| Rückblick

Die Überraschungen des Jahres

Neben glanzvollen Siegen und bitteren Enttäuschungen brachte die Saison 2022 auch einige Überraschungen mit sich. Wir haben 15 Höhepunkte des Leichtathletik-Jahres ausgewählt, die uns besonders erstaunt haben.
Svenja Sapper

18. März | Hallen-WM Belgrad (Serbien)


Mujinga Kambundji zündet den Gold-Turbo

Das 60-Meter-Finale der Frauen versprach einen spannenden Showdown am ersten Abend der Hallen-WM in Belgrad. Die Augen waren in der serbischen Hauptstadt auf gleich mehrere pfeilschnelle Athletinnen gerichtet: die flotten US-Amerikanerinnen und Jamaikanerinnen sowie die Weltjahresbeste Ewa Swoboda aus Polen. Doch am Ende überraschte die auf der Außenbahn sprintende Schweizerin Mujinga Kambundji, die in 6,96 Sekunden förmlich explodierte und sich auf Position vier der ewigen Weltbestenliste katapultierte. Es war nach vier internationalen Bronzemedaillen Kambundjis erstes Gold, dem bei der EM in München ein zweites – über 200 Meter – folgen sollte.


28. Mai | Mehrkampf-Meeting Götzis (Österreich)


Simon Ehammers Weitsprung-Paukenschlag

Dass Mehrkämpfer Simon Ehammer ein hervorragender Weitspringer ist, weiß die Leichtathletik-Welt bereits seit geraumer Zeit. Schon im Alter von 20 Jahren landete der Schweizer jenseits der Acht-Meter-Marke im Sand. Zum Mehrkampf-Meeting in Götzis reiste er als amtierender U23-Europameister im Weitsprung und mit einer neuen Zehnkampf-Weltbestleistung von 8,30 Metern aus Ratingen an. Und wenig später hatte das beschauliche Vorarlberg einen neuen Helden: Im Mösle-Stadion segelte der 22-Jährige auf 8,45 Meter – damals Weltjahresbestleistung bei den Spezialisten. Das fachkundige Leichtathletik-Publikum lag dem Schweizer zu Füßen. Später holte er WM-Bronze im Weitsprung und eroberte als Vize-Europameister im Zehnkampf auch die Herzen des Münchener Publikums.


14. Juni | Paavo Nurmi Games Turku (Finnland)


Frederik Ruppert in neuen Sphären

Seit seinem U23-EM-Titel 2019 hat sich Hindernisläufer Frederik Ruppert kontinuierlich nach vorne gearbeitet und seine Bestleistung immer weiter verbessert. Mitte Juni schraubte er bei den Paavo Nurmi Games im finnischen Turku seinen Hausrekord um gleich acht Sekunden auf einmal nach unten. In 8:15,58 Minuten lief er überraschend die beste Zeit eines Deutschen seit dem Jahr 2000. Damals war der Deutsche Rekordler Damian Kallabis schneller unterwegs gewesen. Auch wenn Ruppert dieses Resultat im Saisonverlauf nicht mehr wiederholen konnte, beweist der Klasse-Lauf von Turku: Der 25-Jährige hat einen großen Schritt nach vorn gemacht.


25. Juni | DM Berlin


Marlene Meiers unerwarteter Triumph

Die Deutschen Meisterschaften im Berliner Olympiastadion hielten gleich mehrere Überraschungen für Fans und Athleten bereit. Dazu zählte auch der Ausgang des Finallaufes über 100 Meter Hürden. Absagen, etwa von Titelverteidigerin Ricarda Lobe (MTG Mannheim) oder der früheren Europameisterin Cindy Roleder (SV Halle), eröffneten mehreren Athletinnen die Chance auf den Titel. Dass diese Chance letztlich die 20-jährige Marlene Meier (TSV Bayer 04 Leverkusen; 13,15 sec) nutzte, kam durchaus unerwartet: Im vergangenen Jahr war die Tochter der ehemaligen Weltklasse-Hochspringerin Heike Henkel und des Zehnkämpfers Paul Meier im Halbfinale der U20-EM ausgeschieden und hatte die Saison 2022 mit einer Bestzeit von 13,56 Sekunden begonnen.


26. Juni | DM Berlin


Langhürdlerinnen explodieren

Hinter der Form von Titelverteidigerin Carolina Krafzik (VfL Sindelfingen) stand vor der DM wegen Verletzungsproblemen ein Fragezeichen: Würde die Olympia-Zehnte ihr volles Potenzial wieder abrufen können? So war es eine positive Überraschung, dass die Sindelfingerin im 400-Meter-Hürden-Finale starke 55,73 Sekunden auf die Bahn brachte. Die größere Sensation jedoch: Die Berlinerin Gisèle Wender – nach Erfolgen in U18-Jahren drei Jahre lang ohne Start – pulverisierte ihren Hausrekord um fast zwei auf 55,84 Sekunden. DM-Silber und EM-Norm für die Lokalmatadorin, die vom Publikum in ihrer Stadt frenetisch gefeiert wurde.


