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Christin Hussong – Ohne Nominierungsdruck Richtung 70 Meter

In einer Serie stellt leichtathletik.de wieder die Athleten vor, die bei den Deutschen Meisterschaften in Kassel erstmals national ganz oben standen. Heute: Speerwerferin Christin Hussong (LAZ Zweibrücken).
Jan-Henner Reitze

<link https: www.leichtathletik.de nationalmannschaft athletenportraet athlet detail christin-hussong _blank>Christin Hussong
LAZ Zweibrücken

*17. März 1994
Größe: 1,86 Meter

Speerwurf

Bestleistung: 66,41 m (2016)
WM-Sechste 2015
U23-Europameisterin 2015
EM-Siebte 2014
Zweite U20-EM 2013
Siebte U20-WM 2012
U18-Weltmeisterin 2011
Vierte Olympische Jugendspiele 2010
Deutsche Meisterin 2016

Die Sommersaison der DLV-Speerwerferinnen war geprägt vom Kampf von vier Athletinnen auf Weltniveau um drei Olympia-Tickets. Der Wettkampf in Rio (Brasilien) hielt letzten Endes für keine von ihnen ein Happy-End bereit. Erstmals seit den Spielen 2000 in Sydney (Australien) ging keine Medaille in dieser Disziplin nach Deutschland. "Ich war ehrlich gesagt froh, als es vorbei war", erklärt Christin Hussong (LAZ Zweibrücken), die sich in Rio ins Finale gerettet hatte (62,17 m), dort aber nicht über 57,70 Meter hinaus kam und Zwölfte wurde. "Alles war etwas schwerfällig. Die Spannung hat gefehlt."

Christina Obergföll (LG Offenburg; 62,92 m) hatte als Achte noch die beste Platzierung in Rio erreicht. Linda Stahl (TSV Bayer 04 Leverkusen; 59,71 m) wurde gesundheitlich angeschlagen Elfte. Weltmeisterin Katharina Molitor (TSV Bayer 04 Leverkusen) war trotz EM-Rang vier (63,20 m) die Unglückliche, die zu Hause bleiben musste.

Erster DM-Titel, U23-Rekord und „Erfahrung Olympia“ auf der Habenseite

Auch wenn die Olympia-Bilanz für den DLV insgesamt bitter ausfällt und die Saison den Athletinnen einige frustrierte Stunden gebracht hat – Christin Hussong kann für sich persönlich einiges Positives aus dem Sommer 2016 mitnehmen. Ganz offen gibt sie zu, dass die Deutschen Meisterschaften im Training als erster Saisonhöhepunkt angesteuert wurden, denn die Titelträgerin sicherte sich gleichzeitig ein Olympia-Ticket. Das gelang. Bei der DM im Kasseler Auestadion segelte ihr Speer auf 66,41 Meter. Bestleistung, deutscher U23-Rekord und der erste nationale Titel bei den Erwachsenen.

In Rio lief es im Finale zwar nicht optimal, dennoch war die erste Olympiateilnahme eine wertvolle Erfahrung. "Das Drumherum ist durch die anderen Sportarten viel größer. Der Wettkampf selbst nichts anderes als eine WM", so die Erkenntnis, die auf dem Weg Richtung Tokio (Japan) 2020 wertvoll ist.

Die EM in Amsterdam (Niederlande) offenbarte vor allem einen Ansatzpunkt, an dem die 22 Jahre junge Athletin arbeiten möchte. Die aus dem Stadion ausgelagerte Qualifikation wurde bei starkem Gegenwind ausgetragen. Die WM-Sechste fand nicht die passende Abwurfposition, um diesen Bedingungen eine ihrem Leistungsniveau angemessene Weite abzutrotzen. In Zukunft möchte sie auch unter Druck die passende Antwort auf eine solch schwierige Situation abrufen können.

Erster nationaler Titel schon 2009

Als Trainer an der Seite der U23-Europameisterin ist von Beginn an Vater Udo. Das Erfolgsduo ist auf etwas ungewöhnlichem Weg zu seiner heutigen Leidenschaft, den Speerwurf, gekommen. Es war nicht – wie bei einigen anderen Topathleten – der Vater, der seine Tochter für eine Sportart begeisterte. Die große Schwester Michelle nahm die damals fünfjährige Christin mit zum Training beim TV Thaleischweiler, und auch Papa Udo kam mit. Er war selbst Handballer, las sich aber ab diesem Zeitpunkt mehr und mehr in die Trainingsmethoden der Leichtathletik ein.

Die athletische Ausbildung von Christin Hussong begann klassisch mit dem Mehrkampf und ersten Erfolgen. Ganz ohne Speerwurf, dafür mit Diskus und Kugel, wurde sie 2009 Deutsche Schülermeisterin im Blockmehrkampf Wurf. Die Auswahl ihrer heutigen Spezialdisziplin fiel dennoch leicht. In ihren beiden Jahren als A-Schülerin (2008: 46,62 m; 2009: 49,93 m) war sie auch jeweils die beste Speerwerferin dieser Altersklasse. Ein Jahr später erfolgte die Feuertaufe auf internationaler Nachwuchsbühne. Rang vier bei den Olympischen Jugendspielen 2010.

