| Interview

Tobias Scherbarth: "Ich schaue nicht in die Bestenliste"

Der Olympia-Zweite Björn Otto ist verletzt, Weltmeister Raphael Holzdeppe und Vize-Hallenweltmeister Malte Mohr sind noch lange nicht in Top-Form. So ist momentan Tobias Scherbarth mit 5,73 Metern Deutschlands bester Stabhochspringer. Die Fachzeitschrift "Leichtathletik" traf den Leverkusener am Rande des Meetings in Rottach-Egern und sprach mit ihm über das besondere Flair beim Springen am Tegernsee, seine EM-Chancen und sein „Zehnjähriges“ bei Trainer Leszek Klima.
Martin Neumann

Tobias Scherbarth, es ist Anfang Juli und Sie führen mit 5,73 Metern die deutsche Bestenliste ab. Haben Sie im Frühjahr gedacht, dass Sie mitten in der Saison Deutschlands bester Stabhochspringer sind?

Tobias Scherbarth:

Definitiv nicht. Bei so vielen Top-Athleten und drei Springern mit Bestleistungen von 5,90 Metern und mehr war das nicht zu erwarten.

Schauen Sie sich gern die Bestenliste an?

Tobias Scherbarth:

Nein, die habe ich mir noch gar nicht angesehen.

Hatte sich Ihre gute Form schon in der Vorbereitung angedeutet?

Tobias Scherbarth:

Ich möchte das ein wenig relativieren. Ich bin bisher genauso hoch gesprungen wie vergangenes Jahr. Unterschiede zwischen 5,70 und 5,73 Meter will ich da nicht machen. Bisher läuft der Sommer gut, aber noch nicht überragend. Aber wir sind noch nicht bei den Saisonhöhepunkten angekommen. Fest steht aber: Mein Trainingslager in den USA ist gut verlaufen. Während der fünf Wochen dort und den drei Wettkämpfen habe ich gemerkt, dass es schon früh in diese Höhen gehen kann.

Sie sprechen Ihr Trainingslager in Phoenix an. Warum haben Sie sich für die USA entschieden, viele andere Stabhochspringer zieht es nach Südafrika?

Tobias Scherbarth:

Ich habe in Phoenix ein für mich optimales Umfeld bei Dan Pfaff gefunden. Er bringt Erfahrung aus 40 Trainerjahren mit und berät mich neben meinem Coach Leszek Klima. Außerdem trainieren dort mit Ex-Weltmeister Brad Walker und Steven Lewis zwei Weltklasse-Stabhochspringer. Ganz nebenbei ist das Klima in Phoenix konstant warm. So kann man optimal trainieren.

Ist es wichtig, in so einer anspruchsvollen Disziplin wie dem Stabhochsprung über den Tellerrand zu schauen?

Tobias Scherbarth:

Ich kann jetzt nur für die Gruppe in Phoenix sprechen. Bei Dan Pfaff wird sehr viel Wert auf Regeneration gelegt. Er hat Athleten aus allen Disziplingruppen trainiert außer Geher. So hat er über viele Jahre Erfahrung gesammelt und weiß genau, welche Übungen Athleten weiter bringen oder eher schaden. So legt er viel Wert auf schonendes Krafttraining und schonende Läufe. So hat er beispielsweise die klassischen beidbeinigen Kniebeugen aus seinem Programm entfernt, weil er gemerkt hat, dass die Athleten lange Zeit platt waren und Trainingsreize danach einfach verpufften. Schon allein aus meiner Verletzungshistorie mit den beiden Fußbrüchen war es sinnvoll, mich ihm anzuschließen.

Vergangene Woche standen für die Stabhochspringer die Diamond League-Stationen in Lausanne und Paris auf dem Programm. Sie haben sich aber für das kleine Meeting in Rottach-Egern entschieden. Fehlt Ihnen noch der große Name für die Diamond League?

Tobias Scherbarth:

Ich habe mich bewusst für Rottach-Egern entschieden. Es stand zwar kurz im Raum, in Paris zu starten. Aber ein echtes Thema war es nie, weil mir auch noch Punkte in der Weltrangliste fehlen. Ich will auch nicht um einen Startplatz betteln. Von der Atmosphäre und der Szenerie mit dem See und den Bergen im Hintergrund ist Rottach-Egern eins der schönsten Stabhochsprung-Meetings des Jahres. Es kommen viele Freunde her, so ist es Jahr für Jahr ein Treffen der ganzen Stabhochsprungfamilie. Um solche Meetings wie hier mit dem „Sprung in den See“ beneidet uns die ganze Welt. Bei der Diamond League ist alles durchorganisiert: Hotel, Bus, Stadion und zurück. Vielleicht erhascht man noch einen Blick auf den Eiffelturm, das war‘s. Hier ist alles deutlich entspannter. Das gefällt mir besser.

Trotz aller Entspannung hat es am Samstag nicht ganz mit einer neuen Bestleistung geklappt. Sie sind mit 5,60 Metern hinter Ihrem Vereinskollegen Karsten Dilla (5,70 m) Zweiter geworden. Warum sind die 5,75 Meter nicht liegengeblieben?

