| Porträt

Clemens Bleistein – Aus dem Sabbatical in die Weltspitze

Im vergangenen Sommer, da war Clemens Bleistein von der EM in Berlin so weit entfernt wie die Fußballer der Darmstädter Lilien von der Champions League. Tempelberg statt Trainingslager. Kilimandscharo statt Kilometerfressen. Doch jetzt ist der Münchener zurück. Stärker als je zuvor. Und auf dem besten Weg nach Berlin.
Alexandra Dersch

Aus dem Sabbatical in die erweiterte Weltspitze. So lassen sich die letzten eineinhalb Jahre des Clemens Bleistein wohl am prägnantesten zusammenfassen. Es ist ein Weg, der seinesgleichen sucht. Ein ungewöhnlicher Weg, an dessen Beginn sicherlich nicht viele auf diesen Ausgang gewettet hätten. „Ich bin selber überrascht, wie gut es funktioniert hat“, sagt Clemens Bleistein heute als Achtplatzierter der Hallen-Weltmeisterschaften. Denn für den gebürtigen Stuttgarter im Trikot der LG Stadtwerke München entpuppte sich dieser Weg als der für ihn persönliche Königsweg.

Rückblick in den August 2016: Clemens Bleistein war gefrustet. „So richtig. In der Saison hatte überhaupt nichts funktioniert.“ Er, der im Jahr zuvor noch bei den Hallen-Europameisterschaften sein Debüt im Nationaldress gegeben hatte und das als Startschuss für seine internationale Karriere gesehen hatte, saß bei EM und Olympischen Spielen nur vor dem Fernseher. Übertrainiert, leicht verletzt und überhaupt angeschlagen. „Das tat richtig weh“, erinnert sich der 27-Jährige.

Da kam das Praktische Jahr, das jeder angehende Mediziner absolvieren muss, gerade recht. Raus in die Welt, den Kopf frei bekommen und nichts hören von Trainingsplänen oder gar Wettkämpfen. Es war eine bewusst gewählte Pause vom Leistungssport mit offenem Ende. „Ob ich danach zurückkehren würde, das habe ich mir damals noch nicht beantwortet.“ Aber da wahre Läufer ja eigentlich niemals ohne Laufschuhe reisen, wanderten auch bei Clemens Bleistein ein, zwei Laufschuhe mit ins Gepäck.

Abstand zur rechten Zeit

Vier Monate Jerusalem, vier Monate Köln, zwei Monate Tansania. „Der Abstand kam genau zur richtigen Zeit“, sagt Clemens Bleistein. Und er lehrte ihn neben Land und Leuten („Ein Krankenhaus sagt eigentlich alles über ein Land aus“) auch die persönliche Erkenntnis: Das Thema Leistungssport ist noch nicht durch.

"Ich habe schnell gemerkt, das Training fehlt mir“, erzählt Clemens Bleistein. Klar sei er auch in Israel und Tansania gelaufen. „Aber da nur um Leute kennen zu lernen und als Ausgleich.“ Aber das waren eben reine Dauerläufe, ohne Konzept, ohne Hintergedanken. „Ich wollte wieder mehr sein als Student, Praktikant oder Arzt“, sagt Clemens Bleistein. Ein Satz, der auch so viel über sein persönliches Selbstbild aussagt, der deutlich macht: Das Laufen gehört schlicht zu seiner DNA. „Ich brenne dafür“, sagt der 27-Jährige, der wohl gut und gerne als laufverrückt, im positivsten aller Sinne, bezeichnet werden darf.

Seit September zurück im Trainingsalltag

Also nahm Clemens Bleistein im September 2017 das Training wieder auf. In Eigenregie. „Ich kenne mich am besten und weiß, was mir gut tut.“ Tipps und Einschätzungen holt er sich von Freunden, wie etwa dem Dortmunder Hindernisläufer Michi Wilms, von seinem Athletiktrainer Tilo Petersdorf, der mit ihm im Kraftraum arbeitet, oder aber auch in Gesprächen mit den Münchener Trainern Daniel Stoll und Andreas Knauer, in deren Trainingsgruppe Clemens Bleistein auch einmal in der Woche trainiert.