Vater und Tochter: "Gemeinsam hochgearbeitet"

2011 flog der Speer bei der U18-WM zu Gold und 59,74 Metern, diese Leistung brachte der damals 17-Jährigen den Titel "Rising Star" des Weltverbandes IAAF ein. Nach Platz sieben bei der U20-WM 2012 gelang mit Silber bei der U20-EM 2013 der nächste Medaillen-Coup. 2014 landete der Speer erstmals jenseits der 60 Meter und mit Rang sieben bei der EM in Zürich (Schweiz) verlief der Übergang in den Erwachsenenbereich nahtlos.

Mit dem Titel bei der U23-EM 2015 und Platz sechs beim WM-Debüt in Peking (China) kam Christin Hussong schon mit 21 Jahren endgültig in der Weltspitze an. Und auch Vater Udo ist mit der A-Lizenz mittlerweile in der ersten Liga der Trainer angekommen. "Wir haben uns gemeinsam hochgearbeitet", so die Tochter.

Fokus im Wintertraining liegt auf der Technik

Nach dem Werfertag in Bad Köstritz Ende August entschied das Gespann, auf weitere nacholympische Wettkämpfe zu verzichten. "Kopf, Beine und Arme, alles war leer. Die Schulter hatte schon die ganze Saison über ein wenig gezwickt. Mit Blick auf die kommenden Jahre wollten wir kein Risiko eingehen", begründet die Olympia-Zwölfte ihren Verzicht unter anderem auf einen Start beim ISTAF.

Nach einer Pause inklusive Urlaub läuft die Vorbereitung auf die kommende Saison schon wieder langsam an. "Mein Anlauf ist noch zu instabil, was sich auch auf den Abwurf auswirkt. Daran möchte ich insbesondere arbeiten", erklärt die Studentin der Sportwissenschaften ihre Marschroute für das Wintertraining, in dem sie auch Sprint, Sprung- und Kraftwerte ein weiteres Mal verbessern möchte.

Internationale Medaillen und 70 Meter sind das langfristige Ziel

Durch das Karriere-Ende von Christina Obergföll und Linda Stahl sowie die mit einer Wild Card ausgestattete Titelverteidigerin Katharina Molitor wird der Kampf um die Startplätze für die WM im kommenden Sommer in London (Großbritannien) wegfallen. "Ich werde für die Quali keine 65 Meter werfen müssen. Es gilt, sich im Vorfeld der WM gut zu positionieren. Ideal wäre es, in London Saison- oder sogar persönliche Bestleistung zu werfen. Dafür trainiere ich." Dass die gezielte Vorbereitung auf einen Höhepunkt gelingen kann, haben nicht nur die Deutschen Meisterschaften in diesem Jahr, sondern beispielsweise auch die U23-Europameisterschaften 2015 bewiesen, wo jeweils eine Bestleistung gelang.

Langfristig möchte Christin Hussong die Medaillensammlung der DLV-Speerwerferinnen fortführen. Von Steffi Nerius über Linda Stahl, Christina Obergföll bis hin zu Katharina Molitor – all diese Athletinnen haben seit dem Jahr 2009 einen großen Titel gewonnen. "Ich habe noch nicht so viele Würfe wie diese Athletinnen. Deshalb heißt es üben, üben, üben", so Christin Hussong. "In der Jugend habe ich Medaillen gesammelt. Das möchte ich im Erwachsenenbereich auch schaffen. Die Mädels haben fast immer eine Medaille mitgebracht. Es wäre toll, wenn ich das weiterführen kann."

Die internationale Spitze im Speerwurf der Frauen ist eng zusammengerückt. Bei Olympia ballten sich beispielsweise auf den Rängen zwei bis sieben Athletinnen mit 64er-Weiten. Sich in diesem Bereich zu stabilisieren, ist das mittelfristige Ziel von Christin Hussong. Langfristig möchte sie ihren Höchstleistungsbereich den 70 Metern annähern. "Diese Marke ist für meine Karriere auf jeden Fall ein Ziel." Eine solche Leistungssteigerung wären Spitzen-Voraussetzungen, um zur Medaillensammlerin zu werden.

Das sagt Bundestrainerin Maria Ritschel:

Bis zu den Deutschen Meisterschaften ist die Saison von Christin optimal verlaufen. Bei der EM in Amsterdam war die Spannung dann noch nicht wieder auf dem Höhepunkt. Auch die Umstände mit dem starken Gegenwind haben Christin nicht in die Karten gespielt. Sie ist sehr ehrgeizig und für ihr Alter technisch schon recht weit. Sie hat allerdings noch ein paar Kanten in der Technik. Wenn sie aufgeregt ist oder wie in Amsterdam die Bedingungen schwierig sind, hat sie zu kämpfen. Am besten wirft sie, wenn sie hoch konzentriert auf sich selbst ist. Dann erwischt sie den Oberkörper, wenn er noch sehr weit hinten ist, kann Bogenspannung aufbauen und es wird ein guter Wurf. Wenn der Wurf nicht so gut ist, läuft der Oberkörper schon mit dem Impulsschritt nach vorn. Sicher in eine saubere Körperposition zu kommen, ist die Aufgabe für die Zukunft. Erfahrung ist dabei ein Faktor. Das Nahziel ist es, die Leistungsfähigkeit jenseits der 65 Meter zu stabilisieren. Großes Ziel ist es, in vier Jahren eine andere Vorstellung bei den Olympischen Spielen abzurufen als in diesem Jahr. Grenzen setzte ich dabei keine. Ich traue Christin eigentlich alles zu.

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