Tobias Scherbarth:

Weil man bei diesen Höhen keinen Fehler machen darf, so wie ich am Samstag. Ich bin den härtesten Stab gesprungen, den ich dabei hatte. Da wird das Fenster, in dem der Sprung klappen kann, deutlich kleiner als bei niedrigeren Höhen.

Werden Sie dieses Jahr die 5,75 oder 5,80 Meter denn noch springen?

Tobias Scherbarth:

Das ist die logische Konsequenz, obwohl ich das Ziel ja schon länger verfolge. 5,70 Meter bin ich ja erstmals schon vor fünf Jahren gesprungen.

An welchen Details arbeiten Sie besonders intensiv, um dieses Ziel zu schaffen?

Tobias Scherbarth:

Ich möchte mir da keine einzelnen Aspekte rauspicken. Für mich zählt der komplette Sprung im Wettkampf. Wenn es gelingt, den Versuch ohne ein Zögern von vorn bis hinten durchzuziehen, wird es ein guter Sprung.

Rund um den Tegernsee gibt es einige Golfplätze. Haben Sie einen getestet?

Tobias Scherbarth:

Nein, während der Saison spiele ich nicht.

Aber nach der Saison greifen Sie doch zum Schläger. Schließlich haben Sie Ihre Abschlussarbeit an der Deutschen Sporthochschule dem Thema gewidmet?

Tobias Scherbarth:

Nur gelegentlich. Ich versuche mich da zurückzuhalten. Der Abschlag beim Golf ist wirklich nicht die gesündeste Form der Bewegung für Füße, Knie, Rücken, Hüfte.

Zurück zum Stabhochsprung. Wie sehen Sie Ihre Chancen, bei den Deutschen Meisterschaften in Ulm das EM-Ticket zu lösen?

Tobias Scherbarth:

Ich bin gar nicht so fixiert auf Zürich, für mich sind die Deutschen Meisterschaften der wichtigste Wettkampf des Jahres. Ich will bei der DM meine beste Leistung zeigen. Gelingt das, kommt das andere von ganz allein. Klar sind die Voraussetzungen als deutsche Nummer eins sehr gut, zurücklehnen kann man sich aber nicht. Das haben die vergangenen Jahre gezeigt.

Haben Sie Raphael Holzdeppe für Ulm noch auf der Rechnung. Bisher ist der Weltmeister nicht über 5,53 Meter hinausgekommen.

Tobias Scherbarth:

Natürlich. Wenn man Raphaels Talent und seinen starken Kopf kennt, muss man ihn beachten. Hat das Training gepasst, wird er auch die EM-Norm von 5,70 Metern  springen können und vielleicht einen Springer rauskegeln, der schon zuvor die Norm hatte.

Welche Fähigkeit des Weltmeisters hätten Sie gern?

Tobias Scherbarth:

Ich bin mit meinen Möglichkeiten sehr zufrieden. Klar ist Raphael extrem schnell. Aber auch ich kann mit meiner Anlaufgeschwindigkeit sechs Meter springen.

Die EM könnte Ihre erste große Meisterschaft bei den Erwachsenen werden. Beim Team-EM-Sieg waren Sie aber schon mit dabei. Wie haben Sie den Triumph in Braunschweig erlebt?

Tobias Scherbarth:

Die deutschen Stabhochspringer zu vertreten, war eine große Ehre. Wir sind weltweit eine Marke. Ich habe mich in Braunschweig als Teil eines erfolgreichen Teams gefühlt, das hat mir sehr gut gefallen. Auf dem Podest haben sich alle miteinander gefreut, egal ob der Einzelne zwölf oder zwei Punkte geholt hat.

Sie trainieren seit knapp einem Jahrzehnt bei Leszek Klima ...

Tobias Scherbarth:

… das klingt schon unheimlich lang (lacht). Damals bin ich mit einer Bestleistung von 4,80 Metern aus Leipzig zu ihm nach Leverkusen gekommen.

Können Sie kurz umschreiben, was die Arbeit mit ihm ausmacht?

Tobias Scherbarth:

Leszek vermittelt im Training den Spaß am Stabhochsprung, darum kommen auch so unheimlich viele junge Springer zu ihm. Er ist ein absoluter Gefühlscoach, der den Sport als schönste Nebensache der Welt betrachtet. Mittlerweile hat er wahrscheinlich mehr als 10.000 Sprünge von mir gesehen, so spricht man einfach längst dieselbe Sprache.

Letzte Frage: Die deutsche Fußball-Nationalmannschaft hat im WM-Viertelfinale Frankreich mit 1:0 besiegt. Ist es für die deutschen Stabhochspringer bei der EM möglich, Frankreichs Überflieger Renaud Lavillenie zu bezwingen?

Tobias Scherbarth:

Renaud kann sich nur selbst schlagen. Momentan gibt es keinen deutschen Stabhochspringer, der das nötige Niveau mitbringt. Dabei wäre er dieses Jahr schlagbar. Allerdings muss man dafür konstant 5,80-Meter-Höhen abrufen, um den nötigen Druck aufzubauen. Diesen Springer gibt es aber gerade nicht. Nicht in Deutschland oder anderswo auf der Welt.

<link>Quelle: Leichtathletik - Ihre Fachzeitschrift

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