„Wurf-Vandale“: Julian Weber greift in Rieti an
Vor vier Jahren stand er vor dem sportlichen Aus, jetzt kann ihn nicht einmal ein gebrochener Finger aufhalten: Julian Weber gehört in Rieti zu den Medaillen-Aspiranten im Speerwurf.
Unten auf dem Rasen spielen ein paar Studenten Fußballtennis, im Rücken der kleinen Tribüne werden die beiden Beachvolleyball-Felder beackert, und irgendwo auf dem Gelände des USC Mainz treibt sich auch Stabhochspringerin Carolin Hingst herum und schuftet für ihren WM-Start im August. Auf den kühlen Stufen des Leichtathletik-Stadions sitzt Julian Weber und fühlt sich inmitten dieser Szenerie ziemlich wohl.Die U20-Europameisterschaften in Rieti (Italien) stehen vor der Tür, gleich beginnt eine der letzten Trainingseinheiten, und die Laune des 18-Jährigen passt zum hervorragenden Wetter. „Ich fühle mich gut“, sagt Weber, zeigt seinen verheilten Daumen und ergänzt: „Ich hab‘ richtig Bock auf diese EM.“
Anerkennung von Unbekannten
78,17 Meter, das ist die Weite, mit der sich der Mainzer bei der Junioren-Gala in Mannheim endgültig qualifiziert hat. Die Weite, mit der sich Weber an die Spitze der U20-Weltjahresbestenliste gesetzt hat. Und eine Nachricht, die mehr als 350 Bekannte und Unbekannte auf Webers Facebook-Seite mit einem „Gefällt mir“ markiert haben.
„Das ist neu für mich, und es ist mir manchmal sogar zu krass, wenn fremde Leute auf mich zukommen und mir gratulieren“, sagt Weber. Aber doch ein angenehmeres Gefühl, als im Krankenhaus besucht zu werden, oder zumindest ein besserer Anlass für Anteilnahme.
Nach Knorpelschaden zurück gekämpft
Es ist gerade mal vier Jahre her, dass die Sportkarriere des damals 14-jährigen vor dem vorzeitigen Ende stand. Von einem Arzt erfuhr Weber, dass er wegen eines Knorpelschadens nie wieder auf Sportplätze oder in Hallen zurückkehren würde, oder eben nur als Zuschauer. Er wechselte die Klinik und kämpfte sich langsam zurück. Knapp vier Jahre, einen Fuß- und einen Daumenbruch später, reist er als Favorit zur U20-EM.
„Er hat Ehrgeiz“, sagt Nachwuchs-Bundestrainer Ralf Wollbrück. „Julian will“, sagt Vereinstrainer Stephan Kallenberg. Und Julian Weber kann. „Die athletischen Voraussetzen müssen wir nicht gesondert erwähnen“, sagt der USC-Coach, „aber er lässt sich auch gut führen, ist ein toller Typ“. Das Verhältnis zwischen Athlet und seinem Entdecker ist besonders, eng, freundschaftlich. „Stephan ist der Beste“, sagt Weber.
Daumenbruch im Frühjahr
Nachdem sich der Schüler aus der Leichtathletik verabschiedet und auf den Handball konzentriert hatte, holte Kallenberg ihn im B-Jugend-Alter zum USC zurück. Anfang 2011 machte er seinen ersten Wettkampf. Platz zehn bei der U18-DM im gleichen Jahr, mit 59,98 Metern, zweimal Platz vier bei den U20-Meisterschaften in der vergangenen Saison, 64,47 Meter im Winter, 68,53 Meter im Sommer. Weber stand jeweils strahlend neben dem Siegerpodest, in diesem Winter als U20-Meister (72,68 m) dann endlich darauf. Wenig später gewann er den Länderkampf in Ancona (Italien) mit 75,49 Metern.
Im Frühling brach sich Weber den Daumen. Da hatte selbst Bundestrainer Wollbrück Bedenken. Doch Weber stellte die Technik einfach auf eine andere Grifftechnik um und kam schneller zurück als gedacht. „Ich habe die Verletzung ausgeblendet“, sagt der 18-jährige. Die Geschichte von Julian Weber, der sich schon in der Grundschule als „Wurf-Vandale“ einen Namen machte, ist auch deswegen so sympathisch, weil ihr Held nicht zu denen gehört, die den Genussentzug propagieren und am allerliebsten Nudeln mit Nudeln essen. „Julian kann in die Weltspitze vordringen“, glaubt Bundestrainer Wollbrück. Ein Ziel für die Zukunft. Erst mal will er aber eine Medaille in Rieti gewinnen.