Den ein oder anderen Dauerlauf absolviert er auch mit den Mittelstrecklern Martin Sperlich (LC VfB Friedrichshafen) und Robert Baumann (LAV Stadtwerke Tübingen), aber die meiste Zeit ist er alleine unterwegs. „Ich kenne das“, sagt Clemens Bleistein. „Ich kann mich gut alleine quälen.“

Offenkundig. Denn nach einer verletzungs- und krankheitsfreien Vorbereitung standen am Ende der Hallen-Saison nicht nur zeitliche Verbesserungen um jeweils mehr als vier Sekunden über 1.500 (3:41,53 min) und 3.000 Meter (7:49,01 min), sondern eben auch dieser phänomenale achte Platz bei den Hallen-Weltmeisterschaften in Birmingham (Großbritannien), bei denen er sich so mutig, so physisch und psychisch stark präsentierte, als sei er nie weg gewesen.

Mental stark

Positiv denken, genau das ist inzwischen eine seiner Stärken. „Dass etwas nicht funktionieren könnte, daran habe ich in den letzten Wochen keinen Gedanken verschwendet.“ Eine Einstellung, die ihn auch zur Bestzeit bei den Hallen-Weltmeisterschaften und bis ins Finale getragen hat. „Klar war ich aufgeregt, als ich da im Callroom zwischen all den großen Namen saß.“ Aber dann kam der Startschuss. „Und dann war ich wieder ganz ich.“

Clemens Bleistein eben, der trotz seiner Bescheidenheit („Ich hatte auch viel Glück in dieser Saison“) so viel mitreißendes Selbstvertrauen mit einer großen Prise Mut mitbringt, dass er gar in Birmingham die Spitze seines Vorlauf-Feldes übernahm (<link https: www.leichtathletik.de news detail tag-2-in-birmingham-dlv-athleten-in-den-vorlaeufen>wir berichteten) und sich in seinem ersten internationalen Finale so teuer verkaufte (<link https: www.leichtathletik.de news detail clemens-bleistein-laeuft-in-die-top-acht>wir berichteten), dass man schon jetzt geneigt ist, sich auf seinen Auftritt in Berlin zu freuen.

Doch vor alledem steht die Hürde der Qualifikation, die natürlich erst genommen werden muss. Am besten am 26. Mai im belgischen Oordegem. Und noch eine weitere Herausforderung wartet auf Clemens Bleistein, sind es doch zwei Parallelwelten, zwischen denen der 27-Jährige derzeit wandelt. Auf der einen Seite der Traum von den Europameisterschaften. Erst am Montag wurde er nachträglich in den Perspektivkader des DLV berufen.

Einstieg in den Beruf als zusätzliche Herausforderung

Auf der anderen Seite der Einstieg in den Beruf, der auch dazu führt, dass seine Disziplinkollegen derzeit ohne Clemens Bleistein in der Höhe von Flagstaff (USA) beste Trainingsbedingungen und Laufpartner vorfinden, während der Münchener nur einen kurzen Trainingsabstecher über Ostern nach Holland unternimmt, denn: Ab dem 1. April arbeitet Clemens Bleistein als Assistenzarzt in einem Städtischen Klinikum in München Neuperlach. „Erst einmal zu 50 Prozent“, sagt der 27-Jährige. Denn der Traum von der EM, er überstrahlt derzeit auch seinen Traumberuf. Die zusätzliche Schwierigkeit der kommenden Monate wird es sein, diese beiden Parallelwelten harmonisch zu verknüpfen.

Am Ende seinen Weges ist Clemens Bleistein, der keine Prognose hinsichtlich der Sommersaison abgeben mag, noch lange nicht. Und doch ist seine bisherige Geschichte einmal mehr ein Beispiel dafür, dass es eben nicht den einen richtigen Weg gibt. Dass es Mut braucht, ungewöhnliche Wege zu gehen, um an die Spitze zu kommen. Und dass Erfolg schwer planbar ist. Kurzum: Clemens Bleistein und sein Weg ist eine der schönen Überraschungen, die in dieser Form vielleicht nur in der Leichtathletik möglich sind.

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