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Christian Jagusch hat den Dreh raus

Kugelstoßer Christian Jagusch hat seine Bestleistung 2014 gleich um 1,25 Meter verbessern können. Der 22-Jährige wurde Deutscher Juniorenmeister und holte bei den Männern die Silbermedaille. Dass er sich im kommenden Jahr sogar Hoffnungen auf einen WM-Start machen darf, hat Jagusch auch einem Mann zu verdanken, dem einst der Weltrekord aus politischen Gründen verwehrt wurde.
Philip Häfner

Es war eine folgenreiche Begegnung: Während des Trainingslagers in Kienbaum traf Kugelstoßer Christian Jagusch (SC Neubrandenburg) in der Saisonvorbereitung auf den mittlerweile 65-jährigen Rolf Oesterreich. Jenen Mann, der am 12. September 1976, einen Monat nach den Olympischen Spielen in Montreal, bei den Bezirksmeisterschaften im sächsischen Zschopau mit 22,11 Metern einen neuen Weltrekord im Kugelstoßen erzielt hatte.

Die damalige Weltbestmarke des Russen Alexander Baryschnikov übertraf er um elf Zentimeter, doch der DDR-Verband reichte den Rekord nicht bei der IAAF ein, weil die Verbandsoberen den Sportler nicht als linientreu einstuften. Oesterreich war ihnen nicht geheuer. Er hatte sich das Kugelstoßen weitgehend selbst beigebracht und gehörte keinem staatlich kontrollierten Kader an; zudem erzielte er seine Leistungen in der in der DDR als „amerikanisch“ verpönten Drehstoßtechnik.

Auch Christian Jagusch bevorzugt diese Technik, nachdem er in früheren Jahren weder mit dem Angleiten noch mit der Wechselschritttechnik so richtig zurechtgekommen war. „Ich bin ja eher kleingewachsen, David Storl etwa ist einen Kopf größer als ich. Beim Drehstoßen kann ich meine Fähigkeiten aber optimal ausspielen“, erklärt er. Dazu zählt insbesondere seine Sprungkraft – ein Vermächtnis aus alten Mehrkampftagen.

Schnellerer Armschwung

Der 22-Jährige war früher Zehnkämpfer, erst mit 18 Jahren wechselte er zum Wurf, weil er bei den Sprungdisziplinen immer Schmerzen im Fuß hatte. Doch der ganz große Durchbruch gelang ihm nicht. Erst ein Tipp von Rolf Oesterreich brachte die Wende: „Er hat mir geraten, den Arm schneller zu schwingen, mit dem ich die Drehbewegung einleite“, erzählt Jagusch. Eine kleine, aber äußerst effektive Veränderung. „Durch den größeren Schwung kann ich das höhere Tempo mit in den Abstoß nehmen. Ich rotiere jetzt schneller“, sagt er.

Die Ergebnisse ließen nicht lange auf sich warten. Bei den Halleschen Werfertagen übertraf der Mann vom SC Neubrandenburg Mitte Mai erstmals die 19-Meter-Marke (19,08 m), drei Wochen später steigerte er sich bei einem Meeting in Leipzig auf 19,74 Meter – das bedeutete Platz drei in der deutschen Bestenliste hinter Europameister David Storl (LAC Erdgas Chemnitz; 21,97 m) und Tobias Dahm (VfL Sindelfingen; 19,96 m).

DM-Silber in Ulm

Dass diese Weite kein Ausrutscher war, bewies Jagusch in den darauffolgenden Wettkämpfen, in denen er die Eisenkugel bei fünf von sechs Gelegenheiten über die 19-Meter-Linie fliegen ließ. So auch in Ulm bei den Deutschen Meisterschaften. Mit 19,73 Metern gewann er vor der Kulisse des Münsters die Silbermedaille, seine erste bei den Erwachsenen. Seinen Hausrekord verpasste er lediglich um einen Zentimeter.

Bemerkenswert war daran vor allem, mit welcher Selbstsicherheit und Gelassenheit der junge Neubrandenburger trotz der nicht alltäglichen Wettkampfstätte, die sogar einen David Storl zutiefst  beeindruckte, seine sechs Stöße absolvierte. Selbst von einem schwächeren und einem ungültigen Versuch zu Beginn ließ sich Jagusch nicht aus der Ruhe bringen. „Der zweite Stoß war zwar ungültig, aber ich habe gemerkt, dass ich gut drauf bin. Ich habe einfach auf meine Stärke vertraut und bin nicht in Panik verfallen“, sagt er.

Als Jugendlicher Dritter der U20-EM

Um beachtliche 1,25 Meter hat sich Christian Jagusch 2014 gesteigert. Die besten zehn Leistungen seiner Karriere stammen allesamt aus diesem Jahr, in dem er ganz nebenbei in Wesel auch noch den Meistertitel bei den Junioren abräumte. Selbst die Norm für die Europameisterschaften in Zürich (Schweiz) – 20,30 Meter beziehungsweise exakt 20,00 Meter für die 2. DLV-Norm – schien zwischenzeitig in Reichweite. „Die Weite hatte ich mir durchaus noch zugetraut“, sagt er.

Letztlich reichte es nicht und sein erster Start im schwarz-rot-goldenen Trikot bei den Männern muss noch mindestens ein Jahr warten. In der Jugend war er 2011 schon einmal zu Nationalmannschaftsehren gekommen; bei der U20-EM in Tallinn (Estland) holte er mit der Sechs-Kilo-Kugel Bronze hinter Krzysztof Brzozowski aus Polen und dem Italiener Daniele Secci. Beide Athleten hat er mittlerweile weit übertroffen.

Ziel: 20 Meter

„Nächstes Jahr wird dann hoffentlich die 20 vor dem Komma stehen“, sagt Christian Jagusch. Damit wäre er automatisch ein Anwärter auf eines der Tickets für die Weltmeisterschaften in Peking (China). „In Sachen Athletik kann ich noch zulegen und noch schnellkräftiger werden“, formuliert der Bundespolizist seine Trainingsziele für den Winter.

Unterstützung bekommt der gebürtige Greifswalder von seinem Trainer Gerald Bergmann, der schon Ralf Bartels zum Weltklasseathleten formte. Bartels, Europameister 2006 und zweifacher WM-Bronzemedaillengewinner, arbeitet nach seinem Karriereende 2013 mittlerweile als Nachwuchstrainer in Neubrandenburg. Jagusch und er sehen sich jeden Tag und verstehen sich blendend. Zwar ist Bartels nie Drehstoßer gewesen, doch er versorgt den Jagusch mit wertvollen Tipps, wie er sich vor und während des Wettkampfs verhalten sollte. „Gerade bei so Psychosachen ist er wirklich große Hilfe.“

<link>Quelle: Leichtathletik - Ihre Fachzeitschrift

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