Zai Lu Shang Beijing - Cathleen Tschirch
Der 22. August dieses Jahres war ein besonderer Tag für Cathleen Tschirch (LG Weserbergland): Gemeinsam mit Anne Möllinger (MTG Mannheim), Verena Sailer (LAC Quelle Fürth/München) und Marion Wagner (USC Mainz) lief sie im Olympischen 4x100-Meter-Staffelfinale in 43,28 Sekunden auf Platz fünf. leichtathletik.de hat sie auf ihrem Weg nach Peking (China) begleitet und weiß, wie es ihr in den letzten Wochen ergangen ist.
„Bevor wir in das Olympische Dorf in Peking gezogen sind, stand zunächst ein zehntägiger Aufenthalt in Japan auf dem Programm. Am 8. August ging unser Flieger nach Ashibetsu, wo wir uns an die Zeitumstellung und an das Klima gewöhnen konnten. Neben den Staffeln waren auch die Stabhochspringer und die Zehnkämpfer hier untergebracht. Wir hatten ein sehr schönes Hotel und eine optimale Betreuung. Ablenkungen von außen gab es kaum, nur einmal waren wir zum Empfang beim Bürgermeister eingeladen. Das war sehr aufregend für die Japaner, die uns dort begrüßt haben.“„Die Atmosphäre innerhalb unserer Gruppe war sehr konzentriert - wir waren eigentlich nicht unbedingt aufgeregt oder voller Vorfreude, sondern sehr fokussiert auf den Wettkampf. Wir haben die Staffelwechsel geprobt und es war rückblickend sicher von Vorteil, dass wir auch im Regen trainieren mussten.“
Von der Eröffnungsfeier nichts gesehen
Trotz der geographischen Nähe fiel die Einstimmung auf die Olympischen Spiele unerwartet schwer.
„Ich war ein bisschen enttäuscht, denn von der Eröffnungsfeier haben wir zum Beispiel gar nichts mitbekommen. Wir haben uns vor allem im Internet darüber informiert, was in Peking so passiert. Natürlich gab es in Japan Fernsehen, aber die Medien haben sich vorwiegend auf die japanischen Sportler konzentriert. Wir hatten auch keinen Videoscreen, mit dem wir die Leistungen der anderen deutschen Sportler hätten mitverfolgen können. So ist zumindest bei mir dort noch nicht so richtig die Olympische Stimmung aufgekommen.“
Überwältigt vom Olympischen Dorf
Der Umzug der Staffel-Sprinterinnen in die chinesische Hauptstadt erfolgte schließlich am 17. August, vier Tage vor den Vorläufen.
„Das Olympische Dorf war gigantisch. Es gab unglaublich viele Grünanlagen, alles war definitiv viel größer und grüner als in Athen vor vier Jahren. Ich war wirklich sehr, sehr beeindruckt und mir würde nichts einfallen, an dem ich etwas auszusetzen hätte. Die Mensa war riesig, überall gab es Klimaanlagen, wir hatten sogar eine Tartanbahn mitten im Park. Das Dorf hat dazu eingeladen, viele Wege zu Fuß zurückzulegen. Man konnte sich wirklich super wohlfühlen.
Die deutschen Athleten waren in zwei Wohnblocks untergebracht. Ich hatte sehr viel Kontakt mit anderen Sportlern außerhalb der Leichtathletik, zum Beispiel mit den Ruderern oder den Hockeyspielerinnen, das war schon toll. Außerdem haben wir im Olympischen Dorf Leichtathleten anderer Nationen getroffen, die wir von internationalen Wettkämpfen kannten. Da bleibt man schon mal kurz stehen und unterhält sich. Es war zwar nicht so, dass wir uns gegenseitig auf den Zimmern besucht haben, aber der Kontakt war da.“
"Vogelnest" wie eine Halle
Das „Vogelnest“ genannte Olympische Leichtathletik-Stadion durfte Cathleen Tschirch das erste Mal während der Staffel-Vorläufe am 21. August von innen bestaunen.
„Es war schon beeindruckend. Man fühlt sich dort fast wie in einer Halle, denn anders als in den meisten europäischen Stadien ist nach oben hin alles so abgeschirmt. Die Zuschauer auf den obersten Rängen kann man gar nicht sehen. Trotzdem hatte ich kein Gänsehaut-Feeling wie zum Beispiel bei der Weltmeisterschaften in Osaka oder den Europameisterschaften in Göteborg. Die Zuschauer waren sehr auf die Anweisungen des Stadionsprechers angewiesen. Wenn er gesagt hat: ‚Leise!’, dann waren auch wirklich alle still.“
Als Dritte ihres Vorlaufs qualifizierte sich die Staffel des Deutschen Leichtathletik-Verbands (DLV) in 43,59 Sekunden direkt für das Finale. Sie profitierte dabei nicht nur von dem Ausscheiden der US-Amerikanerinnen, sondern auch von einem gerade noch zulässigen Wechsel von Anne Möllinger auf Verena Sailer.
