Yuriy Borzakovskiy - „Mir gefällt es hier“
Mit Olympiasieger Yuriy Borzakovskiy gastierte zuletzt ein großes Aushängeschild der russischen Leichtathletik in Deutschland. Standesgemäß ließ er seinem Sieg in Stuttgart einen weiteren in Düsseldorf folgen. Im exklusiven leichtathletik.de-Interview sprach der 800-Meter-Läufer über Deutschland, das Olympiajahr, die deutschen Talente, seine Beziehung zur Familie und seinem Trainer sowie seine schwere Krise vor zwei Jahren.

Yuriy Borzakovskiy:
Mir hat das Meeting sehr gefallen. Die Halle ist prima und überall war eine familiäre Atmosphäre zu spüren. Mit dem Ergebnis war ich sehr zufrieden. Der Lauf war sehr ausgeglichen besetzt. Es fehlten aber die starken Gegner als solche, wie zum Beispiel Hallen-Weltmeister Wilfred Bungei. Das Siegen war so für mich grundsätzlich einfach. Trotzdem musste ich die letzten Meter attackieren, weil der Lauf anfangs eher langsam war.
Hatten Sie vorher schon von den deutschen Talenten Robin Schembera und Sebastian Keiner gehört?
Yuriy Borzakovskiy:
Ja, ich hatte von ihnen gehört und auch Bilder gesehen. Wir beobachten immer die europäische Szene sehr genau. In den letzten fünf Jahren waren es doch recht wenig herausragende 800-Meter-Läufer aus Europa. In der Regel vertrete ich bei Weltmeisterschaften und Olympia Europa praktisch alleine, die meisten anderen kommen aus Afrika. Ich möchte, dass die europäische Mittelstrecke wieder stärker wird und deshalb wünsche ich den jungen deutschen Talenten viel Erfolg und hoffe, dass aus ihnen erstklassige Athleten werden.
Laufen Sie denn gerne in Deutschland?
Yuriy Borzakovskiy:
In Deutschland gefällt es mir sehr. Hier sind sehr gute Leichtathletik-Arenen. Deutschland ist im Winter mein Lieblingsland. Praktisch in fast jeder Halle bin ich eine Bestleistung gelaufen oder stellte einen Meetingrekord auf, deshalb gefällt es mir hier natürlich gut.
Warum sind Sie denn am letzten Wochenende in Düsseldorf gestartet und nicht in Moskau bei den Russischen Hallen-Meisterschaften?
Yuriy Borzakovskiy:
Es wäre bei den Russischen Hallen-Meisterschaften um die Qualifikation für die Hallen-WM in Valencia gegangen. Es gab dort keine Vorläufe, sondern nur Finalläufe und da ich keinen Start bei den Weltmeisterschaften plane, war es für mich nicht nötig, in Russland zu bleiben. Ein internationaler Wettbewerb ist mir schon wichtiger als die Russischen Meisterschaften, das ist viel interessanter.
Warum verzichten Sie auf die Hallen-WM?
Yuriy Borzakovskiy:
Wir sind in einem Olympischen Jahr, ich möchte meine Kräfte einteilen, mich jetzt im Winter ein wenig mehr ausruhen und mich für Peking schonen.
Olympia in China ist also das große Ziel. Wie werden Sie sich darauf vorbereiten?
Yuriy Borzakovskiy:
Die Wintersaison verlief schon einmal sehr gut. Jetzt im Februar plane ich noch den ein oder anderen Start. Dann werde ich zwei oder drei Wochen Pause machen, danach beginnt die gründliche Vorbereitung auf die Sommersaison und auf Olympia. Ich denke, wir werden mit meinem Trainer irgendwohin ins Trainingslager fahren. Dort wird er meinen Trainingsplan aufstellen. Danach müssen wir einfach abwarten, wie es läuft. In Peking will ich ins Finale. Dort muss man dann weitersehen.
Machen Sie sich denn Sorgen wegen der Bedingungen und der Luftverschmutzung in Peking?
Yuriy Borzakovskiy:
Wir haben uns schon damit befasst. Nicht die Luftverschmutzung, sondern die Feuchtigkeit soll das größte Problem sein. Letztes Jahr zur WM in Japan wurde auch gesagt, dass es sehr feucht ist. Wir sind angekommen und stellten fest, man hat nur viel Wirbel gemacht. Erstens laufen alle Athleten unter den selben Bedingungen, und zweitens in Moskau ist die Luft auch sehr verschmutzt. Ich bin es gewohnt.
Wie muss man sich Ihren Alltag in Russland überhaupt vorstellen?
Yuriy Borzakovskiy:
Wenn ich nicht gerade Sport treibe und trainiere, verbringe ich meine Zeit mit meiner Familie. Ich habe zwei Söhne, der eine wird sechs Jahre alt, der andere drei. Ich liebe sie sehr. Die Jungs sind sehr aktiv. Der Älteste beginnt so langsam zu laufen. Er hat sehr lange Beine und ähnelt ein wenig einem Kenianer.
Was wollen Sie Ihren beiden Söhnen für Ihren Lebensweg mitgeben? Wie erziehen Sie sie?
Yuriy Borzakovskiy:
Ich erziehe sie sehr streng aber gerecht. Sie hören auf mich und respektieren mich als Vater. Niemals haben sie mich enttäuscht. Der Älteste geht in den Kindergarten, nächstes Jahr wird er eingeschult. Der Jüngste bleibt weiterhin im Kindergarten. Mal sehen, welche Sportart sie sich später einmal aussuchen. Ich werde sie nicht zur Leichtathletik zwingen, aber ich vermute jetzt schon, dass sie gerade diese Sportart auswählen werden.
Ihre Verbindung zu Ihrem Trainer Vyacheslav Yevstratov gilt als sehr eng. Wie muss man sich seine Rolle vorstellen?
Yuriy Borzakovskiy:
Der Trainer ist wie mein Vater oder wie mein Opa. Er ist mir sehr nah, er ist schon wie ein Familienmitglied. Ich verbringe mit ihm soviel Zeit wie auch mit meiner Familie. Er ist praktisch mein Großvater.
Der Autounfall, in den sie 2006 verwickelt waren und bei dem ein Mann ums Leben kam, gilt als eine Erfahrung, die sogar Ihre Karriere in Frage gestellt hatte. Wie haben Sie es geschafft, darüber hinweg zu kommen?
Yuriy Borzakovskiy:
Es war eine sehr schwierige Situation. Ich möchte gar nicht daran denken. Gott sei Dank, alles hat sich gelegt. Damals hatte ich meine Hand gebrochen. Ein halbes Jahr habe ich gebraucht, um mich wieder aufzurappeln. Ich habe mich nicht nur körperlich, sondern auch psychisch erholen müssen. Es war sehr schwer, über diesen Umfall hinweg zu kommen. Die Familie hat mir sehr geholfen. Mein Trainer ist ein guter Psychologe. Während all der Jahre, obwohl er nicht praktiziert, hat er seine Kenntnisse an mich weiter gegeben. Mental habe ich so das alles überwunden und wieder mein altes sportliches Niveau erreicht. Ich bin sehr froh darüber.