| Interview

Alexander Kosenkow: "Im Team zu funktionieren ist beim Duo-Sprint das Wichtigste"

Viele Jahre war er wertvoller Teil der deutschen 4x100-Meter-Staffel. Und auch mit 46 Jahren hat Alexander Kosenkow die Spikes noch nicht an den Nagel gehängt. Er hält nicht nur den 200-Meter-Weltrekord in der Altersklasse M45 und belegte Platz drei bei der Wahl zum "Senioren-Leichtathleten des Jahres", sondern ist auch in der Para-Leichtathletik als Guide tätig. Im Interview spricht er über seine Liebe zum Sprint und seine Ambitionen für die Paralympics 2024.
Robin Josten

Herr Kosenkow, Sie sind nicht bei der Masters-Weltmeisterschaft in Torun angetreten. Warum? 

Alexander Kosenkow: 
Die Masters-Hallen-WM stand nicht auf meiner Agenda. Dort hätte ich gute Chancen gehabt, Medaillen abzuräumen und Rekorde aufzustellen. Allerdings ist diese Art des Erfolges für mich nicht der Hauptgrund, weshalb ich in meinem Alter noch professionell Leichtathletik betreibe. Das mache ich in erster Linie, weil ich Begleitläufer von einem sehbehinderten Sprinter [Marcel Böttger; Anm. d. Red.] bin. Marcel läuft die 100 Meter in 11,20 Sekunden. Um eine Hilfe und keine Last zu sein, muss ich schneller laufen als er – das erfordert einen top Fitnesszustand. 

Bei den Paralympischen Spielen in Tokio 2021 liefen Sie mit Marcel Böttger. Wie stellt man sich auf ein solches Rennen ein? 

Alexander Kosenkow:
Die Vorbereitung am Wettkampftag verläuft ähnlich wie bei einem Einzel-Wettkampf. Natürlich muss ich zusehen, dass ich selbst funktioniere und mich warmmache und dehne. Steigerungen, Startübungen etc. machen wir dann aber gemeinsam mit dem Band. Da der Sprint zu zweit ganz anders ist als ein Solo-Sprint, ist es sehr wichtig, vor einem Wettkampf diese Abläufe noch mal durchzugehen. Koordination sowie Rhythmik müssen ideal aufeinander abgestimmt sein. Im Team zu funktionieren ist bei diesem Duo-Sprint das Wichtigste. Darüber hinaus hat man nicht nur für sich selbst, sondern zusätzlich die Verantwortung für eine andere Person. 

Wie war für Sie das Olympia-Erlebnis? 

Alexander Kosenkow:
Ich nahm bereits bei vier Olympischen Spielen teil und weiß, wie sich so ein Ereignis mit Zuschauern im Stadion anfühlen kann – komplett anders. Mit lauter Kulisse und solch einer Euphorie im Rücken kann man automatisch schneller laufen. In Tokio fühlte sich das hingegen eher wie ein Sportfest an. Daher musstest du dir im Kopf klarmachen, dass das hier Olympia ist. Im Parasport gibt es volle Ränge leider nur bei großen Veranstaltungen, weshalb ich es sehr schade fand, dass den Athleten dort dieses eigentlich geniale Erlebnis durch die Pandemie genommen wurde.

Bei welchen Events wollen Sie 2023 an den Start gehen?

Alexander Kosenkow:
Wir wollen bei der Para-Weltmeisterschaft in Paris antreten. Für diese müssen wir uns allerdings zuerst qualifizieren. Unsere Bestzeit liegt derzeit bei 11,06 Sekunden, die Quali-Zeit bei 10,96 Sekunden. Da die WM dieses Jahr sehr früh stattfindet, gibt es nur wenige Quali-Wettkämpfe. Das große Augenmerk liegt darauf, diese Zeit so schnell wie möglich zu knacken, um auch eine gewisse Planungssicherheit zu haben. Die heiße Phase ist schon eingeläutet. Das übergeordnete Ziel ist natürlich die Teilnahme an den Paralympischen Spielen 2024.

Über 200 Meter sind Sie seit dem vergangenen Sommer mit 21,65 Sekunden in der Altersklasse M45 der schnellste Mensch der Welt. Wie haben Sie den Lauf beim Nationalen Sportfest in Minden erlebt? 

Alexander Kosenkow:
Ehrlich gesagt kam diese Zeit für mich ein bisschen überraschend. Bei diesem Wettkampf bestand die Konkurrenz nicht nur aus meiner Altersklasse. Unter anderem war dort ein junger Sprinter aus Hamburg, mit dem ich lange Zeit auf Augenhöhe gelaufen bin. Bis zur 100-Meter-Marke lag ich sogar deutlich in Führung – mehr als zwei Meter. In diesem Moment bekam ich die berühmte zweite Luft und konnte das Rennen bis zum Ende durchziehen. Schließlich kamen wir beide mit einer Zeit von 21,65 Sekunden über die Ziellinie, wobei mir sogar aufgrund von Tausendstelsekunden der Sieg zugesprochen wurde.

