| Olympia-Kommentar

Zerplatzte Träume – Die Leere danach

Viele Hoffnungen zerplatzten im Olympia-Stadion von Rio de Janeiro wie eine Seifenblase. Fragen nach dem Warum müssen gestellt und beantwortet werden. Aber ist nun alles schlecht, nur weil an Tag X der Erfolg ausblieb? Ganz sicher nicht!
Silke Morrissey

Nun sind sie also vorbei. Die Olympischen Spiele. Höhepunkt einer Olympiade. Höhepunkt eines Sportlerlebens. Höhepunkt für viele Sportjournalisten. Und was ist es, das bleibt? Ich war zehn Tage lang in Rio, habe fast jeden der 89 deutschen Leichtathleten gesprochen. Saß bis zu 15 Stunden am Tag im Olympiastadion. Und jetzt ist da: Erschöpfung. Und Leere. Es waren nicht die Spiele, von denen ich geträumt hatte.

So vielen deutschen Leichtathleten ging es da genau so – und das könnte auch mein Problem sein, denn mit jedem traurigen und enttäuschten Gesicht in der Mixed Zone ging auch ein Teil meiner Euphorie verloren. Klar, da waren tolle und erfrischende Momente, mit tollen Athleten. Die Sprinterinnen waren mitreißend, Gesa Krause mit deutschem Rekord über die Hindernisse, Malaika Mihambo im Weitsprung und Kai Kazmirek im Zehnkampf – die Medaillengewinner Christoph Harting und Daniel Jasinski sowie zum Abschluss ein großartiger Thomas Röhler.

Aber viele Träume sind im Olympiastadion von Rio zerplatzt. Es waren vor allem diejenigen Athleten, die uns in den vergangenen Jahren so viel Freude gemacht haben, welche nun die Erwartungen nicht erfüllen konnten. Die Diskuswerferinnen und Speerwerferinnen – eigentlich eine Bank. David Storl und Christina Schwanitz. Robert Harting und Raphael Holzdeppe. Was haben wir sie schon gefeiert! Nun schlich einer von ihnen nach dem nächsten mit gesenktem Kopf aus dem Stadion heraus.

Die Körper sind müde

Warum? Warum stechen die Asse ausgerechnet zum großen Höhepunkt nicht? Dieser Frage werden sich die Athleten und Trainer stellen müssen. Und auch die Leistungssport-Verantwortlichen im Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV). Einige Erklärungen sind schneller gefunden als andere.

Gerade die Topathleten hatten in der Vorbereitung auf Rio mit Verletzungen zu kämpfen. Aus Souveränität wurde Unsicherheit. Aus Stärke wurde Druck. Ein weiterer Faktor: Das aufgrund gesenkter Normen große Team. So ging in Rio eine ungewöhnlich große Anzahl an Athleten an den Start, die bei ihrem ersten Vergleich mit der Weltspitze Lehrgeld zahlen mussten. Keine Ausgangslage, die für eine Euphorie-Welle im Team oder bei den Fans sorgen könnte.

Und vielleicht wurde sogar die deutsche Stärke in einigen Fällen zur Schwäche: Besonders in den Disziplinen, in denen die Startplätze aufgrund der hohen Leistungsdichte besonders hart umkämpft waren – zum Beispiel im Diskuswurf und Speerwurf der Frauen – fiel im Gespräch anschließend besonders häufig das Wort „Erschöpfung“. Und auch: „Erleichterung“, dass alles nun vorbei ist.

Verletzende Kritik

Fehlt der Erfolg, kommt die Kritik – sicherlich erlaubt. Wohl formuliert und begründet von den meisten Journalisten. Zum Teil beleidigend und verletzend in den sozialen Netzwerken. Klar, die Leichtathletik steht während der Spiele so sehr im Fokus wie sonst nie. Die Fans fiebern mit, auch sie haben Hoffnungen und Erwartungen, auch sie leiden mit und verspüren Enttäuschung. Und einige fragen provokativ: Brauchen wir diese „Olympia-Touristen“? Sind meine Steuergelder gut angelegt?

Dazu möchte ich etwas sagen. Ja: Dieses Geld ist bestens angelegt! Zur Finanzierung des deutschen Olympia-Teams. Und zur Unterstützung der Athleten in den Jahren zwischen den Spielen – unabhängig davon, welche konkreten Resultate am Ende in die Ergebnislisten eingehen werden.

Keine „Olympia-Touristen“

Die ganz große Mehrzahl der Athleten, die wir in Rio gesehen haben, haben vier Jahre hartes Training, Entbehrungen und Verzicht auf sich genommen, um bei den Olympischen Spielen dabei zu sein. Keiner von ihnen lebt in Saus und Braus – im Gegenteil. Ärztin Linda Stahl hat für die Vorbereitung auf die Spiele ein halbes Jahr unbezahlten Urlaub genommen. Hürdensprinter Matthias Bühler braucht für sein Training in den USA sein Erspartes auf. Viele Athleten werden finanziell von ihren Eltern unterstützt, müssen mit 1.000 Euro monatlich oder weniger auskommen.

Die Olympischen Spiele sind ihr Traum, und sie sind ihre Belohnung. Ja, diese Belohnung finanzieren wir als Steuerzahler mit. Aber genießen wir nicht auch das Spektakel, den Wettstreit, den Kampf um Platzierungen und Medaillen? Profitieren wir nicht auch davon, dass diese Athleten Opfer aufbringen, damit wir sie dann später auf großer Bühne bewundern können? Die Diskussion um den kulturellen, integrativen und völkerverständigenden Wert des Sports möchte ich hier gar nicht erst aufmachen – aber auch dieser rechtfertigt, dass der Sport Unterstützung der Gesellschaft erfährt.

Nicht alles schlecht reden

Nun sprechen die Zahlen für sich. Drei deutsche Medaillen, 73 Punkte in der Nationenwertung. Kein Vergleich mit dem herausragenden Abschneiden von London 2012, als es acht Medaillen und mit 95 Punkten Rang fünf in der Nationenwertung gab. Ist jetzt auf einmal alles schlecht, was war? Ganz sicher nicht. Wir haben eine tolle deutsche Mannschaft!

In Rio hat das DLV-Team trotz aller Enttäuschungen mehr als anderthalb Mal so viele Nationenpunkte gesammelt wie 2004 in Athen (Griechenland) und 2008 in Peking (China). Es ist in großen Teilen dieselbe Mannschaft, die von der WM in Peking (China) und Moskau (Russland) 2015 und 2013 insgesamt 15 Medaillen mitgebracht hat. Damals waren die Athleten umjubelt, heute stehen sie in der Kritik. Aber es ist nicht so, als hätten sie noch nie etwas geleistet! Dass sie dieses Mal an Tag X nicht ihre Leistung abrufen konnten, ist für sie selbst das größte Übel.

Aber es geht weiter. Unsere Helden von London, Moskau und Peking werden ihre Wunden pflegen, ihre Körper und Seelen heilen lassen und hoffentlich wieder mit neuer Kraft angreifen. Und unsere Talente, von denen viele schon in Rio ihr Potenzial haben aufblitzen lassen, werden ihre Chance suchen. So ist der Sport: Mal gewinnt man. Mal verliert man. Und die Leere, die auf Erschöpfung und Enttäuschung folgt, wird schon bald zu neuer Motivation.

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