| Interview der Woche

Katharina Steinruck: „Wir haben in Deutschland ein unheimlich gutes neues Niveau“

Mit starken 2:25:59 Stunden ist Katharina Steinruck (Eintracht Frankfurt) am Sonntag beim NN Mission Marathon in Enschede zum Sieg gelaufen und hat sich damit Rang zwei im aktuellen deutschen Ranking für die Olympia-Qualifikation gesichert. Im Interview der Woche spricht die 31-Jährige über die tolle Entwicklung des deutschen Marathonlaufs, den Rückhalt durch Familie, Freunde und Trainingsumfeld und gibt einen Einblick in ihre Renntaktik.
Svenja Sapper

Katharina Steinruck, herzlichen Glückwunsch zum Sieg beim NN Mission Marathon. Sie durften bei der Siegerehrung aufs oberste Treppchen klettern und die deutsche Nationalhymne hören – wie besonders war dieser Moment für Sie?

Katharina Steinruck:

Das war schon mega. Ich glaube, es war das erste Mal, dass nach einem Wettkampf für mich die Hymne gespielt wurde. Ich kann mich nicht erinnern, dass ich das davor schon mal gehabt hätte. Das hatte schon was, etwas ganz Besonderes!

Mit Konkurrentinnen wie Gladys Chesir aus Kenia und der Portugiesin Sara Moreira war der Marathon stark besetzt, dennoch sind Sie von Anfang an vorneweg gelaufen. Haben Sie damit gerechnet, dass es zu einem so souveränen Sieg reicht?

Katharina Steinruck:

Definitiv nicht! Es war ein Hochklasse-Feld. Viele der Mädels, die dort am Start waren, kenne ich von früheren Wettkämpfen. Die haben super Zeiten stehen. Auch bei den Debütantinnen weiß man nie, was die raushauen. Das kann man nicht einschätzen. Genauso wenig wusste ich im Vorfeld, was die Mädels, die in den letzten Jahren immer schneller geworden sind und gute Halbmarathon-Zeiten vorweisen können, an diesem Tag liefern werden. Mit dem Sieg in diesem hochkarätigen Feld hätte ich absolut nicht gerechnet. Das stand für mich auch nicht im Fokus, mir war wichtig, eine schnelle Zeit zu laufen.

Das ist Ihnen mit einer neuen Bestzeit von 2:25:59 Stunden gelungen. Hatten Sie sich eine Zeit in diesem Bereich zugetraut?

Katharina Steinruck:

Ich habe auf eine Zeit in Richtung 2:26 Stunden hintrainiert. Es war auf jeden Fall mein Ziel, in diesen Bereich vorzustoßen, so sind wir das Rennen auch angegangen. Ich wäre auch sehr zufrieden gewesen mit einer niedrigen 2:26, aber 2:25 Stunden sieht besser aus. Deswegen bin ich natürlich mega happy mit der Zeit.

Unterstützt von Tempomachern waren Sie von Anfang an schnell unterwegs. Wie sah Ihre Renntaktik aus?

Katharina Steinruck:

Ich hatte mit Simon Stützel und Steffen Uliczka zwei tolle Pacemaker. Die Taktik war, ein eigenes Rennen zu laufen und die Halbmarathon-Marke in etwa 73 Minuten zu passieren. In der zweiten Hälfte wollte ich gerne einen Negativsplit laufen. Das war hinten raus nicht mehr ganz möglich, ich war zwei Sekunden langsamer. Aber: Punktlandung! Zwei sehr gute Hälften, sehr konstantes Tempo. Und beim nächsten Mal darf es gerne mit dem negativen Split klappen. Die Taktik war auch, die anderen Läuferinnen ein bisschen zu beobachten und im Fall der Fälle, wenn die Mädels super krass drauf sind, mitzugehen und sich dann auf einen Endspurt einzulassen. Wir sind ja alle super Bestzeiten gelaufen, also absolut Chapeau!

Ihre DLV-Teamkollegin Laura Hottenrott hat sehr lange gemeinsam mit Ihnen das Rennen angeführt und musste erst zwischen Kilometer 31 und 32 abreißen lassen. Sie war mit einer Bestleistung von 2:33 Stunden gemeldet und hat diese Zeit um fünf Minuten unterboten. Wie sehr hat es Sie überrascht, dass sie mit Ihnen mithalten konnte?

Katharina Steinruck:

Ich habe damit gerechnet. Ich weiß, dass Laura sehr stark drauf ist und auch in den letzten Jahren sehr große Sprünge gemacht hat. Auch auf den Unterdistanzen hat sie sich mega weiterentwickelt. Deswegen war es für mich nicht überraschend, dass sie so lange vorne dabei war. Ich habe sogar damit gerechnet, dass sie noch etwas länger mitkommt.

Mit Laura Hottenrott, die letztendlich den vierten Platz belegte, und der Drittplatzierten Rabea Schöneborn haben zwei weitere Athletinnen in Enschede neue persönliche Bestleistungen aufgestellt – und den Sprung unter die deutschen Top Drei in der Olympia-Qualifikation dennoch knapp verpasst. Wie beurteilen Sie das aktuell starke Niveau im deutschen Marathon?

