Zai Lu Shang Beijing - Carolin Nytra
Hürdensprinterin Carolin Nytra vom Bremer LT krönte am letzten Wochenende ihre bisher glänzende Saison mit der Verteidigung des Deutschen Meistertitels. Dabei bewies sie wieder einmal, dass ihr Zeiten unter 13 Sekunden immer leichter fallen und keine Ausnahme mehr darstellen. leichtathletik.de begleitet die aufstrebende Athletin auf dem Weg zu ihren ersten Olympischen Spielen in Peking (China).
Ein weiteres Highlight nach der frühzeitigen Erfüllung der Olympianorm war für Carolin Nytra die Nominierung für den Europacup in Annecy (Frankreich).„Ich habe mich riesig über die Nominierung gefreut. Das erste Mal, dass ich bei den 'Großen' in der Nationalmannschaft starten durfte. Bisher war ich immer nur in den Jugend- und Juniorenteams des DLV.“
Natürlich macht man sich da aber auch viele Gedanken vor so einem Start.
„Es ging schließlich um die Mannschaft, man will alles richtig machen und möglichst viele Punkte sammeln. Aber ich habe mir einfach gedacht, bis jetzt haben alle Läufe gut geklappt, dann wird es jetzt auch gut laufen!“
Gemeinschaftsgefühl in Annecy
Das hat es dann auch: Bei leichtem Gegenwind und mit 12,99 Sekunden musste sich Carolin Nytra als knappe Fünfte geschlagen geben, doch „ich war total zufrieden mit mir. Mein Ziel war es, unter 13 Sekunden zu laufen, dass dann viele so knapp vor mir waren, ist aber trotzdem ärgerlich.“
In Annecy selbst hat sich die Bremerin sehr wohl gefühlt: „Es ist so ein schönes Städtchen mit einem schönen See, so dass die Zeit vor dem Wettkampf total entspannend war. Natürlich war es ziemlich heiß, aber da muss ich mich im Hinblick auf Peking ja dran gewöhnen.“
Und die Athleten haben sich auch schon mal richtig beschnuppern können für die Mission Olympia.
„Die Atmosphäre im Team war super. Wir haben uns am 19ten abends noch das Viertelfinale der Fußball-Europameisterschaft, Deutschland gegen Portugal, zusammen angeguckt und in der Lobby des Hotels richtig mitgefiebert. Das war schon mal das erste Gemeinschaftsgefühl und auch sonst bin ich das erste Mal mit anderen ins Gespräch gekommen, man konnte einige Erfahrungen austauschen.“
Hoffen für Kirsten Bolm
Eine Planänderung im Hinblick auf Olympia gibt es für Carolin Nytra jedoch schon. Ihr großes Vorbild Kirsten Bolm hat frühzeitig die Saison beendet. Die Mannheimerin wird die junge Hürdensprinterin nun nicht mehr an die Hand nehmen können.
„Das tut mir tierisch leid für Kirsten. Beim Meeting in Prag waren wir noch in einem Zimmer und es war auch das erste Mal, dass ich mit Kirsten auf einem Wettkampf war und richtig mit ihr zu tun hatte. Nach dem Lauf hat sie ja schon gehumpelt und später bekam ich dann eine E-Mail von ihr, dass sie die Saison abbrechen wird. Bei den Deutschen Meisterschaften wollten wir eigentlich gegeneinander, aber im Prinzip miteinander laufen, mit der Hoffnung, dass Kirsten auch noch die Olympianorm schafft und wir dann da zusammen hinfahren. Ich hoffe, dass Kirsten in der nächsten Saison wieder angreift, aber wir wissen ja alle, dass sie auch nicht mehr die Jüngste ist und dass das sehr schwierig sein wird, wieder an die alten Leistungen anzuknüpfen.“
Jetzt hofft die 23-Jährige, dass wenigstens DLV-Disziplintrainer Rüdiger Harksen als Coach nominiert wird und sie von seinen Olympia-Erfahrungen profitieren kann. Sonst seien da ja auch immer noch genügend erfahrene Werfer, wie die Leverkusener Speerwurf-Europameisterin Steffi Nerius, die einem alles zeigen können: „Irgendwie werde ich mich schon zu Recht finden.“
Erste Hürde bereits auf der Anreise zu DM
Doch schon die Deutschen Meisterschaften können sich auf dem Weg zu Olympia als reiner Nerven-Thriller entpuppen.
