| Neue Meister

Ob Rückschlag oder Erfolgserlebnis: Laura Müller wächst

Bei der DM in Erfurt haben sieben Athleten erstmals national ganz oben gestanden. Einige von ihnen gehören zu den "neuen Gesichtern" der Szene, andere belohnten sich dafür, dass sie trotz Rückschlägen weiter an sich glauben. Einer der neuen Meister ist gleich bis an die Spitze der Welt durchmarschiert. Aus dieser bunten Mischung stellen wir heute die 400-Meter-Läuferin Laura Müller (LC Rehlingen) vor.
Jan-Henner Reitze

<link https: www.leichtathletik.de nationalmannschaft athletenportraet athlet detail laura-mueller>Laura Müller
LC Rehlingen

*11. Dezember 1995
Größe: 1,72 Meter
Gewicht: 57 Kilo

200 Meter und 400 Meter

200 Meter: 22,65 sec (2017)
400 Meter: 51,69 sec (2016)


Erfolge:

WM-Sechste 2017 (Staffel)
Silber U23-EM 2017
Silber U23-EM 2017 (Staffel)
EM-Fünfte 2016 (Staffel)
Vierte U23-EM 2015 (Staffel)
Sechste U23-EM 2015
Bronze U20-WM 2014 (Staffel)
Vierte U20-WM 2014
Bronze U20-EM 2013
Siebte U20-EM 2013
Deutsche Meisterin 2017 (200 Meter)

Ein schmerzhafter Zusammenprall mit einem Kameramann bei der Hallen-DM in Leipzig, unglückliche Disqualifikation bei der Staffel-WM auf den Bahamas, krankheitsbedingter Ausfall des Einzelstarts bei der WM in London (Großbritannien) als Negativ-Erlebnisse. Der erste DM-Titel in Erfurt über 200 Meter und Doppel-Silber bei der U23-EM als Highlights, sowie Platz sechs mit der Staffel als versöhnlicher WM-Wendepunkt. Ein Regisseur würde die Saison von Laura Müller vermutlich sofort in die Kategorie "Drama" einordnen. Weiteren passenden Stoff für ein solches Drehbuch hatte schon die Saison 2016 geboten.

Da war die 21-Jährige schon einmal gefühlt Deutsche Meisterin, der Freude darüber wurde aber schon kurz nach dem Zieleinlauf bei der Hallen-DM durch die Disqualifikation wegen Verlassens der Bahn ein jähes Ende bereitet. Im Sommer des Olympiajahres pulverisierte die Rehlingerin in 51,69 Sekunden dann ihre Bestzeit und die Norm für Rio de Janeiro (Brasilien), allerdings zu spät für einen Einzelstart.

Gelassenheit statt dramatisieren

Obwohl sie in ihrer jungen Karriere schon einige teils ungewöhnliche und unverschuldete Rückschläge wegstecken musste, sieht sich Laura Müller nicht in ungewöhnlicher Art dem Schicksal ausgesetzt. "Es gibt Höhepunkte und Tiefpunkte. Der Sport ist wie das Leben. Manchmal läuft etwas nicht nach Plan", erklärt die erst 21-Jährige, die es übrigens genauso gelassen sieht, dass mit dem Deutschen Meistertitel eines ihrer Highlights des Jahres zumindest bei einem genaueren Blick in die Ergebnisliste ebenfalls am seidenen Faden hing.

Bei ihrem Sieg bei der DM im Erfurter Steigerwaldstadion in starken 22,65 Sekunden über die 200 Meter hatte die Psychologie-Studentin eine Reaktionszeit von 0,103 Sekunden. Wer vier Tausendstel früher Druck auf den Startblock ausübt, wird disqualifiziert. "Ich bin in diesem Moment kein Risiko eingegangen. Einen Fehlstart habe ich noch nie gemacht", erzählt die Deutsche Meisterin. "Schon in meinem ersten ernsthaften Jahr hatte ich bei der U20-EM 2013 die beste Reaktionszeit von allen. Bei mir geht das intuitiv."

