Licht am Ende des Tunnels bei Esther Möller
Sie ist jung, hübsch, und sie war erfolgreich. Esther Möller, eine der deutschen Hoffnungen im Sprint, hatte das Olympia-Ticket bereits in der Tasche. In Sydney begann ihr Leidensweg. Die linke Achillessehne spielte nicht mehr mit. Urplötzlich war die schnelle Dortmunderin weg vom Fenster. Aus der Traum von Olympia! Es folgten eine lange Wettkampfpause, mühselige Comeback-Versuche und schließlich eine Operation der lädierten Sehne. Mittlerweile sieht Esther Möller wieder Licht am Ende des Tunnels.
Esther Möller - auf dem Weg zurück in die deutsche Spitze!? (Foto: Kiefner)
Im Dress des TV Wattenscheid 01, ihrem neuen Verein, hofft sie auf eine Rückkehr. Denn die Lust am Laufen hat sie, allen Nackenschlägen zum Trotz, nicht verloren. Es gibt Tage, die man am besten gleich morgens vom Kalender reisst. Auch in den letzten Wochen war es wieder kalt, trübe und feucht, ein Wetter zum Davonlaufen. Bonjour Tristesse! Der Winter knackte durchs Land. Dunkle Wolken segelten über der Helmut-Körnig-Halle. Draußen war es ungemütlich. Drinnen roch es nach Arbeit, knochenharte Maloche auf rotem Kunststoff. Dann kam Esther Möller, Sprinterin, lange verletzt gewesen und endlich wieder im Aufbautraining. Sie sagte kurz: "Hallo." Ihr freundliches Lächeln wirkte ansteckend. Die Haare wippten ins Gesicht, störten aber nicht beim Sprinten, ganz und gar nicht. Aufwärmen. Esther Möller kreiste eher gelassen um die spröde Tartanbahn, man spürte, sie hat Zeit, sie spult froh gelaunt ihr Pensum herunter. Mit schnellen Schritten trommelte sie durch die Kurven, beschleunigte leichtfüßig ihr Tempo auf den Geraden und liess es locker austrudeln.
Auch andere Athleten tummeln sich in ihrer Trainingsgruppe, viele sind muskulös gebaut. Esther Möller wirkt ausgewogener. Ansprechend verteilen sich 63 Kilo Gewicht auf 172 Zentimeter Körpergröße. Als "Glamour Girl" hat sie mal irgendwer irgendwann bezeichnet. "Es wird viel geschrieben", meint sie mit keckem Grinsen, "andererseits ist es ganz schön, wenn man so gesehen wird." Esther Möller ist eine flotte Biene. In den Stadien fliegen ihr die Sympathien zu. Sie ist jung, hübsch. Und sie war erfolgreich, bis die linke Achillessehne streikte. "Kurz vor den Olympischen Spielen kam das Aus", schaut sie wehmütig zurück, "wir waren schon in Australien." An der Gold Coast hatte der DLV ein Trainingscamp organisiert. "Ich war richtig gut drauf." In "down under" drückte sie ihre 100-Meter-Bestzeit auf 11,33 Sekunden. "Aber dann fingen die Probleme wieder an." Die verflixte Sehne spielte verrückt, die Schmerzen wurden immer schlimmer. Nichts ging mehr. "Sydney hat mir kein Glück gebracht." Ihre Olympia-Pläne konnte sie in den Wind schreiben. "Das war ein Schock, den ich nur langsam verdaut habe", erinnert sie sich an den Tiefpunkt ihrer Karriere, "und die Beschwerden wurde ich nicht mehr los."
Operation war unausweichlich
Verbissen trainierte sie weiter. So, als gäbe es schon am nächsten Sonntag einen Wettkampf für sie. Ihr Ehrgeiz trieb sie voran. Ihre Moral war ungebrochen. Wochen vergingen, Monate, bis sie, nach Rücksprache mit Joachim Thomas und Marco Kleinsteuber, ihrem Trainer-Duo, die bittere Konsequenz zog: "Eine Operation", waren sich alle Beteiligten einig, "ist dringend erforderlich!"
