| Werfer-Paar

Anna Rüh, Martin Wierig und ihr gemeinsamer WM-Traum

Sie sind ein Paar, das viel verbindet: Die Leidenschaft für dieselbe Wurf-Disziplin, dieselbe Trainingsgruppe und dasselbe Los im Kampf um einen Startplatz für die Weltmeisterschaften in London. Anna Rüh und Martin Wierig sind als Diskuswerfer in einer Leichtathletik-Disziplin aktiv, die in Deutschland mit am stärksten besetzt ist und den Athleten im Kampf um die WM-Teilnahme alles abfordert.
Pamela Ruprecht

"Nicht umsonst hat Deutschland die letzten beiden Olympiasieger gestellt. Man sagt, Konkurrenz belebt das Geschäft", meint Martin Wierig nach dem <link news:56612>Werfercup in Wiesbaden. Der 29-Jährige konnte beim ersten Saisonwettkampf – ebenso wie seine Freundin und Trainingspartnerin Anna Rüh – die WM-Norm (65,00 m | 61,20 m) für London (Großbritannien; 4. bis 13. August) übertreffen. Das ist aber noch lange keine Garantie dafür, beim internationalen Höhepunkt auch dabei zu sein. Denn der Kampf um einen Startplatz bei den Weltmeisterschaften im Olympiastadion von 2012 geht jetzt erst richtig los.

In der noch jungen Saison stehen Martin Wierig und Anna Rüh (beide SC Magdeburg) in der DLV-Bestenliste mit 65,56 und 63,05 Metern auf Position eins beziehunsgweise zwei. Bei den Männern wie auch bei den Frauen gibt es jedoch fünf weitere deutsche Kandidatinnen und Kandidaten, die die WM-Norm drauf haben – bei jeweils nur drei verfügbaren Startplätzen.

Gespickt mit Olympia-Medaillengewinnern ist die Männer-Konkurrenz von Martin Wierig mit Olympiasieger Christoph Harting, dessen Vorgänger Robert Harting (beide SCC Berlin), dem Olympia-Dritten Daniel Jasinski (TV Wattenscheid 01), dem Potsdamer Markus Münch und aus der Magdeburger Trainingsgruppe von Armin Lemme David Wrobel. "Das ist ein Luxus, den Deutschland hat", sagt Martin Wierig, der eine stattliche Bestleistung von 68,33 Metern (2012) aufweisen kann.

Konkurrenzdichte Fluch und Segen zugleich

Doch in den Bereich der Bestleistung zu werfen, darum geht es im Saisonverlauf erstmal nicht. Viel wichtiger: Im direkten Vergleich mit der nationalen Konkurrenz bestmöglich abschneiden. Die nächste Gelegenheit dazu ist am Wochenende (20./21. Mai) bei den <link news:56770>Werfertagen in Halle. Der erste Saisonhöhepunkt, auf den hintrainiert wird, sind die <link>Deutschen Meisterschaften in Erfurt (8./9. Juli). Da zählt's, ein Platz unter den Top Drei sollte beim finalen WM-Nominierungswettkampf her.

Wie nervenaufreibend dieser Wettstreit um die WM-Teilnahme ist, macht ein Vergleich mit Gerd Kanter deutlich. Der Olympiasieger von 2008 aus Estland hat in seinem Land kaum nationale Konkurrenz zu fürchten und kann sich im Prinzip nach seinem ersten Platz in Wiesbaden mit 65,87 Metern vor Martin Wierig nun gezielt fast drei Monate in Ruhe auf die WM vorbereiten. Der Magdeburger hingegen ist wie die übrigen DLV-Diskuswerfer in den nächsten knapp zwei Monaten vor allem im direkten Aufeinandertreffen fortlaufend gefordert.

"Wir müssen bei jedem Wettkampf das Beste rausholen und bei der DM topfit sein. Das ist Fluch und Segen zugleich, wir müssen uns permanent miteinander duellieren, das pusht natürlich, aber es kostet auch enorm viele Körner", sagt der WM-Vierte von 2014, der die Situation seit Jahren kennt. Man versucht immer wieder, im Training noch draufzupacken oder geht über einen Schmerzpunkt hinaus, obwohl eine Pause für den Körper gerade besser wäre. "Man versucht immer, am Optimum zu arbeiten. Die Leistungen gehen so in der Breite natürlich weiter nach oben. Deshalb gibt es diese zwei Sichtweisen."