Im ersten Jahr über 400 Meter gleich bis ins Finale der U20-EM

Das Jahr 2013 war der Startpunkt der Karriere im Leistungssport und ebenso kompromisslos bestimmt wieder der Start im DM-Finale. Mit der Leichtathletik begonnen hatte Laura Müller im Alter von acht Jahren. Mit der Zeit stiegen immer mehr ihrer Freunde aus dem Training aus. Nachdem ein Bänderriss die Saison 2011 und Pfeiffersches Drüsenfieber die Saison 2012 zunichtegemacht hatte, stellte sich die damals 17-Jährige vor die Wahl: Entweder richtig Sport oder gar nicht.

Sie und ihr damaliger Trainer Franz-Josef Reinhard bei der LSG Saarbrücken/Sulzbachtal entschieden sich für "richtig". Da sich Talent vom Sprint bis zu den 800 Metern gezeigt hatte, richtete das Duo das Training auf die 400 Meter aus und schon im ersten Rennen stand eine 56er Zeit zu Buche.

Der Durchmarsch dieses ersten ernsthaften Jahres endete mit Rang sieben bei der U20-EM und der Bestzeit von 53,40 Sekunden, mit Staffel-Bronze gab es obendrauf sogar erstes internationales Edelmetall. Der weitere Weg war damit vorgezeichnet. Bei der U20-WM 2014 gab es wieder Staffel-Bronze sowie Rang vier im Einzel. 2015 folgte der Vereinswechsel zum LC Rehlingen. Das Training übernahm Uli Knapp und es ging immer weiter voran.

200 Meter und 400 Meter gehören zusammen

Nach ihrem etwas überraschenden Erfolg in Erfurt über die halbe Stadionrunde, wurde Laura Müller gefragt, ob sie nun die 200 Meter bevorzugen würde. Eine auf den ersten Blick nachvollziehbare Frage, die aber ebenso überflüssig ist. „200 und 400 Meter gehören zusammen, beides ist Sprint. Das wird oft vergessen“, meint Laura Müller.

Allen voran Olympiasiegerin Shaunae Miller-Uibo (Bahamas) und die insgesamt elfmalige Weltmeisterin Allyson Felix (USA) geben ihr Recht. Ohne schnelle 200 Meter sind auch keine schnellen 400 Meter möglich. Auch im DLV wurde dieser Ansatz in den vergangenen Jahren verstärkt verfolgt. Mit Nadine Gonska (MTG Mannheim) oder Svea Köhrbrück (SCC Berlin) gibt es beispielsweise zwei Athletinnen, die den Weg von den 200 Metern in die DLV-Staffel über 4x400 Meter gegangen sind.

Dass Laura Müller über die 400 Meter in diesem Jahr nicht wie erhofft ihre Bestzeit angreifen konnte, liegt einerseits an einer nicht störungsfreien Vorbereitung. „Durch den Unfall bei der Hallen-DM habe ich drei Wochen verloren, dann musste ich im Trainingslager auf Teneriffa wegen Problemen mit der Achillessehne noch einmal im Training zurückstecken“, berichtet die Deutsche Meisterin. „Da fehlen dann einfach Tempoläufe als Grundlage.“ Auch die Windbedingungen erschwerten beispielsweise beim Silberlauf bei der U23-EM eine noch bessere Zeit. Nicht zu vergessen ist, dass dennoch vier der fünf schnellsten 400-Meter-Rennen der Karriere aus dem abgelaufenen Sommer stammen.

Rückhalt von Familie und Heimtrainer

Ein großer Rückhalt neben ihrem Heimtrainer ist für Laura Müller ihre Familie. Gefragt war diese Unterstützung zuletzt vor allem in London, als alles anders lief, als es sich die Sprinterin erhofft hatte. "Ich bin angereist und habe mit vielem gerechnet, aber nicht damit krank zu werden. Ich habe gut auf mich geachtet und war in Topform", erinnert sie sich. "Dann lag ich längere Zeit allein in meinem Zimmer. Es hat sich ein Gefühl der Hilflosigkeit eingestellt. Ich hatte keinen Einfluss auf das, was passiert ist. Das tat weh."