Im letzten Juni, als ihre Kolleginnen die Norm für die WM in Edmonton aufs Korn nahmen, kam Esther Möller unters Messer. Dr. Heinz Löhrer, ein anerkannter Orthopäde aus Frankfurt, führte den Eingriff durch. "Die Achillessehne war ein bisschen angerissen", berichtete der "Doc" hinterher, "ein Schleimbeutel wurde entfernt und außerdem ein Fersensporn." Drei, vier Wochen nach der OP, so ganz genau weiß sie es selber nicht mehr, folgte bereits ein leichtes Aufbautraining: Aquajogging, Radfahren, alles schön piano, um ja nichts zu überstürzen. Blinder Eifer schadet nur! "Ich lass' es langsam angehen", erzählt sie, "und momentan läuft alles nach Plan." Die Sehne hält. Toi, toi, toi. Esther Möller kann beschwerdefrei durchtrainieren. "Natürlich hoffe ich, dass es auch so bleibt." Vorsichtig ist sie geworden nach der nicht enden wollenden Krankengeschichte. Aufmerksam horcht sie in ihren Körper rein. "Du hast ständig das dumme Gefühl, dass der Schmerz zurückkommen könnte." Doch die Sehne hat bisher allen Belastungen stand gehalten.
Mittlerweile hat Esther Laune ihre gute Laune wieder gefunden, in diesen Tagen geht es ins Trainingslager nach Albufeira. Auch der Kraftraum mit seinen sperrigen Maschinen, wo es ein wenig nach Schweiß riecht, kann sie nicht schocken. "Jetzt, wo ich merke, dass es aufwärts geht, jetzt bin ich hochmotiviert", sagt sie und stemmt Gewichte, als sei es die schönste Sache auf der Welt, "die Leidenszeit ist endlich vorbei." Im vergangenen Frühjahr, als ein Rückschlag den nächsten jagte, war sie stimmungsmäßig im Keller. Da war sie schlecht drauf, unausgeglichen und bisweilen biestig. "Mein Freund", lacht sie, "musste auch darunter leiden." Ruwen Faller, mit dem sie in Dortmund zusammen lebt, besitzt gottlob ein dickes Fell. Faller, 1999 in Riga Junioren-Europameister über 400 Meter und mit der 4 x 400-Meter-Staffel, konnte sich in ihre Psyche hineinversetzen und versuchte, sie moralisch wieder aufzupäppeln.
Fernziel EM in München sorgt für glänzende Augen
Die für sie so schwierige Phase haben beide gemeinsam überstanden. "Was gestern war, interessiert nicht mehr", betont Esther Möller, "entscheidend ist, was morgen kommt." Sie schaut nach vorn und nicht zurück. "Die EM in München ist mein Fernziel." Ihre Augen leuchten. "Darauf arbeite ich hin, und wenn gesundheitlich alles okay ist, könnte es klappen." Dann, bemerkt sie beiläufig, würde sich ein Herzenswunsch erfüllen.
An eine Einzelmedaille verschwendet sie keine Gedanken. Das wäre auch utopisch nach der langen Abstinenz. "Erst mal zusehen, dass ich überhaupt die Quali packe", stapelt sie tief, "ich weiß doch gar nicht, wo ich leistungsmäßig stehe und wie ich die Pause verdaut habe." Mit der Staffel könnte sie das begehrte Edelmetall jagen. "Dann würde für mich ein Traum wahr werden." Doch die Konkurrenz ist groß. Riesengroß. "Das wird ein heißer Tanz." Bleibt die Frage, ob ihre Gegnerinnen, insbesondere jene aus dem Ostblock, auch alle clean sind. "Dazu möchte ich mich nicht äußern." An diesem heißen Eisen möchte sie sich nicht die Finger verbrennen. "Ich gehe davon aus, dass sie regelmäßig kontrolliert werden und somit sauber sind." Basta.
