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Ria Möllers – Inmitten von Jungs bis in die deutsche Frauenspitze

Olympia-Verschiebung, EM-Absage, viel Unsicherheit, dann aber doch Deutsche Meisterschaften in Braunschweig. Im Jahr 2020 war coronabedingt vieles anders. Hervorgebracht hat der Sommer dennoch wieder neun DLV-Athleten, die ihren ersten nationalen Einzeltitel bei den Erwachsenen gewonnen haben. Wir stellen sie vor, heute Stabhochspringerin Ria Möllers (TSV Bayer 04 Leverkusen).
Jan-Henner Reitze

Ria Möllers
TSV Bayer 04 Leverkusen

Bestleistung:

Stabhochsprung: 4,40 Meter (2020)

Erfolge:

Deutsche Meisterin 2020

Seit gut zwei Jahren geht es für Ria Möllers im wahrsten Sinne des Wortes aufwärts. Am einfachsten lässt sich das an ihren Leistungen beim Saisonhöhepunkt festmachen. Dort stellte sie jeweils eine persönliche Bestleistung auf: 2018 mit 4,25 Metern als Zweite bei der U23-DM in Heilbronn, 2019 mit 4,31 Metern als Vierte der DM in Berlin und in diesem Jahr bei der DM in Braunschweig mit 4,40 Metern. Dass ausgerechnet beim wichtigsten Wettkampf des Corona-Sommers wieder eine PB heraussprang, überraschte die Stabhochspringerin also weniger. Dass diese Höhe zum mit Stefanie Berndorfer (SSV Ulm 1846) geteilten ersten nationalen Titel bei den Aktiven reichte, dagegen sehr.

Auf den Triumph Anfang August folgte eine gut zweiwöchige Glückwunschwelle auf allen Kanälen inklusive Empfang bei ihrem ersten Verein in der Heimat Melle in Niedersachsen. „Auch über meine Eltern und Geschwister haben mir zum Beispiel frühere Mitschüler gratuliert“, erzählt die 24-Jährige, die natürlich auch über Instagram oder WhatsApp zahlreiche Nachrichten erhielt.

Der überraschende Erfolg ist auch eine erste Belohnung für den leistungssportlichen Weg, den die Leverkusenerin vergleichsweise spät eingeschlagen hat. Nachdem sie eher spielerisch zur Vier-Meter-Springerin aufgestiegen war und im Stabhochsprung vor allem ein facettenreiches Hobby sah, musste sich die heutige Deutsche Meisterin erst einmal im professionellen Leichtathletik-Umfeld einfinden und dabei Verletzungs-Rückschläge wegstecken.

Sport als Familiensache

Schon in Kindheitstagen in der 50.000-Einwohner-Stadt Melle war Sport ein fester Bestandteil des Lebens und eine Familienangelegenheit. In erster Linie ging es um den Spaß daran, sich zu bewegen, der Leistungsgedanke stand im Hintergrund. „Meine beiden älteren Brüder haben Handball gespielt, meine ältere Schwester ist geschwommen“, erzählt Ria Möllers, die von klein auf beim SC Melle 03 Mitglied war.

„Ich habe in viele Sportarten reingeguckt. Turnen wurde meine erste Leidenschaft, die ich auch recht intensiv verfolgt habe. Allerdings haben mir meine Trainer, schon als ich zehn Jahre alt war, gesagt, dass ich viel zu groß werden würde, um etwas zu erreichen.“ Auf Initiative von Mutter Petra, früher selbst aktive Leichtathletin, nahmen alle Kinder ohne dafür groß zu trainieren an Mehrkämpfen teil. Tochter Ria übersprang dabei beispielsweise im Alter von 14 Jahren 1,56 Meter im Hochsprung.

Von der Fernsehzuschauerin zur Stabhochspringerin

Und auch im Fernsehen wurden regelmäßig Sportübertragungen eingeschaltet, so zum Beispiel die Hallen-EM in Paris (Frankreich) im Jahr 2011. Das Stabhochsprung-Finale der Frauen, in dem mit Silke Spiegelburg (TSV Bayer 04 Leverkusen; 4,75 m) und Kristina Gadschiew (LAZ Zweibrücken; 4,65 m) zwei DLV-Athletinnen zu Silber und Bronze sprangen, faszinierte Ria Möllers. „Ich habe turnerische Elemente entdeckt und war sofort Feuer und Flamme für diese spektakuläre Disziplin. Ich wollte unbedingt Stabhochsprung ausprobieren.“

Eine Möglichkeit dazu bot sich im westfälischen Bünde, rund 20 Kilometer entfernt. Der 2015 leider verstorbene Hans-Jürgen Hammer brachte dort beim LAV Bünde Nachwuchsathleten auch das Stabhochspringen bei, zu diesem Zeitpunkt ausschließlich Jungs. „Die waren auch alle älter als ich. Es war etwas schade, dass kein anders Mädchen dabei war, aber Herr Hammer war schnell begeistert von mir und sicher, dass ich Talent habe“, erinnert sich die heutige Leistungssportlerin an ihre ersten Trainingseinheiten mit dem Stab in den Osterferien 2011.