Der Zuspruch aus dem engen Umfeld half, aus dieser Situation herauszukommen. "Meine Familie hat mich aufgebaut und mir gezeigt, worum es wirklich geht. Nämlich darum, dass es weitergeht", so die 21-Jährige. "Ich bin noch total jung und habe noch einige Weltmeisterschaften vor mir. Ich freue mich auf die nächsten Jahre und ich fand es toll, dass ich mit dem Staffeleinsatz in London doch noch meinen Teil zur WM beitragen konnte."

Langfristiger Aufbau Richtung Berlin 2018

Nach dem Ende einer ereignisreichen Saison, freut sich Laura Müller endlich mal wieder in Ruhe Zeit mit ihrem Freund verbringen zu können. Sie gönnt ihrem Körper diesmal eine längere Pause, nachdem die Regenerationsphase nach den Olympischen Spielen eher kürzer war. Uli Knapp ist schon dabei, in Absprache mit Tony Lester einen etwas veränderten Trainingsaufbau zu planen, der langfristig auf den kommenden Sommer ausgerichtet ist. Deutsche Hallenmeisterschaften und Starts über 400 Meter sind im kommenden Winter nicht geplant. Eventuell gibt es einige Tests unter Wettkampfbedingungen im Sprint.

Es bleibt beim schnelligkeitsspezifischen Trainingsansatz. "Das ist unsere Philosophie und passt zu meinem Talent", erklärt die Zweite der U23-EM, die sich in den kommenden Monaten auch darüber klar werden möchte, wie es neben dem Sport weitergeht. Mit ihrem Psychologie-Studium ist sie nicht glücklich. "Ich studiere an einer Präsenz-Uni. Da stoße ich an Grenzen. Mir fehlt der rote Faden. Ich kann mir vorstellen, zum kommenden Sommersemester ein Fernstudium aufzunehmen. Es könnte in die Richtung Ernährung oder Kommunikation gehen."

Nächstes großes sportliches Ziel ist natürlich die Heim-EM, wo ein Einzelfinale möglich erscheint. Der Gedanke an das Berliner Olympiastadion im kommenden Sommer ist aber eher noch im Hinterkopf. Erst einmal gilt es fleißig und verletzungsfrei zu trainieren. Gleichzeitig hat Laura Müller auch die langfristige Zukunft im Blick und weiß, dass auch auf den 400 Metern noch mehr möglich ist. "Ich bin immer noch sehr jung auf dieser Strecke, wenn man schaut, in welchem Alter Bestzeiten gelaufen werden. Das passiert eher ab 25 aufwärts. Ich denke, da habe ich noch einiges an Zeit, die nötigen Grundlagen aufzuarbeiten."

Video: <link video:17101>Laura Müller pulverisiert ihre Bestzeit
Video-Interview: <link video:17155>Laura Müller: "Ich kann es gar nicht fassen"

Das sagt Bundestrainer Tobias Kofferschläger:

Natürlich hätten wir uns auch eine Stabilisierung des Niveaus der 400-Meter-Bestzeit gewünscht. Auf der Unterdistanz hat sich Laura aber klar weiterentwickelt. Die 22,65 Sekunden von Erfurt sind beachtlich. Eine solche Zeit ist viel wert, sie lässt einmal eine internationale Spitzenzeit über 400 Meter zu. Das ist eine wichtige Grundlage für die EM in Berlin und langfristig für die Olympischen Spiele 2020 in Tokio. Gerade im Angesicht der schwierigen unmittelbaren Vorbereitung in London und der dann gezeigten Leistung in der Staffel bin ich mir sicher, dass Laura eine Athletin ist, an der wir noch viel Freude haben werden über 200 und 400 Meter. Das möchte ich nicht trennen. Ich würde mir wünschen, dass dieser Übergang bei noch mehr Athleten fließender wird. Laura motiviert und fokussiert sich immer wieder, egal was die Umstände mit sich bringen. Sie ist mit ihrem Heimtrainer Uli Knapp ein tolles Team. Als Bestzeit stehen 51,69 Sekunden. Unnötig Grenzen setzen sollte sich Laura nicht. Warum sollte sie diese Zeit nicht wiederholen oder sogar noch deutlich steigern können? Mit der 200-Meter-Zeit kann man auch einmal eine 50er Zeit laufen. Ich glaube, dass Laura das in den nächsten Jahren schaffen wird.

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