Wolfgang Heinig - „Träume verwirklichen“
Bei der Cross-EM in Budapest (Ungarn) gab es im Dezember für den Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV) drei Medaillen. Eine sicherlich vorzeigbare Bilanz für den neuen Leitenden Bundestrainer Lauf Wolfgang Heinig. Im Interview der Woche stellte er sich den Fragen unseres leichtathletik.de-Mitarbeiters Wilfried Raatz.
Wolfgang Heinig, wie fällt mit nun einigen Tagen Abstand ihr persönliches Fazit über die 19. Cross-Europameisterschaften aus?Wolfgang Heinig:
Mit Maya Rehberg und Corinna Harrer konnten unsere Leistungsträger in der europäischen Spitze mithalten, wenngleich Corinna Harrer nicht im Vollbesitz ihrer Kräfte war und ihre Möglichkeiten nur bedingt ausschöpfen konnte. Dahinter jedoch gab es erhebliche Unterschiede, auch wenn es für die Mannschaften im U20- und U23-Bereich Medaillen gab. In der Breite und Dichte haben andere Nationen in Europa ähnliche Probleme wie wir, sonst hätten nicht wie bei den U20-Juniorinnen Punktzahlen über hundert Punkte zu Medaillen gereicht.
Das war allerdings nur die halbe Wahrheit. Wir wissen, dass die DLV-Juniorinnen bei einer Cross-EM immer für Medaillen gut sind. Doch wie fällt die Bilanz für den männlichen Bereich aus?
Wolfgang Heinig:
Wir mussten natürlich erkennen, dass wir im Juniorenbereich kein europäisches Niveau haben, auch wenn ein Johannes Motschmann am Anfang mutig mitgelaufen ist. Aber letztlich ist die abrufbare Leistung ein Spiegelbild des Belastungsniveaus. Und hier muss ich klar sagen, dass wir das Belastungsniveau nicht haben, um hier mithalten zu können! Auch wenn verschiedene Trainer im Vorfeld der EM gefordert haben, auch ein Männer- und Frauenteam an den Start zu stellen - die Entscheidung mit Einzelstartern (keiner bei den Männern, mit Christiane Danner war lediglich eine Frau am Start, Anm. der Red.) war richtig, denn wir haben eine zu geringe Dichte im Spitzenbereich. Nur mit unseren drei, vier besten Läufern in Topform hätte es vielleicht gereicht. Gerade das Frauenrennen hat gezeigt, auf welch hohem Niveau in Europa gelaufen wird. Wir hätten unseren Läuferinnen keinen Gefallen mit einer EM-Nominierung gemacht. So bleibt für mich als Fazit: Wir sind mit den drei Medaillen sehr gut weggekommen. Ich habe mit meiner Prognose mit zwei Einzel- und zwei Mannschaftsmedaillen im Prinzip richtig gelegen. Auch eine Medaille wäre für Corinna Harrer möglich gewesen, doch nicht nach ihren Fußproblemen im Vorfeld. Wir sind im weiblichen Bereich stark, dagegen haben wir massive Probleme im männlichen Bereich.
Cross-Europameisterschaften sind sicherlich auch immer eine vorzügliche Gelegenheit, sich mit Trainerkollegen aus anderen Ländern auszutauschen. Hatten Sie trotz des gedrängten Zeitplanes mit einer verspäteten Anreise Kontakt zu anderen Trainern?
Wolfgang Heinig:
Natürlich haben wir uns mit den Schweizern und Österreichern ausgetauscht. Aber auch mit den Portugiesen, die wie wir eine gemeinsame Odyssee über Frankfurt und Wien zu überstehen hatten. Aber auch mit dem Trainer von Mo Farah. Aber eigentlich gibt es keine neuen Erkenntnisse. Das Niveau ist bei der Cross-EM erheblich gestiegen, so dass eine Cross-EM-Beteiligung nur dann einen Sinn macht, wenn die zielgerichtete Vorbereitung im September beginnen kann. Die Zeiten sind vorbei, dass man eine derartige EM aus Spaß mitnehmen kann. Man konnte erkennen, dass sich in Russland, Polen, Portugal, Spanien oder Italien sehr viel getan hat, in Großbritannien ehedem. Da ist eine zum Teil wesentlich größere Breite in der Spitze vorhanden als bei uns.
Diese Cross-Europameisterschaften in Ungarn wurden somit der Startpunkt für Ihre Tätigkeit als Leitender Bundestrainer Lauf, die sie am 1. November aufgenommen haben. Welche Schwerpunkte sehen Sie in Ihrer künftigen Arbeit?
Wolfgang Heinig:
Ich kann natürlich auf einen gewachsenen Trainerstamm beim DLV zurückgreifen, der seit einigen Jahren bereits in verschiedenen Altersbereichen aktiv ist. Ein gewisses Läuferpotential ist vorhanden, es ist aber auch erforderlich, dass wir die Zusammenarbeit mit Sportwissenschaftlern besser darstellen müssen. Der Fokus liegt natürlich auf 2016, aber wir haben praktisch zur Halbzeit die Europameisterschaften in Zürich. Dort werden wir natürlich sehen können, wo wir zu diesem Zeitpunkt stehen. Außerdem gilt es, einige strukturelle Veränderungen vorzunehmen, um die Kräfte stärker bündeln zu können. Die Situation mit Heimtrainern, die weniger eine Sportlehrerausbildung, sondern eine Qualifikation mit einer Übungsleiterlizenz haben, sollte verbessert werden. Deshalb wird auf die Trainerweiterbildung besonderen Wert gelegt werden müssen.
Wie groß sehen Sie die Chancen, innerhalb von zwei bis vier Jahren den Anschluss an das internationale Niveau im Mittel- und Langstreckenlauf herstellen zu können?
Wolfgang Heinig:
Wir haben eine Reihe von jungen Leuten, die diesen Anschluss herstellen können. Dabei kann der Bogen von Mittelstrecklern wie Sören Ludolph, Florian Orth oder Diana und Elina Sujew bis hin zum Marathonbereich mit den Hahner-Zwillingen gespannt werden. Aber es ist in erster Linie eine Frage, die der Sportler für sich beantworten muss. Träume zu haben ist entscheidend. Deshalb stellt sich die Frage: Wer möchte sich diesen Traum erfüllen? Wir können diese jungen Sportler als Trainer nur begleiten. Denn nicht wir erringen die Medaillen, sondern das sind alleine die Athleten, der sich diese Träume verwirklichen möchten.