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Marlene Meier – Aus der U20 direkt zum ersten Titel in der Frauenklasse

Ein Jahr mit vielen Leichtathletik-Höhepunkten neigt sich seinem Ende entgegen. Auf nationaler Ebene waren die Deutschen Meisterschaften in Berlin das Highlight des Sommers, bei denen acht Athletinnen und Athleten erstmals in ihrer Karriere ganz oben standen. Wir stellen sie vor. Heute: Hürdensprinterin Marlene Meier (TSV Bayer 04 Leverkusen).
Jan-Henner Reitze

Marlene Meier
TSV Bayer 04 Leverkusen

Bestleistung:

100 Meter Hürden: 13,15 sec (2022)

Erfolge:

Deutsche Meisterin 2022

Das Ende der Zugehörigkeit zur Altersklasse U20 markiert für viele Athletinnen und Athleten eine komplizierte Phase mit Blick auf den Sport. Plötzlich ist die Konkurrenz zum Teil deutlich älter und erfahrener. Außerdem stellt sich oft die Frage, welchen Stellenwert im Leben die Leichtathletik einnehmen soll. Außergewöhnlich gut gemeistert hat diesen Übergang Hürdensprinterin Marlene Meier. Die 20-Jährige konnte nicht nur ihr Leistungsniveau insgesamt deutlich steigern, sondern dazu noch bei ihrem Saisonhöhepunkt bei den Deutschen Meisterschaften in Berlin über sich hinauswachsen und gleich im ersten Jahr nach der U20 ihren ersten nationalen Titel in der Frauenklasse gewinnen.

Schlüssel zu diesem Erfolg sind eine nach vielen Jahren endlich gelöste Problematik der Belastungsfähigkeit, die kontinuierliche Trainingsarbeit beim TSV Bayer 04 Leverkusen, und dass mit Franziska Schuster oder Tim Eikermann (beide ebenfalls TSV Bayer 04 Leverkusen) mehrere Trainingspartner an einem ganz ähnlichen Punkt ihrer Laufbahn stehen. Ohne Stress soll die Entwicklung in den kommenden Jahren weitergehen, möglichst bis hinein in die internationale Spitze.

Erste Erfolge im Mehrkampf und mit der Staffel

Als Kind ging Marlene Meier zuerst zum Turnen und zum Ballett, bevor in der vierten Klasse bei den Bundesjugendspielen ihr Talent für die Leichtathletik auffiel. In der Nähe ihres Heimatortes Pulheim bei Köln meldeten die Hochsprung-Olympiasiegerin von 1992 Heike Meier-Henkel und der WM-Dritte im Zehnkampf von 1993 Paul Meier ihre Tochter zum Training beim TSV Glessen an. Da die damals Elfjährige auch gern an Wettkämpfen teilnehmen wollte, erfolgte kurze Zeit später der Wechsel zum TSV Bayer 04 Leverkusen.

Dem Spaß an Training und Wettkämpfen folgten erste Erfolge wie 2016 der dritte Rang bei den Deutschen Blockmeisterschaften in Aachen in der Altersklasse W14 im Blockmehrkampf Sprint/Sprung (2.743 Punkte). Schon damals brachte der 80-Meter-Hürdensprint (12,29 sec) die meisten Punkte. Ein Jahr später gewann die damals 15-Jährige mit der 4x100-Meter-Staffel (48,77 sec) ihres Vereins den Titel bei der U16-DM in Bremen.

„Es war toll in Leverkusen in einer großen Gruppe zu trainieren. Damals war der Sport ein Hobby. Die Gruppe und auch die Erfolge in der Staffel waren eine zusätzliche Motivation, dran zu bleiben und weiterzumachen“, erzählt Marlene Meier.

Weichen werden Richtung Leistungssport gestellt

Die Entscheidung, in der Leichtathletik mehr als ein Hobby zu sehen, fiel mit dem Abschluss der zehnten Klasse. „Mein Abi habe ich dann an der Sportschule in Leverkusen gemacht. Damit war klar, dass ich in Richtung Leistungssport gehen möchte“, erinnert sich die Deutsche Meisterin, die sich immer mehr auf den Hürdensprint konzentrierte und in ihrem ersten U18-Jahr bei der Jugend-DM in Rostock Silber über 100 Meter Hürden (13,93 sec) gewann.

Unter der Anleitung von Markus Irrgang etablierte sich Marlene Meier in der nationalen Spitze ihrer Altersklasse. Weitere Medaillen bei Deutschen Jugend- und U23-Meistschaften folgten, unter anderem der Titel bei der Jugend-DM 2020 in Heilbronn in der Altersklasse U20 (13,87 sec).

Trotz starker nationaler Konkurrenz und dank guter Nerven gelang 2021 mit Bestzeit bei der Junioren-Gala in Mannheim (13,56 sec) die Qualifikation für die U20-EM in Tallinn (Estland) wo es bis ins Halbfinale ging. „Der erste Start im Nationaltrikot war sehr aufregend. Mit meiner Leistung war ich nicht ganz zufrieden. Ich konnte nicht alles umsetzen, was ich drauf hatte.“

Verbesserte Grundschnelligkeit Basis für Steigerung

Im Training immer wieder ausgebremst wurde Marlene Meier von Hüftproblemen. „Die Muskulatur dort hat schnell zu gemacht. Kniebeugen konnte ich zum Beispiel keine machen. Bei Läufen habe ich mich immer etwas zurückgehalten oder weniger gemacht.“ Eine Ursache konnte lange nicht festgestellt werden. Physiotherapie minderte zwar die Probleme, ließ sie aber nicht komplett verschwinden.

