Taktischer Schlagabtausch auf den Mittelstrecken
Knapp fünf Wochen vor Beginn der Leichtathletik-Europameisterschaften in München hat sich noch keine deutsche Läuferin sicher für den Start bei einer Mittelstrecke qualifiziert. Zum Teil fehlten nur Hundertstel zum Lösen des EM-Tickets. Jetzt sind die Deutschen Meisterschaften für einige Athletinnen die letzte große Chance. Wer über 800 Meter und 1500 Meter bei den Frauen den Meistertitel holt und in diesem Jahr schon die wohlwollende EAA-Norm erfüllt hat, fährt im August in die bayerische Landeshauptstadt.
Kristina Da Fonseca-Wollheim - Neun Hundertstel an der EAA-Norm vorbei (Foto: Kiefner)
Kristina Da Fonseca-Wollheim drückte deshalb im Vorlauf über 1.500 Meter auf die Tube. Die Athletin der LG Eintracht Frankfurt wollte sich über die EAA-Norm für das Finale in gute Position bringen. "Alleine ist es nicht einfach, diese 4:13 Minuten zu laufen", gestand sie nach ihrem mutigen Solo, bei dem sie bittere neun Hundertstel über der geforderten Zeit blieb. "Das bringt mir gar nichts", schimpfte sie nach dem Zieleinlauf, "da hätte ich auch eine 4:16 rennen können. Natürlich hat es Kraft gekostet." Kraft, die ihr vielleicht beim Finale am Sonntag fehlen könnte. Aber daran will sie jetzt keinen Gedanken verschwenden. "Ich muss jetzt ruhig bleiben und neu attackieren." Kathleen Friedrich in günstiger Position
Dadurch, dass Kristina Da Fonseca-Wollheim die EAA-Norm im Finale nachreichen muss, um sich als mögliche Deutsche Meisterin für die Europameisterschaft in München zu qualifizieren, rückt die Vorjahresmeisterin Kathleen Friedrich in eine günstige Position. Die Chemnitzerin weiss, dass ihr ein Sieg gegen die routinierierte Mitstreiterin genügt, um ihr München-Ticket zu buchen. Nach ihrem zunächst unerklärlichen Leistungseinbruch beim Europacup in Annecy kristallisierten sich nach eingehenden Untersuchungen in den letzten Tagen als Erklärung Probleme mit der Lunge heraus. Der langsame Aufgalopp im Lohrheidestadion kam der 22-jährigen entgegen. In 4:22,31 Minuten "trabte" sie zum ungefährdeten Vorlaufsieg. "Ich war schon locker, deshalb bin ich die Schlussphase noch etwas schneller gelaufen", berichtete sie, "ich habe versucht, jetzt wieder etwas Laufgefühl zu bekommen." Die Karten für das Duell zwischen Kristina Da Fonseca-Wollheim und Kathleen Friedrich sind verteilt. Nach einem Tag Pause geht es an das Eingemachte. Die Taktik ist klar und für Kathleen Friedrich steht fest: "Ich habe einen Titel zu verteidigen."
Gesell und Knippel belauern Ivonne Teichmann
Bei der kürzeren 800-Meter-Strecke hat die Magdeburgerin Ivonne Teichmann die besten Karten. Beim Europacup in Annecy schrammte sie mit nur sieben Hundertsteln an der EM-Norm vorbei, hat mit 2:00,07 Minuten die beste deutsche Zeit in diesem Jahr stehen. Sie dominierte in Bochum-Wattenscheid den ersten Vorlauf und kam dabei nicht mal richtig ausser Puste: "Der Vorlauf war locker und hat mich nicht viel Kraft gekostet. Ich fühle mich stark genug, morgen zu gewinnen." Auf den Sieg am Samstag spekuliert allerdings auch ihre härteste Konkurrentin Claudia Gesell. Sie gewann den zweiten Vorlauf und gab sich danach kämpferisch: "Ich habe morgen nichts zu verlieren und werde alles versuchen, ich kann nur gewinnen." Anja Knippel als Dritte im Bunde schielte schon seit längerem eher auf die Norm als auf den Titel. Dementsprechend enttäuscht war sie über den langsamen Vorlauf: "Ich hätte es gerne schon heute versucht, die Norm zu laufen. Aber wenn keiner mitmacht, hätte es keinen Sinn gemacht. Vielleicht ist ja morgen noch was drin."
Im Falle einer Niederlage hat Ivonne Teichmann noch einen weiteren Trumpf im Ärmel: Im Moment belegt sie in der europäischen Bestenliste mit ihrer Zeit aus Annecy Rang fünf. Steht sie am 07. Juli in der bereinigten Bestenliste noch immer unter den ersten Acht, hat sie ihr EM-Ticket unabhängig vom Ausgang bei den Deutschen Meisterschaften. Dann muss sie allerdings zittern, dass die europäische Konkurrenz nicht mehr für eine Überraschung sorgt.