„Die Anreise nach Nürnberg war schon stressig, da wir uns entschieden hatten zu fliegen. Weil wir aber nicht umsteigen wollten und es von Bremen keinen Direktflug gab, mussten wir erstmal nach Hamburg fahren. Obwohl wir dreieinhalb Stunden eingeplant hatten, standen wir von der Autobahnauffahrt in Bremen bis zum Hamburger Flughafen im Stau. Erst 45 Minuten vor dem Abflug sind Jonna Tilgner (Anm. Deutsche Meisterin 400m Hürden) und ich in das Terminal gerannt und konnten beruhigt feststellen, dass unser Flug eine Stunde Verspätung hatte.“
Die erste Hürde war also für beide - wie auch sportlich gewohnt - überwunden und dieses war mit vielen Angst-Schweißtropfen verbunden, denn hätten sie den Flug verpasst, wäre das ein großes Problem geworden. Dass sie sich dann mit dem Mietwagen in Nürnberg auch noch verfahren hatten, war nach den anderen Schwierigkeiten nur Nebensache, denn nun waren sie ja wenigstens schon mal in Nürnberg.
Im Fokus der Aufmerksamkeit
Im Hotel angekommen, musste Carolin Nytra erstmal mit dem Rummel um ihre Person umgehen, denn schon standen drei Herren in der Lobby und wollten einen Trailer mit ihr aufnehmen, der dann vor dem Wettkampf gezeigt werden würde.
„Ich sollte mich mit Name, Alter usw. vorstellen, so dass das auch Menschen verstehen, die keine Ahnung von Leichtathletik haben. Das war natürlich schon schwer, umso erstaunter war ich, dass es direkt beim ersten Mal funktioniert hat.“
„Erst habe ich gedacht, dass mich dieser Trailer kurz vor meinem Endlauf noch nervöser machen würde, aber als ich den dann an der Startlinie gesehen habe, musste ich so lachen. Da ist dann irgendwie der Knoten geplatzt und ich bin viel lockerer geworden.“
Nerventhriller geht weiter
Der Samstag, also der Tag der Entscheidung, war für Carolin Nytra unerträglich. Dass sie und ihr Freund, Weitspringer Sebastian Bayer vom TSV Bayer 04 Leverkusen, zur gleichen Zeit starten mussten, sei der reinste Horror gewesen. Dabei sind auch die Nerven von ihrem Trainer strapaziert worden.
„Mein Vorlauf war eigentlich echt locker und dann kam nachher mein Trainer angerannt und hat total aufgelöst gefragt, was denn los wäre und warum ich denn so langsam gelaufen sei. Er saß an der ersten Hürde und von hinten sah es aus, als sei ich maximal gelaufen. Und da hat er sich fast in die Hose gemacht, weil er dachte, ich bringe heute gar nichts.“
Zur Krönung dieses Thrillers kam auch noch der Sturz der Hannoveranerin Annette Funck auf dem Aufwärmplatz: „Wir haben alle gesehen, dass sie da lag und sich gar nicht bewegt hat und wir wussten nicht, was passiert war. Das bringt einen dann schon ein bisschen raus aus der Konzentration, weil man denkt, was wäre, wenn dir das passiert wäre. Ist halt einfach ein blödes Gefühl, wenn jemand aus der eigenen Disziplin, der bald laufen sollte, vorher so schlimm stürzt und sich dann verletzt. Ich wünsche ihr gute Besserung.“
Die Minuten vor dem Start
„Im Callroom wäre ich dann fast gestorben, ich wusste ´du musst gewinnen, alle erwarten das von dir´. Saisonbeste und Titelverteidigerin zu sein, ist eine ganz schöne Last. Als ich dann ins Stadion gekommen bin, hätte ich heulen können vor Aufregung. Mein Trainer wusste gar nicht, wie er mir helfen konnte.“
Am Ende hat dann doch noch alles super geklappt, Carolin Nytra und Sebastian Bayer sind Deutsche Meister und können wahrscheinlich als gemeinsames "Fernziel 2008" noch Peking hinzufügen.
„Wir waren einfach nur happy und sind am Samstag erstmal richtig feiern gewesen. Dem ganzen Druck, der auf einem lastete, freien Lauf lassen...“
Angespornt von den tollen Erlebnissen traut sich Carolin Nytra viel zu und möchte sich in Peking nicht nur mit dem Vorlauf zufrieden geben. Halbfinale heißt unter die 24 Stärksten bei Olympia zu kommen.
„Ich werde auf jeden Fall mein Bestes geben!“
Mal schauen, ob die 23-Jährige nicht noch eine neue Überraschung parat hat.
Auf dem Weg zur Titelverteidigung (Foto: Chai)
Ein Mann zum Anlehnen (Foto: Gantenberg)
leichtathletik.de begleitet im Olympiasommer mehrere deutsche Top-Athleten in der Serie "Zai Lu Shang Beijing". Dort bekommen Sie Einblicke und erfahren, wie die Hoffnungsträger für die Spiele in Peking (China) ihre Zeit verbringen, sich auf das Großereignis vorbereiten, was sie beschäftigt und bewegt.