Mehr Masse für mehr Beschleunigung für mehr Weite

Für Anna Rüh gestaltet sich die Situation ähnlich. Die 23-Jährige hatte 2015 knapp eine WM-Teilnahme verpasst und will in diesem Jahr nicht noch einmal den Kürzeren ziehen. Dabei sieht sich die U23-Vize-Europameisterin hochklassigen Konkurrentinnen gegenüber: Vize-Europameisterin Julia Fischer (SCC Berlin), die WM-Dritte Nadine Müller (SV Halle) und die EM-Dritte Shanice Craft (MTG Mannheim) sowie Claudine Vita (SC Neubrandenburg; 63,47 m) und Kristin Pudenz (SC Potsdam; 62,89 m) wollen ebenfalls nach London. Auch die beiden Letztgenannten übertrafen in Wiesbaden jeweils mit Bestleistungen die WM-Norm.

Um mit den Besten der Welt mithalten zu können, müssen die körperlichen Voraussetzungen stimmen. Die Weite des Wurfs wird entscheidend durch die Beschleunigung der Diskusscheibe bestimmt. Es kommt viel darauf an, Geschwindigkeit im Ring zu erzeugen und diese auf das Wurfgerät zu übertragen. Für diese Kraftübertragung ist auch die eigene Körpermasse von Bedeutung. "Ich bin ziemlich leicht, ich brauche eine größere Grundlage, um stärker zu werden", erklärt Anna Rüh, die aufgrund ihres schlanken Körperbaus manchmal für eine Hochspringerin gehalten wird.

Nach ihrem Wechsel von Neubrandenburg nach Magdeburg kann die U20-Weltmeisterin von 2012 an dieser Stellschraube gemeinsam mit ihrem Freund arbeiten. "Ich bin ein ähnlicher Typ", erklärt Martin Wierig. "Ich muss viel essen, um zuzunehmen." Viele Menschen würden sich über diese Eigenschaft freuen, bei Sportlern, die zweimal täglich intensiv trainieren und für das perfekte Wettkampf-Gewicht Kilo machen müssen, ist das nicht immer leicht. "Das Essen ist wie Training", lässt er durchblicken.

Gemeinsam durch Hochs und Tiefs

Die Vorbereitung auf den WM-Sommer war für das Paar zuletzt nicht rund gelaufen – Anna Rüh kam im Training nicht weiter als 58 Meter (Bestleistung: 66,14 m), Martin Wierig hatte mit Wehwehchen zu tun. Sein Ganzkörper-Krafttraining (Reißen und Stoßen mit Gewichten) musste der Werfer im Vergleich zu früheren Jahren zurückschrauben, da es Probleme mit Knie und Rücken gibt. Eine Strategie, dennoch so zu trainieren, dass starke Würfe möglich sind, scheint er gefunden zu haben. Jedenfalls ist beiden Magdeburgern am Samstag ein Stein vom Herzen gefallen, als der Moderator zweimal die WM-Norm durchsagte.

Es war wichtig, die Norm im ersten Anlauf abzuhaken: "Über 61 Meter zu werfen ist kein Hexenwerk, von daher muss man vom ersten Wettkampf an eine gute Leistung zeigen und sich im Saisonverlauf durchsetzen", weiß Anna Rüh über die WM-Selektion bei den DLV-Diskuswerferinnen. "Ich glaube, ich werde in die nächsten Wettkämpfe auch mit weniger Erwartung und Druck, den man sich selber macht, reingehen", sagt die DM-Medaillengewinnerin von 2012 bis 2014, die zum Einstieg bereits mit einem 60-Meter-Wurf zufrieden gewesen wäre.

In dieser sportlichen Situation tut gegenseitige Unterstützung gut. "Gerade im Training, wenn einer mal ein bisschen down ist, versucht man sich nicht runterzuziehen, sondern baut sich wieder auf. Da sind wir uns eine sehr große Stütze", erzählt der U23-Europameister von 2007. Das gilt auch im Wettkampf. "Ich habe gerufen, weiß aber nicht, ob er es gehört hat", lacht Anna Rüh, über deren Resultat sich Martin Wierig während seines Aufwärmens sehr mit freute. Beide wissen nach dem gelungenen Saisonstart, dass sie noch Reserven – in Technik und Kraft – haben, das motiviert für das weitere Training und ihren Traum von der gemeinsamen WM-Teilnahme.

Teilen
#TrueAthletes – TrueTalk

Hier finden Sie alle Folgen des Podcasts des Deutschen Leichtathletik-Verbandes!

Zum Podcast
Jetzt Downloaden
DM-Tickets 2024