Das änderte sich mit einem Besuch bei Osteopath Andreas Nelles in Jülich. „Er hatte nochmal einen ganz anderen Blick und hat sofort gesehen, was er tun kann.“ Nach 20 Minuten Behandlung waren die Schmerzen weg. Seitdem stellen regelmäßige Termine sicher, dass sie auch nicht wiederkommen.

„Im vergangenen Winter konnte ich erstmals problemlos alle Programme durchziehen und hundert Prozent geben. Ich habe so viele Tempoläufe wie noch nie gemacht“, berichtet die junge Athletin. Der Lohn war eine verbesserte Grundschnelligkeit. In zehn Rennen des vergangenen Sommers stand am Ende eine schnellere Zeit zu Buche, als die Bestzeit (13,56 sec), mit der die Leverkusenerin in die Saison gestartet war.

Bestzeit und Titel bei der DM in Berlin

Höhepunkt und Krönung des starken Sommers waren die Deutschen Meisterschaften im Berliner Olympiastadion. Auf den Punkt fit stürmte die 20-Jährige in 13,20 Sekunden schon zur schnellsten Vorlaufzeit und neuen PB. Die weitere Steigerung auf 13,15 Sekunden im Finale brachte Gold vor Monika Zapalska (TV Wattenscheid 01; 13,21 sec) und Trainingspartnerin Franziska Schuster (13,31 sec). Nur wenige Minuten später machte Tim Eikermann mit Silber über 110 Meter Hürden der Männer (13,78 sec) den Medaillensatz der Trainingsgruppe komplett.

„Wir haben uns seinen Lauf noch auf der Bahn angeschaut. Danach ist er sofort zu mir gekommen und hat zuerst mir gratuliert“, erzählt Marlene Meier. „Trotz seines bevorstehenden Finals hat er also mitbekommen, was in unserem Rennen passiert ist. Der ganze Moment hat mir gezeigt, wie eng wir als Trainingsgruppe zusammengewachsen sind.“

Dem Triumph von Berlin folgte mit Gold bei der U23-DM in Wattenscheid (13,49 sec) ein weiterer Titel. Eine Corona-Infektion verhinderte später geplante Starts zum Saisonabschluss bei den #TrueAthletes Classics in Leverkusen und dem ISTAF in Berlin. „Als klar war, dass ich keine Rennen mehr bestreiten werde, wurde mir auch erst so richtig bewusst, was ich dieses Jahr alles geleistet habe. Körperlich und mental war das etwas ganz Neues und ich brauchte wirklich eine Pause.“

Bei U23-EM beste Leistung abrufen

Das Video ihres bisher schnellsten Rennens hat sich Marlene Meier inzwischen unzählige Male angeschaut. „Zum Beispiel manchmal vor dem Einschlafen. Einerseits bin ich stolz drauf, anderseits sehe ich auch noch Dinge, die ich verbessern kann. Das ist eine riesige Motivation weiterzuarbeiten.“

Die Geschwindigkeit auch auf den letzten Hürden der 100 Meter besser halten, den Oberkörper bei der Hürdenüberquerung noch länger vorne lassen und den Zwischenhürdensprint weiter verbessern identifiziert sie als Baustellen. „Ich möchte auch meine Fitness insgesamt steigern, um Belastungen wie in diesem Jahr besser verkraften zu können.“

Großes Ziel im kommenden Jahr ist die U23-EM in Espoo (Finnland; 13. bis 16. Juli). „Dort möchte ich dann meine beste Leistung abliefern, was mir ja bei meinem Debüt im Nationaltrikot bei er U20-EM nicht ganz gelungen ist.“ Als Überprüfung des Leistungsstands in Richtung Sommer ist auch eine Hallensaison geplant.

Von sich selbst überraschen lassen

Gerade aufgenommen hat Marlene Meier ein Studium im Fach Nachhaltiges Design in Köln, nachdem sie sich nach ihrem Abitur ein Jahr komplett auf den Sport konzentriert hatte. „Ich habe meine Kurse so legen können, dass ich genauso wie im vergangenen Jahr trainieren kann.“

Langfristig möchte die Hürdensprinterin den Anschluss an die internationale Spitze in der Frauenklasse schaffen. So schnell wie der nationale Aufstieg gleich im ersten Jahr nach der U20 muss das aber nicht gehen. „Klar ist der Gedanke toll, erstmals eine 12 vor dem Komma stehen zu haben. Aber in Sachen Zeiten mache ich mir keinen Stress. So hat es auch bei der DM in Berlin gut geklappt und ich habe mich selbst überrascht.“

Respekt hat sie vor der aktuellen Weltspitze in ihrer Disziplin. 13 Athletinnen sind in diesem Jahr weltweit unter 12,50 Sekunden geblieben. „Anderseits begeistert es mich auch zu sehen, wozu andere Athletinnen im Stande sind, und es ist für mich eine riesen Motivation.“

Video: Marlene Meier überrascht mit Gold und deutscher Jahresbestzeit
Video-Interview: Marlene Meier: "Damit habe ich nicht gerechnet"

Das sagt Bundestrainer Sebastian Bayer:

Die Entwicklung von Marlene war für mich die größte Überraschung in diesem Jahr. Sie hat sich extrem verbessert, speziell ihre Leistung bei den Deutschen Meisterschaften war herausragend.

Marlene ist noch sehr jung. Erst einmal geht es darum, sich im Bereich ihres gezeigten Spitzenniveaus von 13,15 Sekunden zu stabilisieren. Ich traue ihr aber auch weitere Ausreißer nach oben zu. Für mich zählt Marlene zu den Medaillen-Kandidatinnen bei der U23-EM. In ihrem Alter ist ihre Bestzeit schon extrem stark. Langfristige Reserven liegen etwa im Kraftbereich. Insgesamt ist sie ist auf einem guten Weg.

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