf von Eugene auf die Bahn.

Den Wurzeln treu

Wilhem Belocian ist Leichtathlet, so lange er denken kann. Zwar gibt es in seiner Heimat Gouadeloupe, einer Gruppe von neun Antillen-Inseln in der Karibik, nur zwei Sportplätze. Aber schon als Fünfjähriger schaute er erstmals beim Training vorbei, baute sich später selbst für den Sprint Startblöcke aus Holz und trat im Alter von acht Jahren in den Sportclub seiner Heimatstadt Les Abymes ein.

Elf Jahre später ist der nur 1,78 Meter große Hürdensprinter, der 2013 ein Sportstudium begonnen hat, seinen Wurzeln weiter treu. Sein Verein: Stade Lamentin auf Gouadeloupe. Seine Coaches: Ketty Cham und Rico Vaitilingon. „Er ist ein guter Junge“, sagt sein Vater Jean-Claude Belocian, „ruhig, ausgeglichen.“ „Er ist sehr professionell“, sagt Ketty Cham, die Belocian für ähnlich talentiert hält wie Frankreichs 400-Meter-Ikone Marie-José Pérec oder Ausnahme-Sprinter Usain Bolt (Jamaika).

Professionell, selbstbewusst und aufmerksam. Cham erinnert sich, wie Belocian sie vor dem Hürden-Finale in Eugene im Callroom in den Arm genommen hat: „Mach dir keine Sorgen“, habe er ihr gesagt. Darauf angesprochen berichtet Belocian: „Ich habe gesehen, dass sei gestresst war. Ich wollte sie beruhigen.“

Ohne Druck nach Prag

Gemeinsam mit seinem Team hat Wilhem Belocian in diesem Winter nun den nächsten Schritt geschafft: die Umstellung von den 99 Zentimeter hohen U20-Hürden auf die 1,067 Meter hohen Männerhürden. Bei den Hallen-Europameisterschaften in Prag (Tschechische Republik) ist der 19-Jährige mit Bronze und einer Zeit von 7,52 Sekunden direkt in die Weltspitze der Aktiven durchmarschiert. Nur sieben Hürdensprinter weltweit waren 2015 schneller als er.

Belocian sortiert sich damit ein in die illustre Reihe von Athleten, die nach einem U20-WM-Titel gleich Edelmetall bei den Erwachsenen holten. Keshorn Walcott, der Speerwurf-Olympiasieger aus Trinidad und Tobago, zählt dazu. Der 400-Meter-Weltmeister von 2011 Kirani James (Grenada) oder 800-Meter-Läufer Nijel Amos (Botswana) – alle Drei allerdings auch Beispiele dafür, dass es schwer ist, nach einem Überraschungscoup konstant das hohe Niveau zu halten.

Nicht mehr lange in der Außenseiter-Rolle

In der O2-Arena von Prag kam Belocian zugute, dass er mit Hallen-Vize-Weltmeister Pascal Martinot-Lagarde und Europas Jahresschnellstem Dimitri Bascou zwei Landsmänner an seiner Seite hatte, auf denen der Druck der Erwartungen lag – und die dann knapp vor ihm landeten. „Ich bin neu bei den Großen. Daher erwarte ich mir nicht allzu viel“, hatte Belocian noch kurz zuvor zu Protokoll gegeben.

Die Außenseiter-Rolle wird der U20-Weltmeister wohl schneller abgeben müssen, als ihm lieb ist. Aber dass er auch als Medaillenkandidat die Nerven bewahren kann, hat er ja schon in Eugene gezeigt. Die Rekordjagd dürfte noch lange nicht beendet sein.

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