„Da mussten wir schon ein bisschen zittern, denn das war wirklich knapp. Aber zu einer Staffel gehören ja immer vier Läuferinnen, und mit den anderen Wechseln konnten wir das wieder ausgleichen. Mit der Qualifikation für das Finale hatten wir so erstmal unser Grundziel erreicht.“
Platz fünf zufriedenstellend
Im Finale musste sich das DLV-Quartett lediglich den Staffeln Russlands, Belgiens, Nigerias und Brasiliens geschlagen geben.
„Wir sind zufrieden mit der Platzierung, denn sie ist besser als bei den Weltmeisterschaften in Osaka, als wir Siebte geworden sind. Aber wir wären schon gerne schneller gelaufen. Dieses Mal war unsere Chance auf eine Medaille so hoch wie sonst selten, denn viele der besser eingeschätzten Staffeln haben gepatzt und nicht das Ziel erreicht. Noch haben wir keine Einzelanalyse gemacht, so dass ich nicht weiß, wie schnell ich gelaufen bin.
Nach den Läufen mussten wir dann wie immer durch die Mixed Zone. Wir haben unter anderem dem deutschen Fernsehen Interviews gegeben, aber insgesamt hielt sich das Medieninteresse doch in Grenzen. Ich hatte das Gefühl, dass in Osaka mehr Journalisten waren.“
Rückreise mit kleinen Problemen
Während der Aufenthalt im Olympischen Dorf für die momentan zweitschnellste deutsche Sprinterin besser nicht hätte sein können, verlief ihre Rückreise nach Deutschland nicht ganz nach Plan.
„In Peking saßen wir erstmal zwei Stunden im Flieger und mussten warten, denn unser Gepäck war nicht an Bord. Anschließend sind wir alle nach München geflogen und haben uns dort einzeln um unsere Anschlussflüge gekümmert. Zum Glück hat das mit der Lufthansa wirklich gut geklappt. Ich bin um 22:30 Uhr in Hannover angekommen, und dort gab es wieder Probleme mit meinem Koffer. Also musste ich erst zur Gepäckausgabe, bevor ich endlich nach Hause fahren konnte. Das war es dann. Es gab keinen großen Empfang der Sportler oder irgendetwas in der Art.“
Schon wieder erste Wettkämpfe bestritten
Nur wenige Tage blieben der Weserbergländerin zum Ausruhen, bevor sie in Bottrop wieder über die 100 Meter an den Start ging. Beim internationalen Meeting im Jahnstation belegte sie in 11,54 Sekunden den zweiten Platz.
„Ich hatte nur eine Woche Zeit zur Regeneration und habe den Lauf genutzt, um wieder in die Wettkämpfe reinzukommen. Ich habe mich nicht spritzig genug gefühlt und mir fehlte auch ein wenig die Kraft, weswegen ich anschließend noch ein paar Trainingseinheiten im Kraftraum absolviert habe.“
Beim Sechs-Nationen-Länderkampf DecaNation in Paris (Frankreich) am vergangenen Wochenende vertrat die 29-Jährige in Abwesenheit der Jahresbesten Verena Sailer die deutschen Farben im 100-Meter-Wettbewerb und wurde in 11,81 Sekunden Fünfte.
Noch keine Zeit für ein Fazit
Was wird Cathleen Tschirch an den Olympischen Spielen 2008 in Peking am meisten in Erinnerung bleiben?
„Ach, darüber habe ich mir ehrlich gesagt noch gar keine Gedanken gemacht. Ich glaube, ich habe noch gar nicht richtig damit abgeschlossen. Es waren für mich persönlich sehr schöne Spiele. Wir Sportler hatten optimale Bedingungen und ich kann nichts Negatives anmerken. Wahrscheinlich werden sich die ganzen Erfahrungen erst in zwei, drei Wochen richtig setzen. Ich habe sehr, sehr viele Fotos gemacht und freue mich schon darauf, sie mir in aller Ruhe anzuschauen.“
leichtathletik.de begleitete im Olympiasommer mehrere deutsche Top-Athleten in der Serie "Zai Lu Shang Beijing". Sie bekamen dort Einblicke und erfuhren, wie die Hoffnungsträger für die Spiele in Peking (China) ihre Zeit verbrachten, sich auf das Großereignis vorbereiteten, was sie beschäftigte und bewegte.