3,40 Meter im ersten Wettkampf, anderthalb Jahre später U18-WM

Etwa zweimal pro Woche schwang sich die Schülerin zuerst mit dem Stab in den Sand. „Das erste Ziel war es, so hoch zu springen wie mein Papa groß ist“, erzählt Ria Möllers. „Er ist 1,96 Meter.“ Mit dem ersten Wettkampf ließ sich die Athletin, die weiterhin für den SC Melle 03 startete, ein dreiviertel Jahr Zeit. Spätestens dort zeigte sich dann, dass es eine gute Idee war, diese Disziplin zu wählen. Bei den niedersächsischen Hallen-Landesmeisterschaften der U18 in Hannover stieg die damals 15-Jährige bei 2,40 Metern ein und nahm dann Höhe für Höhe, die verblüffte Konkurrenz war schon komplett ausgeschieden, als die Latte auch im ersten Anlauf bei 3,40 Metern liegen blieb. Weil die Debütantin damit längst als Siegerin feststand, verzichtete sie auf weitere Versuche. Ein fast schon märchenhafter erster Auftritt.

Ohne verstärkt ins Training einzusteigen, belegte die Neueinsteigerin bei ihrer ersten Jugend-DM im Sommer 2012 in Mönchengladbach mit 3,65 Metern Rang sieben – höhengleich mit den beiden Zweiplatzierten. Ihre Bestleistung schraubte sie in ihrem ersten Wettkampfjahr bis auf 3,70 Meter und wurde in den niedersächsischen Landeskader berufen. Deshalb ging es von nun an auch regelmäßig zum Techniktraining nach Hannover zu Klaus Roloff. Nebenbei probierte sich die nach wie vor bewegungsbegeisterte Jugendliche auch im Siebenkampf. Ein systematisches Grundlagen-Training in der Leichtathletik stand aber noch immer nicht auf dem Programm. „Ich habe nebenbei weiter geturnt.“

2013 die internationale Premiere

Trotzdem ging es im Stabhochsprung weiter aufwärts. 2013 qualifizierte sich Ria Möllers mit Sieg und Bestleistung (3,90 m) bei der Gala in Schweinfurt für die U18-WM und bestieg Richtung Donetsk (Ukraine) erstmals ein Flugzeug. „Ich habe mich im Nachwuchsteam des DLV gefühlt wie ein Exot. Alle anderen haben nach Trainingsplänen trainiert“, berichtet Ria Möllers, die sich damals erst in ihrem zweiten Stabhochsprung-Jahr befand. „Am Tag vor dem Wettkampf sollten wir einen Auftakt machen. Ich wusste gar nicht, was das ist.“

Mit ihrer Vorstellung in der Qualifikation war sie dann auch nicht zufrieden, wegen der vielen neuen Eindrücke lief es nicht rund. Es gingen zwar immerhin 3,85 Meter in die Ergebnisliste ein, die allerdings nicht fürs Finale reichten. „Natürlich war das alles trotzdem eine riesige Erfahrung für mich.“ Zum Saisonabschluss gab es mit Silber bei der Jugend-DM in Rostock noch erstes Nachwuchs-Edelmetall auf nationaler Ebene.

Plötzlich Krafttraining

Im ersten U20-Jahr gelang mit dem ersten Vier-Meter-Sprung dann der Sieg bei der Jugend-DM in Wattenscheid. Das Bewusstsein für das sportliche Potential wuchs zwar, die Gedanken drehten sich mit dem abgeschlossenen Abitur aber vor allem um die berufliche Zukunft und den Wunsch, mehr von der Welt zu sehen. Die Stabhochsprung-Leistung war da eher „Mittel zum Zweck“ und machte den Sprung über den großen Teich möglich: Ein Studien-Stipendium für die USA.

Im Jahr 2015 verbrachte Ria Möllers von Februar bis Mai ein Semester an der Western Kentucky University in Bowling Green. Da sie nicht nur Englisch studierte, sondern auch zum College-Team der Leichtathleten gehörte, war sie plötzlich mittendrin in einem eng getakteten Sportlerleben inklusive detailliertem Trainingsplan. „Jeden zweiten Tag Krafttraining war für mich etwas ganz Neues, das Training ging quasi von null auf hundert“, erzählt die Studentin.

Lehramtsstudium in Köln

Durch die neuen Reize wurde der Körper ungewohnt stark gefordert. Erst einmal trug die harte Arbeit aber auch Früchte: Mit der neuen Bestleistung von 4,15 Metern im Gepäck trat die immer noch in der U20 startberechtigte Athletin Anfang Juni die Heimreise nach Deutschland an. Das war von vornherein so geplant, um sich im Sommer für die U20-EM in Eskilstuna (Schweden) zu qualifizieren. Das gelang dank der damaligen Jahresbestleistung der U20 auch. Nach den belastenden Monaten mit viel Training und vielen Wettkämpfen schwanden aber die Kräfte. Bei der U20-EM reichte es wie schon bei der U18-WM knapp nicht fürs Finale.

