| Olympiasieger 1964

Trauer um Zehnkampf-Olympiasieger Willi Holdorf

Willi Holdorf hatte 1964 als erster Deutscher Olympia-Gold im Zehnkampf gewonnen. Knapp fünf Monate nach seinem 80. Geburtstag ist er am Sonntag in seiner norddeutschen Heimat verstorben.
Nicolas Walter / dpa / pm

Stimmen zum Tod von Willi Holdorf

Er kürte sich zum ersten deutschen „König der Athleten“. Am 19. Oktober 1964 wurde Willi Holdorf in Tokio (Japan) Olympiasieger im Zehnkampf und schrieb damit Geschichte. Am Sonntagabend ist er im Alter von 80 Jahren nach schwerer Krankheit im schleswig-holsteinischen Achterwehr bei Kiel verstorben. Das bestätigte sein engstes Familienumfeld am Montag. 

Sein Olympia-Triumph in Tokio ist vor allem mit den Bildern des abschließenden 1.500-Meter-Rennens verbunden. Nach neun Disziplinen lag der damals 24-Jährige in der Gesamtwertung in Führung. 18 Sekunden Rückstand durfte sich der Athlet des TSV Bayer 04 Leverkusen erlauben, ansonsten wäre der Traum von Gold geplatzt gewesen.

Olympiasieg mit den letzten Reserven

"Holdorf war am Ende seiner Kräfte. Aber er holte aus sich selbst Reserven heraus, die niemand hatte vermuten können. Zehn Meter vor dem Ziel begann der Deutsche hin und her zu taumeln", schilderte der französische Journalist Edouard Seidler in der „L'Équipe“ die Sekunden, in denen den Zuschauern der Atem stockte.

„Mir wurde schwarz vor Augen“, beschrieb Willi Holdorf diese letzten Meter einmal selbst. Am Ende setzte er sich gegen seinen Widersacher Rein Aun aus der Sowjetunion durch. Kraft zum Jubeln hatte er nicht mehr, die Ehrenrunde fiel aus. Doch das war egal: Willi Holdorf war nach neun Disziplinen mit 18 Sekunden Vorsprung ins Rennen gegangen und kam elf Sekunden nach Aun ins Ziel. Am Ende siegte er mit 7.887 Punkten.

„Sportler des Jahres“ und Mitglied der „Hall of Fame“

Der olympische Zehnkampf war zugleich sein letzter. Auf dem Höhepunkt seiner Karriere trat Willi Holdorf mit 24 Jahren ab. „Ich war schon verheiratet, musste eine Familie ernähren und mich um mein Studium kümmern", sagte er.

Nach seinem Coup wurde Willi Holdorf zum "Sportler des Jahres" gewählt und 2011 sogar in die "Hall of Fame" des deutschen Sports aufgenommen. Seine Goldmedaille aus Tokio hängt seit Jahren im Deutschen Sport- und Olympia-Museum in Köln.

Willi Holdorf, das Multitalent

Was Willi Holdorf besonders auszeichnete war seine vielfältige Begabung. Der am 17. Februar 1940 im holsteinischen Blomesche Wildnis (bei Glückstadt) geborene Mehrkämpfer galt als eines der größten Multi-Talente, welches der deutsche Sport je gesehen hatte. Das zeigte er schon in seiner frühen Jugend. In Glücksstadt an der Elbe aufgewachsen, spielte er als Knirps Fußball und galt als pfeilschneller Torjäger. Als Jugendlicher hütete er beim MTV Herzhorn das Handball-Tor.

Doch den großen Erfolg erzielte Willi Holdorf als Leichtathlet. Sowohl mit 19 als auch mit 20 Jahren wurde er im Trikot von Fortuna Glückstadt Deutscher Juniorenmeister im Zehnkampf. 1961 wechselte er nach Leverkusen, wo ihn fortan Trainerlegende Bert Sumser coachte. Die Qualifikation für die Olympischen Spiele in Rom (Italien) verpasste er noch knapp. In Tokio gelang ihm schließlich der ganz große Wurf.

Als Anschieber Vize-Europameister im Bob

Seine Vielseitigkeit bewies Willi Holdorf nach seiner Leichtathletik-Karriere auch als Fußball-Trainer beim damaligen Bundesligisten Fortuna Köln und als Leichtathletik-Coach in Leverkusen. Stabhochspringer Claus Schiprowski führte er 1968 zu Olympia-Silber, Hürdensprinter Günther Nickel in die Weltspitze. Um das deutsche Tennis machte er sich ebenfalls verdient, arbeitete für das Davis-Cup-Team als Konditionstrainer. Im Zweierbob wurde er als Anschieber in den 1970er Jahren zusammen mit Horst Floth Vize-Europameister und WM-Vierter.

Auch nach seiner Sport-Karriere blieb Willi Holdorf der Leichtathletik über Jahrzehnte erhalten. Zudem saß er bis 2016 im achtköpfigen Wirtschaftsausschuss des Handball-Bundesligisten THW Kiel und war als Vertreter für einen großen deutschen Sportartikelhersteller tätig.

Sportbegeisterte Familie

Sport – das war bei Willi Holdorf immer auch Familiensache: Seine Ehefrauen wiesen ebenfalls achtbare Karrieren im deutschen Sport auf. Schon seine erste Frau war Handball-Nationalspielerin, seine zweite führte nach Jahren als Marketing-Expertin bei der Leichtathletik-Fördergesellschaft die Geschäfte beim THW Kiel. Sohn Dirk war sowohl Spieler als auch Manager beim Fußball-Drittligisten Eintracht Braunschweig.

"Meine Familie hatte dafür Verständnis", blickte Willi Holdorf auf seine vielen Tätigkeiten im Sport zurück. Auch im hohen Alter trieb er noch viel Sport, ging Radfahren und Schwimmen. Zwei Schlaganfälle in den Jahren 2002 und 2008 sowie eine Bypass-Operation konnten den einstigen „König der Athleten“ nur vorübergehend ausbremsen – der einzigartige Mehrkampf von Willi Holdorf, er sollte 80 Jahre andauern, bis zum 5. Juli 2020.

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