Katharina Steinruck:

Man sagt immer, Konkurrenz belebt das Geschäft. Wenn ich überlege: Bei den letzten Olympischen Spielen in Rio ist man mit 2:31 Stunden im Team gewesen, und jetzt fährt man wahrscheinlich nicht mal mit 2:27 mit. Das ist schon ein unheimliches neues Niveau, das wir in Deutschland haben. Nicht nur bei den Frauen, sondern auch bei den Männern. Es ist einfach grandios. Natürlich pusht man sich dadurch gegenseitig. Man will ja unbedingt dieses Ticket haben, man möchte da unbedingt hin. Da gibt man im Training natürlich noch mal mehr, als wenn man „nur“ 2:31 laufen müsste. Auch die internationalen Standards sind ganz andere als noch vor fünf Jahren. Ich finde es super, so viele schnelle Mädels zu haben. Man hat einen größeren Fundus, aus dem man schöpfen kann.

Im Ziel haben Sie als Erstes Ihre Mutter und Trainerin Katrin Dörre-Heinig angerufen, die selbst Olympia-Dritte im Marathon war und auch als Trainerin über viel Erfahrung verfügt. Was hat sie zu Ihrem Rennen gesagt?

Katharina Steinruck:

Ihre ersten Worte waren, dass ich sie heute sehr glücklich gemacht habe. Meine Mama bringt einen sehr großen Erfahrungsschatz mit, aus dem ich schöpfen kann. Sie weiß, wie man sich vor dem Wettkampf fühlt und wie nervös man ist. Dass meine Familie und mein Mann seit meinem ersten Marathon alles mitmachen, gibt mir da sehr großen Rückhalt. Auch mein Freundeskreis fiebert immer am Fernseher und, wenn es möglich ist, an der Strecke mit. Ihnen gebührt ein großer Dank, genau wie dem Olympiastützpunkt Frankfurt und dem gesamten Physioteam. Auch dem Verein, meinem Ausrüster und nicht zu vergessen meinem Arbeitgeber, der hessischen Polizei. Ohne sie alle und meine Familie und Freunde wäre das gar nicht machbar.

Ihre starke Leistung ist umso bemerkenswerter, wenn man bedenkt, dass Sie eigentlich gar nicht an diesem, sondern am vergangenen Wochenende mit einem Marathon geplant hatten. Doch der Elite-Marathon wurde aufgrund der Corona-Pandemie vom 11. April in Hamburg auf den 18. April in Enschede verlegt. Wie sind Sie mit der neuen Situation umgegangen?

Katharina Steinruck:

Wir haben zehn Tage vorher erfahren, dass der Marathon um eine Woche verlegt wird und in Enschede stattfindet. Ich habe dann einfach noch einen kleinen Trainingsblock eingeschoben. Einen langen Lauf, einen schnellen Lauf, einfach um das Ganze dann eine Woche später „laufbar“ machen zu können. Sonst habe ich mir keine großen Gedanken gemacht, dass das Rennen eine Woche später ist. Ich war froh, dass es überhaupt stattfinden konnte.

Sie sind in Enschede zum ersten Mal in neuartigen Schuhen mit Carbonsohlen gelaufen. Welche Unterschiede zu Schuhwerk, das Sie in früheren Rennen getragen haben, sind Ihnen aufgefallen?

Katharina Steinruck:

Die neuen Schuhe geben uns allen die Chance, auf der Strecke Energie zu sparen. Weil man die Energie, die man über den Schuh an den Boden abgibt, in gewisser Weise im Schritt wieder zurückbekommt. Das ist natürlich im Marathon sehr angenehm, da man länger höhere Geschwindigkeiten laufen kann. Ich wusste, dass man mit dem Schuh auch schneller laufen kann. Was ich allerdings auch festgestellt habe: Die Muskulatur reagiert ganz anders auf diese Schuhe. Ich habe heute hinten raus gemerkt, dass ich den Schritt nicht mehr so halten konnte, wie ich das wollte. Puste hatte ich noch, aber die Muskulatur hat das nicht mehr ganz so mitgemacht. Deswegen glaube ich, dass man mit diesen Carbonplatten lange und ausgiebig vorher trainieren muss. Ich habe erst im Dezember angefangen, mit diesen Schuhen zu trainieren. Vorher kannte ich die gar nicht. Ich denke, dass man sich körperlich ein bisschen mehr daran gewöhnen muss.

Mit Ihrer neuen Bestzeit haben Sie sich jetzt in eine ausgezeichnete Ausgangsposition für einen Startplatz bei den Olympischen Spielen gebracht. Wie sieht Ihre Planung für die kommenden Wochen und Monate aus?

Katharina Steinruck:

Jetzt lasse ich es erst mal ein paar Tage lang ruhig angehen. Etwas laufen werde ich dennoch, damit die Muskulatur sich schön auflockert und ich das Ganze ein bisschen rauslaufen kann. Ich werde auf jeden Fall noch ein paar Wettkämpfe bestreiten, sofern diese stattfinden. Geplant sind welche. Ich werde definitiv noch in ein Trainingslager fahren. Wo das sein wird, das werden wir sehen. Das hängt natürlich auch von den Gegebenheiten rund um Corona ab. Ich möchte schon noch mal in die mittlere Höhe gehen, Livigno ist da natürlich an erster Stelle. Meine Trainingsblöcke, zumindest die Grundlagen, würde ich schon gerne in der Höhe absolvieren. Dann geht es in die langfristige Vorbereitung für Tokio.

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