Obwohl es der damals 19-Jährigen in den USA gefallen hatte, entschloss sie sich, nicht weiter in den USA zu studieren. Ihr Berufsziel Lehrerin für deutsche Schulen zu werden, ließ sich dort nicht verfolgen. Weitergehen sollte es aber mit dem Stabhochsprung. Leverkusen als Trainingsstandort in der Gruppe von Christine Adams und die Deutsche Sporthochschule Köln mit den Lehramtsfächern Sport und Englisch bringen seitdem beides unter einen Hut. „Schon als Kind habe ich immer gesagt, einmal in Köln zu studieren.“

Eingewöhnungsphase

In den USA und jetzt in Leverkusen so richtig in der Leichtathletik-Welt anzukommen, brachte einen Motivationsschub. Im hoch gefahrenen Training gab Ria Möllers in jeder Einheit hundert Prozent und sogar noch mehr, auch wenn das manchmal ein bisschen wehtat. Dass Schmerzen auch ein Warnsignal des Körpers sind, musste sie erst lernen. Und so häuften sich in den ersten Monaten und Jahren in Leverkusen die Verletzungen. Vor allem die Füße entpuppten sich mit Bänderrissen und Ermüdungsbruch als Schwachstelle.

Genauso wie die Athletin erst lernen musste, wie ihr Körper auf die Umstellung auf den Leistungssport reagiert, war es auch für Trainerin Christine Adams eine neue Herausforderung, sich auf ihren Schützling mit der ungewöhnlichen Vorgeschichte einzustellen. So gingen erst einmal zwei Jahre ohne neue Bestleistung ins Land. Etwa das richtige Schuhwerk inklusive Einlagen und Fußstabilisation waren ein Schlüssel dazu, die Belastbarkeit Stück für Stück zu steigern.

Dennoch gibt es vor allem im Sprint- und Kraftbereich noch Nachholbedarf. Kein Wunder, zuerst durch den späten Start des strukturierten Trainings in diesem Bereich und dann die vielen Verletzungen fehlen hier im Vergleich zu anderen Athletinnen ganze Trainingsjahre. Ein Nachteil, der dabei ist, sich in einen Vorteil umzukehren. Denn es ist auch klar, an welchen Stellen noch Verbesserungspotential besteht. Und die Erfolge des Sommers beweisen, dass der richtige Weg eingeschlagen ist.

An die Fersen der Jungs heften

Durch die Erfahrungen der vergangenen Jahre ist die Bewahrung der Gesundheit zum obersten Ziel geworden, gefolgt davon, wie in den Anfängen, weithin Spaß an der Faszination Stabhochsprung zu haben. „Dann kommen die Verbesserungen ganz von allein“, erzählt Ria Möllers. „Ich nehme mir keine Höhen vor oder vergleiche mich mit meinen Konkurrentinnen.“

Dazu passt, dass mit dem WM-Vierten Bo Kanda Lita Baehre und WM-Teilnehmer Torben Blech (beide TSV Bayer 04 Leverkusen) zwei Jungs in ihrer Trainingsgruppe sind. „Ja, ich hätte auch die Möglichkeit in der Gruppe von Leszek Klima mit anderen Mädels zu trainieren. Und gerade bei Tempoläufen wünsche ich mir das auch manchmal“, sagt die 24-Jährige. „Aber wenn sich Bo und Torben im Training batteln, ist das eine ganz besondere Atmosphäre, die mich absolut mitreißt. Ich versuche ansatzweise an ihren Fersen zu kleben. Und ehrlich gesagt tut es mir auch gut, wenn mir die beiden ab und zu in den Hintern treten.“

Und wie es ist, sich sportlich an Jungs zu orientieren, mit allen Vor- und Nachteilen, damit kennt sich Ria Möllers bestens aus. Sie ist mit zwei großen Brüdern aufgewachsen und auch bei ihren Anfängen im Stabhochsprung in Bünde eiferte sie den Jungs nach.

Das sagt Bundestrainer Stefan Ritter:

Ria ist noch immer eine junge Athletin und hat gezeigt, dass sie sich in den vergangenen drei Jahren immer weiter steigern konnte. Mit ihrem Sprung über 4,40 Meter und dem Titel konnte sie sich und ihre Trainerin für die fleißige Arbeit belohnen.

Ria hat ein sehr gutes Bewegungsgefühl und zu ihren Stärken gehört das Turnen am Stab. Sie zählt nicht zu den schnellsten Stabhochspringerinnen und hat auch im Bereich des Absprungs in den Stab noch Verbesserungspotential. Gelingt es ihr besser in den Stab zu springen und ihre Kraft ins Gerät zu übertragen, kann sie sich weiter steigern.

Auf Ria kann man sich immer verlassen. Sie arbeitet fleißig, handelt konsequent und sucht immer den Spaß am Stabhochspringen. Sie hat gezeigt, dass sie durch ihre fleißige Arbeit in der Lage ist, sich kontinuierlich zu verbessern. Ich denke, dass sie auch im kommenden Jahr nochmals Fortschritte machen wird und sich dann weiter steigern und im Topbereich der deutschen Stabhochspringerinnen festsetzen kann.

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