Das Wetter war okay, die Konkurrenz top, und ich fühlte mich super – viele Umstände, die an diesem Tag für beste Voraussetzungen sorgten. Wenn man darüber nachdenkt, dass bisher kein 45-Jähriger die 200 Meter schneller gelaufen ist, stachelt das schon zum Weitermachen an. Natürlich laufe ich gerne mal so einen Rekord oder greife diese Bestzeiten an. Da mein Job das Laufen mit Marcel ist, habe ich aber für solche Einzelwettkämpfe fast keine Zeit. 

Ist das Laufen mit Para-Leichtathlet Marcel Böttger Ihr Hauptberuf?

Alexander Kosenkow:
Ja, da gibt es eine Förderung durch die Bundeswehr. Für meinen Athleten bin ich nicht nur Partner, sondern gleichzeitig Trainer. Marcel wohnt 170 Kilometer entfernt von mir. Mit dem ganzen Drum und Dran ist das ein Full-Time-Job. 

Welche Aktivitäten machen Sie am liebsten in Ihrer Freizeit? 

Alexander Kosenkow:
Mit der Familie in den Urlaub fahren macht mich immer glücklich. Wir haben ein Haus mit Garten und eine Ferienwohnung. Leider komme ich meistens nicht dazu, mich um Garten, Haushalt etc. zu kümmern. Wenn aber mal ein bisschen freie Zeit zur Verfügung steht, kümmere ich mich liebend gerne um den Garten oder werde handwerklich tätig.

Wie sind Sie überhaupt zur Leichtathletik gekommen?

Alexander Kosenkow:
Ich fing im Alter von acht Jahren in der damaligen Sowjetunion mit der Leichtathletik an. Als ich mit 14 Jahren nach Deutschland kam, musste ich mich erst mal zurechtfinden. Zunächst spielte ich Fußball, bis ein Sportlehrer auf meine Leichtathletikfähigkeiten bei den Bundesjugendspielen aufmerksam wurde. Er rief den bei uns nahe liegenden Leichtathletikverein OSC Damme an und fragte, ob es dort einen Trainer gäbe, der einen jungen talentierten Athleten trainieren kann – so landete ich erneut in der Leichtathletik.

Ich erhielt umfassende Förderung, weil dieser Trainer großes Potenzial in mir sah. Relativ schnell wurde der Verein LT 85 Hannover auf mich aufmerksam, wo ich dann in der Folge in einem professionellen Umfeld trainierte. In Hannover entdeckten mich Scouts vom TV Wattenscheid 01, und der Manager des Vereins lotste mich schließlich im Jahr 1996 nach Wattenscheid. 

Sie sind bei der Wahl der „Leichtathleten des Jahres“ 2022 in der Kategorie Masters auf Platz drei gelandet. Welche Emotion löste diese Auszeichnung bei Ihnen aus? 

Alexander Kosenkow:
Dass ich in dieser Auswahl am Ende auf dem Treppchen landete, war eine tolle Ehrung für mich. Meine Leistungen sind natürlich nicht mit denen von Klemens Wittig oder Lothar Fischer zu vergleichen. Was die in ihrem Alter abliefern, ist einfach toll. In meinem Alter ist die Belastung teilweise schon sehr hoch. Wenn ich mir vorstelle, dass sie 40 Jahre älter sind als ich, stelle ich mir die Frage: Wie schaffen die das überhaupt? Da kann ich von meiner Seite aus nur gratulieren und Hochachtung für diese Leistungen aussprechen. Da verliere ich bei so einer Wahl gerne (lacht)

Was fasziniert Sie am Sprint? 

Alexander Kosenkow:
Wenn du nur wenige Augenblicke, nachdem du mit deinen Konkurrenten am Start gestanden hast, als Erster durch das Ziel läufst, ist das ein unglaublich schönes Glücksgefühl – das muss man selber mal erlebt haben. In der Jugend gewann ich einen Weitsprungwettbewerb, konnte mich aber durch das lange Warten auf die Sprünge der anderen Athleten nicht annähernd so freuen. Zudem finde ich es in den wenigen Sekunden des Sprints sehr spannend zu beobachten, wie schnell sich der Körper verändert und was er in der Lage ist zu leisten. Für mich zeichnet sich der Sprint in erster Linie durch die unfassbare Schnelligkeit eines Wettkampfes aus.

Quelle: Fachzeitschrift Leichtathletik

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