| Reportage

Zwei Tage mit … den Plan-Paten in Brasilien (I)

In unserer Reihe „Ein Tag mit…“ begleiten wir Topathleten in ihrem Alltag. Heute gibt’s ein Special fernab des Sportplatzes: Wir haben Björn Otto und Tatjana Pinto Anfang Oktober bei einer Reise nach Brasilien begleitet. Dort besuchten der Stabhochspringer und die Sprinterin Projekte des DLV-Charity-Partners Plan International Deutschland – und konnten sich selbst davon überzeugen, wie kleine Gesten, gezielte Hilfe und großes Engagement bleibende Veränderungen schaffen.
Silke Morrissey

Der klimatisierte Kleinbus holpert über die Straßen raus aus São Luís. Am Wegesrand wechseln sich kleine Siedlungen mit Waldstücken ab. Es geht vorbei an der größten Eisenerz-Mine Brasiliens, vorbei an Männern, die mit Eselskarren Ware transportieren. Aus der zweispurigen Fahrbahn wird bald eine einspurige. Links und rechts der Straße sowie auf dem Grünstreifen zwischen den Spuren liegt Müll. Der Bus quält sich einen Hügel hinauf, biegt links ab und setzt seine Fahrt auf einem Sandweg fort.

Einige Kurven und Schlaglöcher später kommt der Bus in Vila Samara zum Halten. Björn Otto und Tatjana Pinto steigen aus, die blauen Westen, die Besucher als Teil einer Plan-Gruppe kennzeichnen, haben sie schon übergezogen. Tatjana Pinto atmet tief durch. „Mir ist etwas übel“, gesteht sie nach dem holprigen Ritt von der Innenstadt der nordbrasilianischen Metropole zu den umliegenden Dörfern, wo fehlende Infrastruktur nicht allein an den dürftigen Straßen deutlich wird.

Fußball-Projekt für Mädchen und Jungen

Rund 20 Jugendliche, die in einem Stuhlkreis unter schattenspendenden Bäumen sitzen, mustern die Besucher, bevor eine energische junge Frau mit blonden Locken ihre Aufmerksamkeit zurückerobert. „Welchen Sport können Mädchen ausüben?“ fragt sie die 13- bis 17-Jährigen und gibt Antworten vor. „Gymnastik?“ – „Ja!“ „Karate?“ – „Ja!“ „Fußball?“ – „Ja!“ brüllt die Gruppe, die selbst bestes Beispiel für diese Antwort ist. Viele der Mädchen und Jungen tragen Fußballtrikot, -hose und -schuhe, startklar für das nächste Match auf dem Bolzplatz des Dorfes.

Die Leichtathleten sind zu Besuch bei einem Fußballprojekt, 2011 ins Leben gerufen für Mädchen, seit 2013 spielen auch Jungs mit. Der Sport ist Selbstzweck und Mittel zum Zweck. Organisiert werden nicht nur Turniere. Die Jugendlichen lernen in wöchentlichen Aktivitäten viel über Mädchenrechte und die Gleichheit der Geschlechter – keine Selbstverständlichkeit in den Gemeinden, in denen sich das Kinderhilfswerk engagiert. 70 Prozent der Mädchen müssen hier im Haushalt mit anpacken, bei den Jungs seien es weniger als zehn Prozent, sagt Luca Sinesi, Program Director von Plan Brasilien. Eine weiterführende Schulbildung ist häufig nur den Jungen vorbehalten, Gewalt gegen Mädchen und Frauen sowie andere Benachteiligungen sind keine Seltenheit.

Ball und Trikot als Geschenk

In der Gruppe wird es ruhig, als Creuziane Barros den Sitzkreis betritt. Die Program Unit Managerin von Plan São Luís präsentiert die Gäste. Tatjana Pinto stellt sich selbst mit weichem J und einem O, das wie ein U klingt, in fließendem Portugiesisch vor – ihre zweite Muttersprache. Die Sprinterin aus Münster engagiert sich seit Ende 2013 im Rahmen der Kampagne „Kinder brauchen Fans!“ als Patin für Plan, hat selbst ein Patenkind in Benin in Afrika. Ihr soziales Engagement: Ehrensache. Die Studentin des Fachs „Soziale Arbeit“ will später auch beruflich anderen helfen.

Heute macht sie Jungen und Mädchen in Brasilien glücklich, denn sie hat ein Geschenk mitgebracht: Ein von Fußball-Nationalspieler Mario Götze signiertes Trikot. Den kennen hier alle, verrät eine Plan-Mitarbeiterin. Auch das 7:1 der deutschen National-Elf im WM-Halbfinale gegen Brasilien sei noch immer in den Köpfen und regelmäßig Thema in den Briefen, die Patenkinder an ihre Paten in Deutschland schreiben. Ein Mädchen aus der Gruppe darf stolz das Götze-Trikot überstreifen.

Geschenke werden gleich eingeweiht

Dann ruhen die Augen auf Björn Otto, Plan-Pate eines Mädchens im Sudan. „Mein Name ist Björn Otto und ich mache Hochsprung mit einem Stab“, erklärt er. Auf die Frage, wer Stabhochsprung kennt, schießen alle Arme in die Luft. Und wer hat die Disziplin selbst schon einmal ausprobiert? Die Arme sind blitzschnell wieder unten. Mit großen Augen und erstaunten Ausrufen wird die Information zu Björn Ottos Bestleistung begleitet: 6,01 Meter, deutscher Rekord.