26. Juni | DM Berlin


Tim Holzapfel sorgt für Sensation

Tim wer? Tim Holzapfel! Selbst Experten rieben sich nach dem 800-Meter-Endlauf der Männer in Berlin verwundert die Augen. Der Frankfurter Marc Reuther, Hallen-EM-Teilnehmer Oskar Schwarzer (TV Groß-Gerau) oder der rund eine Sekunde verbesserte U23-Athlet Adrian Engstler (TV Villingen) galten als Anwärter auf die Medaillen. Doch der Sieger hieß nach einem starken Antritt eingangs der Zielgeraden Tim Holzapfel (Unterländer LG), dem die der Papierform nach rund drei Sekunden schnellere Konkurrenz nichts entgegensetzen konnte. Die vielleicht größte Überraschung der Meisterschaften.


26. Juni | DM Berlin


Anjuli Knäsche nach Karriereende wieder in Bestform

Nach der verpassten Heim-EM in Berlin 2018 hatte Anjuli Knäsche im Alter von 25 Jahren mit dem Leistungssport abgeschlossen. Einige Jahre später fand sie über Umwege dann doch wieder zurück: Mittlerweile hat es die gebürtige Schleswig-Holsteinerin als Cheftrainerin zur LG Leinfelden-Echterdingen verschlagen. In Baden-Württemberg näherte sie sich dem Stabhochsprung erst als Trainerin und schließlich auch als Athletin wieder an. Bei den Deutschen Meisterschaften flog sie bereits wieder über 4,55 Meter und stellte ihre sechs Jahre alte Bestleistung ein. In München klappte es dann doch noch mit einer Heim-EM-Teilnahme, auch wenn es knapp nicht fürs Finale reichte.


15. & 17. Juli | WM Oregon (USA)


Jacqueline Otchere fliegt von null auf hundert in die Top Ten

30 Stabhochspringerinnen kämpften bei den Weltmeisterschaften in Eugene um den Final-Einzug. Und am Ende zählte zu den 15, die es in die nächste Runde schafften, auch eine, die als Allerletzte erst eine Woche vor Beginn der Titelkämpfe ins Feld nachgerückt war: Jacqueline Otchere. Die Mannheimerin mit der Wahlheimat Berchtesgaden überquerte im ersten Versuch 4,50 Meter – das genügte fürs Finale, wo sie 4,45 Meter meisterte und auf Platz zehn sprang. Von null auf hundert inmitten der Besten der Welt.


19. Juli | WM Oregon (USA)


Jake Wightman vereitelt Jakob Ingebrigtsens Gold-Mission

Olympiasieger. Europameister. Hallen-Weltrekordler. Keine Frage: Jakob Ingebrigtsen wollte in Eugene die Goldmedaille über 1.500 Meter gewinnen. Die Dauerrivalen, wie etwa Titelverteidiger Timothy Cheruiyot (Kenia), hatte der Norweger im Griff. Nicht jedoch einen jungen Briten: Jake Wightman, der dem großen Favoriten auf der Zielgeraden die Stirn bieten konnte. Zum Internet-Hit wurde danach ein Video, das zeigt, wie Wightmans Vater als Stadionsprecher den WM-Titel seines eigenen Sohnes kommentiert. Ingebrigtsen konnte sich wenig später mit 5.000-Meter-Gold trösten.

Ebenfalls bemerkenswert: Die Lauf-Nationen Kenia und Äthiopien stellten nur drei Finalisten, die im Endlauf keine Rolle spielten. Stattdessen nahmen fünf der sieben Europäer die ersten Plätze ein. Dazu kamen je ein US-Amerikaner und Australier.


24. Juli | WM Oregon (USA)


Tobi Amusan verblüfft mit Hürden-Weltrekord

Als Vierte der Olympischen Spiele zählte Hürdensprinterin Tobi Amusan (Nigeria) durchaus zu den Medaillenkandidatinnen der WM. Klare Titelanwärterin war sie allerdings nicht, standen in Eugene schließlich auch Olympiasiegerin Jasmine Camacho-Quinn (Puerto Rico), die frühere Weltmeisterin Danielle Williams (Jamaika) und nicht zuletzt die rasanten US-Amerikanerinnen auf der Bahn. Bereits im Halbfinale schlug jedoch Tobi Amusans große Stunde: Unter den Augen ihrer Vorgängerin Kendra Harrison, die im selben Rennen lief, entriss sie der US-Amerikanerin in 12,12 Sekunden den Weltrekord. Die Bestmarke hatte bis dahin bei 12,20 Sekunden gestanden. Im Endlauf rannte Amusan mit zu viel Rückenwind noch sechs Hundertstel schneller und avancierte damit zum neuen Stern am Hürdenhimmel.