Die gelernte Werbekauffrau will sich nicht zu weit aus dem Fenster lehnen. Das Thema Doping ist tabu. "Was soll ich dazu auch groß sagen?" Sie selber würde nicht zu solch verbotenen Mittelchen greifen. Nie und nimmer. "Es geht auch ohne!" Mit 24 Jahren wird sie in diesem Sommer einen Neuanfang versuchen. In den blau-weißen Farben des Traditionsvereins TV Wattenscheid 01, der berühmt ist für seine Sprinter-Dynastie. "Ich bin zuversichtlich, dass ich dort an die glorreiche Vergangenheit anknüpfen kann." Nach dem glücklosen Gastspiel in Fürth, wo das Versandhaus Quelle urplötzlich den Geldhahn zudrehte und damit den Ausverkauf beim bayerischen Vorzeigeklub einleitete, ist Esther Möller wieder im Westen gelandet. "Sozusagen gleich um die Ecke", erzählt sie mit leisem Schmunzeln, "von Dortmund nach Wattenscheid ist es ja nicht weit." Mit Melanie Paschke und Silke Maurer weiß sie zwei schnelle Damen an ihrer Seite.
Unterstützung vom Chef nach Kräften
Das Lohrheidestadion, einen Steinwurf entfernt von der Geschäftsstelle des TVW 01, ist Anfang Juli zugleich Schauplatz der Deutschen Meisterschaften. Ihr letzter Titel liegt schon eine geraume Zeit zurück. In Braunschweig war's im Sommer 2000, als sie die 100 Meter gewann vor Andrea Philipp und Marion Wagner. Lang, lang ist es her. "Wenn ich bei der DM in Wattenscheid den Sprung aufs Treppchen schaffe, dann müsste ich auch für die EM nominiert werden." Dafür quält sie sich. Tagein, tagaus. Ihr Arbeitgeber "ISD Software und Systeme GmbH", eine Ingenieurgesellschaft für Statistik und Dynamik mit Sitz in Dortmund, zeigt viel Verständnis. "Mein Chef unterstützt mich nach Kräften", lobt sie ihren Vorgesetzten, "sonst könnte ich das Kapitel Hochleistungssport gleich zuschlagen." Es braucht halt bloß ein bisschen Goodwill auf beiden Seiten, um die sportlichen Ambitionen einer Vollblutsprinterin nicht zu gefährden.
Nur schade, dass Esther Möller die Hallensaison links liegen liess. "Na klar wäre ich gern dabei gewesen", bedauert sie selber am meisten den Verzicht auf die Indoor-Meetings, "gerade in Dortmund, praktisch vor meiner Haustüre, hätte ich mich gerne wieder gezeigt." Dort lief sie im Winter '99 mit 22,86 Sekunden eine Weltjahresbestzeit. "Esther, Esther", schallten die Anfeuerungsrufe von den voll besetzten Rängen. Sie war damals der Publikumsliebling, eine Sympathieträgerin, deren Zukunft in rosaroten Farben leuchtete.
Glücksbringer auf der Schulter - Esther will es wieder wissen
Nun fängt sie wieder ganz unten an. Ihr Ruhm ist verblasst. Ihren Optimismus hat sie sich dennoch bewahrt. Ihr Glücksbringer ist immer dabei: ein Tattoo auf der rechten Schulter, ein chinesisches Zeichen, das "Gesundheit" bedeutet! Sie will's wissen. "Ich greife wieder an." Viele hätten den Kram längst hingeschmissen. Nicht mit ihr. "Daran hab' ich nie gedacht" Aufhören? Nein danke! Dann holt sie noch einmal tief Luft und wuchtet mit purer Energie die klobigen Eisenhanteln in die Höhe. Dort unten in der Folterkammer, in den Katakomben der Helmut-Körnig-Halle, knechtet sie unerbittlich für ihre Rückkehr. Und alle, die ihren Leidensweg kennen, drücken fest, ganz fest die Daumen, auf dass Esther Möller möglichst schnell wieder auf die Beine kommen möge.