Björn Otto hat einen Fußball mitgebracht, den ebenfalls die Unterschrift von Mario Götze ziert. Diesen nimmt ein Junge entgegen. Wer glaubt, dass die Geschenke im Dorf hinter Glas in einer Vitrine landen, der irrt. Nachdem die Runde aufgelöst ist, rennen Mädchen und Jungen über die Straße zum Fußballplatz und weihen Trikot und Ball sofort ein. Auf einer staubigen Piste mit zwei Toren ohne Netz, gespickt mit Grasbüscheln, ohne Begrenzungslinien.

Neugierig und voller Träume

Tatjana Pinto beobachtet das Match vom Spielfeldrand – und die Kinder betrachten sie mit neugierigen Augen. Sie bitten um Autogramme auf Schuh oder Trikot. Ein Junge fragt, ob sie irgendwann mal Usain Bolt schlagen kann, was sie lachend verneinen muss. Das Mädchen im Götze-Trikot berichtet von ihrem Berufswunsch: Profi-Fußballerin. Schon im Alter von neun Jahren habe sie mit dem Spielen begonnen, damals ausschließlich mit Jungs. Erst sei sie dafür belächelt worden, mittlerweile hat sie viele Mitstreiterinnen. Nur ein Aspekt der Chancengleichheit, die Plan mit dem Fußball-Projekt fördert.

„Die Kinder strahlen Freude und Zufriedenheit aus, obwohl sie nicht viel haben“, stellt Tatjana Pinto fest. Tatsächlich ist von Komfort und Luxus in dem Dorf nichts zu sehen – bis auf die Smartphones, die auch hier längst Einzug gehalten haben. Die Häuser sind alle einstöckig, mit kaum mehr als zwei, drei Räumen, aus Backsteinen, meist unverputzt, die wenigsten mit Dachziegeln, die meisten mit Wellblech bedeckt. Das Wasser kommt aus Brunnen. Die Gemeinde hat mit Gewalt, Drogenmissbrauch und Teenager-Schwangerschaften zu kämpfen.

Spielzeit für die Kleinsten

Ähnlich präsentiert sich das Bild in der nächsten Gemeinde Rio dos Cachorros, die Björn Otto und Tatjana Pinto nach einer Mittagspause als nächstes ansteuern. Mittlerweile ist die Temperatur auf gefühlte 35 Grad im Schatten angestiegen – und die Besucher tragen lange Kleidung, um sich vor Insektenstichen zu schützen. „Ich habe vor der Reise den halben Outdoor-Laden leergekauft“, berichtet Björn Otto lachend.

Kleinkinder und ihre Mütter strömen auf den Dorfplatz. Während die Mütter in einem Recycling-Workshop aus Plastikflaschen, Tüchern und Bändern kleine Aufbewahrungs- Gefäße basteln, lernen die Kleinen heute etwas zum Thema Zahngesundheit. Ein besonders eifriger kleiner Junge im Superman-T-Shirt darf anhand einer riesigen Zahnbürste und einem riesigen Gebiss die richtigen Bewegungen beim Zähneputzen demonstrieren. Danach ist Zeit zum Spielen – etwas, das in den ärmeren Gegenden Brasiliens viel zu kurz kommt.

„Glückliche Kindheit“

Die „glückliche Kindheit“ – sie ist Phase zwei des Plan-Projekts in der Gemeinde, das mit der Aufklärung zu Schwangerschaft und Kindergesundheit begonnen hat. Schwangerschaften werden von Frauen in dieser Gegend oft als Mittel zum sozialen Aufstieg betrachtet. Mit ihnen ist oft auch der Schulabbruch verbunden. Das Wissen um ein angemessenes Verhalten während der Schwangerschaft oder den Umgang mit Neugeborenen fehlt. Babys und Kleinkinder wachsen ohne gezielte Betreuung und Förderung auf. Plan vermittelt Wissen um die Wichtigkeit von Schulbildung und gibt Hilfestellung für die Rolle als Mutter.

In einer Sitzrunde im Schatten verteilen Mitarbeiter des Kinderhilfswerks Perücken und bunte Nasen an die Kleinen. Eine stolze Mama macht Fotos. Auch Björn Otto und Tatjana Pinto nehmen in der Runde Platz und sind schnell Teil des Spiels. „Wirf zu Otto!“ heißt es, als bei einem Ballspiel der nächste Fänger gesucht wird. Die gute Laune der Kinder steckt auch die Sportler an – das Lächeln aus ihren Gesichtern verschwindet nur kurz, als der kleine „Superman“ einen anderen Jungen beim Toben fast von den Beinen holt. Aber: nichts passiert.

Im zweiten Teil der Reportage erfahren Sie mehr über den zweiten Tag der Projektreise, an dem die Leichtathleten an zwei Schulen zu Gast sind...

<link btn>Mehr zu DLV-Charity-Partner Plan

Teilen
#TrueAthletes – TrueTalk

Hier finden Sie alle Folgen des Podcasts des Deutschen Leichtathletik-Verbandes!

Zum Podcast
Jetzt Downloaden
DM-Tickets 2024