| U20-EM

Mental stark: Gavin Claypool nach Hürden-Drama vor Debüt im Nationaltrikot

Ein Drama mit Happy End. Die Hauptrolle spielte Gavin Claypool. Erst disqualifiziert, dann Deutscher U20-Meister über 110 Meter Hürden bei den Deutschen Jugendmeisterschaften in Rostock. Mit dem Titelgewinn sowie der zuvor erfüllten Norm für die U20-Europameisterschaften in Jerusalem wird der Berliner im August erstmals in einem internationalen Wettkampf den Adler auf der Brust tragen.
Sandra Arm

Acht Startblöcke, nur einer ist besetzt: Auf Bahn vier steht Gavin Claypool (SCC Berlin), eingehüllt von Regentropfen und nur darauf wartend, dass der Startschuss rasch erfolgt. Mehrfach klopft sich der 19-Jährige mit den Fäusten gegen die Oberschenkel. Das Stimmengewirr auf der Tribüne nimmt er nicht mehr wahr, fokussiert folgt er der Ansage des Kampfrichters, der ihn in die Startposition ruft. Auf der Tribüne wird es ruhiger, angespannte Stille auch auf der Bahn. Als das Startsignal ertönt, stürmt Gavin Claypool unter dem Beifall und den Anfeuerungsrufen der Zuschauer pfeilschnell über die Hürden. 14,17 Sekunden blinken im Ziel auf der Anzeige auf. Mit einem großen Q sichert er sich im Solo den Einzug ins Halbfinale.

Dass er in diesem Moment allein gegen die Zeit rennt, hatte er durch einen erfolgreichen Protest nach dem Vorlauf erwirkt. Was war passiert? „Es war sehr viel Unruhe am Start. Ich weiß, dass ich ein sehr guter Starter bin und ziemlich perfekt auf das Signal reagiere. Durch die Unruhe dachte der Schiedsrichter an einen Fehlstart, aber das konnten wir ihm durch einen Videobeweis widerlegen. Dem Protest wurde stattgegeben, und ich durfte dann allein nochmal starten“, erklärt Gavin Claypool die Szene seines Ersatzlaufs, der ihm zwar mental einiges abverlangte, aber auch dafür viel Freude bereitete. „Allein zu laufen hat mir eigentlich viel Spaß gemacht. Die ganze Tribüne hat angefeuert. Das war mal ein neues Gefühl.“

Und eine neue Herausforderung: „Ich musste mich zusammenreißen und bei der Sache bleiben, indem ich zunächst versucht habe, den Schiedsrichter davon zu überzeugen, nochmal laufen zu dürfen. Was dann auch geklappt hat. Und dann im Rennen den Kopf bewahren und nicht verzweifeln.“ An solchen Tagen sei für ihn die körperliche Belastung das kleinere Problem. Schließlich kreisten die Gedanken um die große Chance des Titels und der EM-Qualifikation. „Man weiß als Athlet, man trainiert das ganze Jahr auf die Jugend-DM hin und muss an diesem einem Tag performen und das Beste rausholen, was geht.“

Grundstein für Jerusalem in Mannheim gelegt

Die Norm für die U20-EM in Jerusalem (Israel; 7. bis 10. August) hatte er schon bei der Junioren-Gala in Mannheim in 13,83 Sekunden abgehakt. Neben ihm blieben jedoch noch drei weitere Hürdensprinter unter dem geforderten Richtwert von 13,95 Sekunden. In Rostock gab es nun den Showdown. „Man hat gesehen, dass alle vier bisherigen Normerfüller in Rostock hinter der Norm gelaufen sind. Daran sah man, dass es bei den Bedingungen schwierig bis fast unmöglich war, sie nochmals zu bestätigen.“ Nur Nils Leifert (LAC Quelle Fürth) blieb im ersten Halbfinale in 13,95 Sekunden unter der 14-Sekunden-Marke.