15. August | EM München


Richard Ringer landet Überraschungscoup

Mehrere DLV-Athletinnen und Athleten sorgten bei der Heim-EM in München für unerwartete Erfolge, der erste von ihnen gleich am ersten Tag der Meisterschaften. Richard Ringer (LC Rehlingen) erkämpfte sich im Finish den EM-Titel im Marathon und wurde dafür auf der Strecke bejubelt. Zugleich führte er die deutsche Mannschaft um den viertplatzierten Deutschen Rekordler Amanal Petros (TV Wattenscheid), der seinem Teamkollegen noch während des Rennens Mut zugesprochen hatte, zu Silber. Es war das erste EM-Gold eines deutschen Marathonläufers überhaupt.


19. August | EM München


Mykolas Alekna auf den Spuren seines Vaters

Die Fußstapfen seines Vaters sind schwer auszufüllen. Schließlich ist Virgilijus Alekna nicht nur aufgrund seiner Körpergröße von mehr als zwei Metern ein wahrhaftiger Diskus-Riese. Je zweimal war der Litauer Olympiasieger und Weltmeister. Sohn Mykolas, vergangenes Jahr U20-Europameister, galt bereits als großes Talent. In diesem Jahr standen für ihn der Aufstieg in die Aktivenklasse und der Wechsel auf die Zwei-Kilo-Scheibe an. Doch diese Herausforderungen bewältigte der 20-Jährige bravourös: Mit 69,81 Metern stellte er bereits Ende Juni seine Bestleistung mit dem 1,75-Kilo-Diskus der U20-Klasse exakt ein.

Bei den Weltmeisterschaften glänzte er mit Silber und bei der EM in München hielt er gar Weltmeister und Top-Favorit Kristjan Ceh aus Slowenien in Schach. Sein erstes internationales Gold und ein weiterer Wurf nahe an die 70-Meter-Grenze. Folgt er der Erfolgsspur seines Vaters, ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis die Marke fällig ist.


20. August | EM München


Lea Meyer holt sensationell Silber

Das erste Finale im Erwachsenenbereich, frisch genesen von einer Corona-Erkrankung und noch dazu der Sturz in den Wassergraben, den sie bei der WM in Eugene verkraften musste: Die Vorzeichen standen für Hindernisläuferin Lea Meyer bei der EM in München nicht optimal. Doch die Kölnerin, die künftig für Leverkusen startet, lieferte das Rennen ihres Lebens ab, als es darauf ankam. Getragen vom Publikum, verbesserte sie ihre Bestzeit um zehn Sekunden (9:15,35 min) und schnappte sich überraschend die Silbermedaille hinter der Albanerin Luiza Gega. Großbritanniens Jahresschnellste Elizabeth Bird konnte nicht folgen.


20. August | EM München


Zwei Youngster und die Grande Dame auf dem Speerwurf-Podest

Bereits Ende Mai hatte die junge Griechin Elina Tzengko mit einem 65-Meter-Wurf Ansprüche auf vordere Platzierungen bei großen Meisterschaften angemeldet. Bei der WM glückte ihr das zwar noch nicht. Dann aber holte sie in einem vollkommen offenen Finalwettkampf EM-Gold vor der stark aufgelegten U20-Weltmeisterin Adriana Vilagos (Serbien). Was am Speerwurf der EM so kurios erschien, war die Zusammensetzung des Treppchens: Denn mit den aufstrebenden Nachwuchs-Athletinnen, beide zu diesem Zeitpunkt noch nicht 20 Jahre alt, erklomm die 41-jährige Weltrekordlerin Barbora Spotakova (Tschechien) das Podium. Die zweimalige Weltmeisterin und Olympiasiegerin hatte bereits vor 20 Jahren an der EM in der bayerischen Hauptstadt teilgenommen. Tzengko und Vilagos waren damals noch nicht einmal geboren.


4. September | ISTAF Berlin


Luna Thiel pulverisiert 400-Meter-Bestzeit

Nach langer Verletzungspause fand 400-Meter-Spezialistin Luna Thiel (VfL Eintracht Hannover, künftig VfL Wolfsburg) in diesem Sommer wieder Anschluss zur deutschen Spitze und qualifizierte sich als Teil der 4x400-Meter-Staffel auch für die EM in München. Ihre Bestzeit betrug zu diesem Zeitpunkt 52,15 Sekunden. Dass die 23-Jährige ein Resultat unterhalb der 52-Sekunden-Schallmauer in den Beinen hatte, deutete sich bereits bei ihren EM-Einsätzen im Staffelvorlauf und -finale an. Die fabelhafte neue Rekordzeit von 51,28 Sekunden, eine ganze Sekunde schneller als Thiels Hausrekord vor der aktuellen Saison, erstaunte beim ISTAF in Berlin dann aber doch alle von Experten bis hin zur Athletin selbst.

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