Nun ebenfalls mit einem großen Q sicherte sich im Halbfinale auch Gavin Claypool das Weiterkommen ins Finale, wo er sich vom Sieg überrascht zeigte. „Ich habe tatsächlich nicht mit dem Titel gerechnet. Das ist Hürdensprint – man weiß nicht, was passiert. Ich war in dem Moment einfach nur froh, dass ich gut durchgekommen bin und damit auch verdient gewonnen habe.“ Die Unberechenbarkeit seine Disziplin macht für den jungen Athleten zugleich auch den Reiz aus: „Die Spannung ist nirgends so hoch wie beim Hürdenlaufen. Jeder kleine Fehler kann entscheidend für das Ergebnis sein. Das macht die Disziplin für mich so spannend und als Athlet so aufregend“, erklärt Gavin Claypool.

Betreut von zwei ehemaligen Hürden-Assen

Seit mittlerweile zwei Jahren wird Gavin Claypool in Leipzig von Bundestrainer Alexander John betreut. Davor hatte ihn der ehemalige Hürdensprinter Willi Mathiszik in die deutsche Spitze der U18 geführt. Ihre Wege trennten sich, als dieser eine neue berufliche Herausforderung als Leistungssportkoordinator beim Thüringer Leichtathletik-Verband annahm. Während Willi Mathiszik nach Erfurt ging, wechselte sein Schützling nach Leipzig.

„Er hatte von früher noch Kontakt zu Alexander John, teilweise haben sie noch zusammen trainiert. Dadurch kam die Verbindung zustande. Willi hat mich dann Alex vorgestellt. Der Wechsel zum Bundestrainer nach Leipzig war in dem Moment die beste Option für mich. Hier kann ich mit deutlich besseren Athleten trainieren“, erklärt der Inhaber der deutschen U18-Hallen-Bestleistung über 60 Meter Hürden den Schritt. In den vergangenen zwei Jahren zeigte er sich deutlich verbessert, bei Hürdentechnik, Grundschnelligkeit und Kraft.

Seine größte Stärke liegt am Start, wie auch Auswertungen der zurückliegenden Wettkämpfen mit seinem Heimtrainer und Nachwuchs-Bundestrainer Rico May dokumentieren. In Vorbereitung auf die Sommersaison hatte Rico May mit dem Nachwuchskader auf Teneriffa zusammengearbeitet. „Dort hatte es sich schon angedeutet, dass es für ihn eine gute Saison werden kann“, sagt der Nachwuchs-Bundestrainer, der die Jugend-DM in Rostock in Maribor (Slowenien) beim EYOF mitverfolgte. „Gavin hat ein bisschen davon profitiert, dass Bruno Betz zurückgezogen hat. Dennoch war es von ihm eine super Leistung. Für den Moment war er auf den Punkt topfit und mental stark. Das wird er auch in Jerusalem brauchen."

Ziel: EM-Halbfinale

Für Gavin Claypool, geboren in den USA und aufgewachsen in Berlin, erfüllt sich mit dem Start bei der U20-EM ein großer Traum. Erstmals wird er den Adler auf der Brust im Wettkampf tragen. Schon einmal, nämlich für die U18-EM in Rieti, hatte er sich qualifiziert. Diese fiel dann der Corona-Pandemie zum Opfer. Nun also Jerusalem. „Wenn er seine persönliche Bestzeit von 13,83 Sekunden nochmal im Vorlauf bestätigen kann, dann traue ich ihm wirklich zu, dass er ins Halbfinale laufen kann. Wenn er ins Finale möchte, dann muss er nochmal über sich hinauswachsen“, blickt Rico May voraus.

Nach den intensiven Rennen von Rostock ging es für den jungen Hürdensprinter zuletzt etwas ruhiger zu. Natürlich auch mit der entsprechenden Vorbereitung auf die U20-EM. „Man schaut im Vorfeld in die europäische Bestenliste. Man kennt die Konkurrenz nicht, womit das Rennen auch eine kleine Überraschung wird. Außerdem wird jeder Wettkampf neu durchgemischt“, sagt Gavin Claypool, der zunächst die erste Runde überstehen will: „Es wäre schön, wenn ich zwei Läufe habe.“ Und das am besten ohne Drama und stattdessen mit ganz viel Happy End.

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